Margarete Affenzellers Buchtipp lässt kein Schimpfwort aus.

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Seit Werner Schwab gab es auf literarischem Boden nicht mehr so viele Fäkalien versammelt wie in Andrea Abreus umwerfendem Debüt So forsch, so furchtlos. Tierische wie menschliche Losungen pflastern hier den Weg zweier zehnjähriger Mädchen ins Erwachsenwerden.

Andrea Abreu, "So forsch, so furchtlos",€ 20,–/ 192 Seiten. Kiwi-Verlag, 2022.
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Keine Ausbildung, Eltern weg

Sie wohnen in einem arm gehaltenen Bergdorf auf Teneriffa und sehen sich abseits der nichtigen Zukunftsperspektiven vor allem mit einer unverständigen Erziehung durch die Großmütter konfrontiert – die Eltern arbeiten in den Touristenhochburgen weit weg an der Küste. Da heißt es zwangsläufig oft Shit! Oma wird einfach Bitch genannt, man muss sich bei allem Dank auch Luft machen.

Abreu, selbst in dieser Gegend aufgewachsen und erst 27 Jahre alt, verschneidet die Wahrnehmungswelten der Erzählerin und ihrer Freundin Isora entlang eines Sommers voller Erweckungen und Verzweiflungen zu einer in kurzen Kapiteln fokussierten Prosa voller Unmittelbarkeit. Diese enthält die Fehler einer nie korrigierten Jugendsprache (z. B. Volkan statt Vulkan), prangt im Original mit kanarischem Dialekt und setzt sich in aggressiver Schnoddrigkeit gegen die Zumutungen einer Kindheit im Weltschatten zur Wehr. Das Klassenbewusstsein der Heranwachsenden geht mit jenem des neokolonialen Hand in Hand, waren die Kanaren doch spanische Kolonien und schwimmen in den Pools der Villenanlagen auch heute noch vorwiegend Madrilenen ohne Wissen darum – und Deutsche sowieso.

Zwischen Pokémon, Fäkalien und sexuellen Selbstversuchen

Aus Nervosität, aus Langeweile oder aus Trotz zu viel essen und sich und das Einverleibte dann so weit steuern, dass man dessen Chefin ist, es dann also bei Bedarf wieder herauswürgen oder in eine Schachtel koten und diese radikal hinter den Kühlschrank stellen, wo sie mit allen erwartbaren Nebeneffekten vergammelt – solcherlei heftig und knapp arrangierte Kindheitsbilder sind es, die Abreus Buch 2020 in Spanien zum Hit machten. Es ist der durchschlagend harte, aber naive Blick zweier Kinder, die zwischen Pokémon und Jungfrauen-Fantasien, ersten sexuellen Selbstversuchen und Terror-Omas einen Weg suchen. (Margarete Affenzeller, 11.12.2022)