Anna Wiesingers Buchtipp gewährt einen Blick in die internationalen Diplomatie.

Foto: Hedi Lusser / DER STANDARD

Idealismus und ein Wille zur Veränderung gehören zu den Grundbausteinen guter Diplomatie – möchte man meinen. Die Diplomatin Fred sieht das mittlerweile anders: "Warten. Geduld haben. Nichts tun können. Das war mein Job." Fred heißt eigentlich Friederike Andermann, ist Ende 40, Single, eine Frau in einem männlich dominierten Berufsfeld und die Protagonistin im fünften Roman der deutschen Autorin Lucy Fricke.

Als fiktive Ich-Erzählerin repräsentiert sie als Botschafterin in Uruguay im ersten Teil des Romans ihre Heimat Deutschland. Sie gewährt uns dabei einen Einblick in die ansonsten unzugängliche Welt der internationalen Diplomatie.

Lucy Fricke, "Die Diplomatin". € 22,95 / 256 Seiten. Claassen, 2022
Foto: Verlag

Ihre Arbeit vor Ort ist trocken und pragmatisch, was im Fachjargon, so lernen wir, so viel wie CYA – "Cover Your Ass" – heißt. Selbst als die Influencer-Tochter einer einflussreichen deutschen Medienschaffenden verschwindet. Zwei Jahre später findet sich Fred in Istanbul als Konsulin wieder. Die Einzelschicksale deutsch-kurdischer Staatsbürger, denen aufgrund einer vermeintlichen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" die Ausreise verboten wird, nehmen ihr aber zunehmend die Distanz. Bald hat Fred genug vom "funktionellen Herumstehen" und von "Lächeln, Lügen, Lachs Fressen".

Geduld, Geduld

Das offenkundig zentrale Motiv dieses Romans ist die Geduld – auch in der Erzählstruktur. Ob des unaufgeregten Stils braucht es etwas Zeit, um in die Geschichte zu finden. Dafür nimmt der Roman aber umso mehr an Fahrt auf, als Fred entscheidet, die Geduld ad acta zu legen, und sich im wortwörtlichen Sinn ans Steuer setzt.

Für alle, die schon immer einmal einen Blick hinter Botschaftszäune werfen wollten, ist "Die Diplomatin" wahrscheinlich das perfekte Weihnachtsgeschenk. Die Darstellung der vermeintlichen deutsch-türkischen Freundschaft scheint der Autorin aber fast zu gut gelungen zu sein. Obwohl Fricke immer nur vom Präsidenten schreibt und keinen Namen nennt, wurde ihr mehreren Medienberichten zufolge bis auf weiteres von Reisen in die Türkei abgeraten. (Anna Wiesinger, 5.12.2022)