Im Permafrost Sibiriens schlummern unzählige Lebewesen und Viren im Kälteschlaf. Manche davon können wieder erwachen.
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Pflanzen, Würmer, sogar ganze Wollnashörner, Höhlenbären oder Mammuts – im nördlichen Permafrost sind riesige Mengen an Biomasse gebunden. Etwa ein Viertel der nördlichen Hemisphäre ist dauerhaft gefroren, mit Eis, das über eine Million Jahre alt sein kann. Der Klimawandel lässt große Teile des dauerhaft gefrorenen Bodens nun langsam, aber sicher auftauen, was sich nicht nur in der Freisetzung problematischer Mengen von CO2 und Methan äußert, sondern auch gefrorene Lebewesen freigibt.

Im Fall von Mammutüberresten ist das für die Wissenschaft ein Segen und auch eine gute Nachricht für Menschen, die ethisch unbedenkliches Elfenbein beziehen wollen. Gefahr geht von diesen seit tausenden Jahren toten Lebewesen nicht aus. Anders liegen die Dinge bei Viren. Bereits in der Vergangenheit ist es mehrfach gelungen, zigtausend Jahre alte Viren wieder zum Leben erwecken – wobei Viren streng genommen nicht als "Leben" gelten, weil sie zur Fortpflanzung einen Wirt benötigen.

Doch geht von ihnen Gefahr aus? Diese Frage stellten sich Forschende der französischen Aix-Marseille-Universität nun. Ihre Beantwortung ist nicht nur für die Grundlagenforschung von Interesse. Erst kürzlich hat eine Studie festgestellt, dass durch das Auftauen von Gletschereis das Überspringen von Viren auf neue Wirte häufiger wird. Wie gefährlich neue Viren sein können, lässt sich derzeit aber kaum in konkreten Zahlen beantworten.

Bis zu 48.500 Jahre im Eis

Das Team aus Frankreich hat deshalb versucht, im sibirischen Permafrost gefundene Viren im Labor zu reanimieren. Der Erfolg überraschte selbst die Forschenden: Bei sieben verschiedenen Viren gelang es, sie zur Reproduktion zu bewegen. Das jüngste von ihnen war 27.000 Jahre alt, während das älteste ganze 48.500 Jahre im Eis gelegen war.

Tatsächlich reanimierten die Forschenden noch weitere gefrorene Viren, doch diese sieben sind besonders, weil sie sich von allen derzeit bekannten Viren unterschieden. So sollte sichergestellt werden, dass es sich nicht um eine Kontamination mit zeitgenössischem Virenmaterial handelt.

Ein koloriertes Elektronenmikroskop-Bild eines Pandoravirus. Ihre DNA umfasst, je nach Art, bis zu 2,5 Millionen Basenpaare, eine für Viren astronomische Zahl.
Foto: Image courtesy of Chantal Abergel / Jean-Michel Claverie

Der Methusalem unter den Viren stammt aus 16 Metern Tiefe, wo er in den Sedimenten eines Sees im russischen Yakutia gefunden wurde. Er ist selbst keine Gefahr für Wirbeltiere. Es handelt sich um ein zur Klasse der Pandoraviren zählendes Riesenvirus, das nur Einzeller befällt. Das gilt auch für die anderen acht wiedererweckten Viren, von denen zwei bereits bekannt waren. Das liegt daran, dass sich die Suche des Forschungsteams auf diese Viren beschränkte. Dahinter stehen Sicherheitsüberlegungen: Diese auf Amöben spezialisierten Viren sind für Menschen ungefährlich.

Häufiges Phänomen

Der Erfolg bei der Erweckung legt jedenfalls nahe, dass auch viele andere im Permafrost konservierte Viren wiedererweckt werden können. Die Forschenden kritisieren in ihrer zur Publikation eingereichten und nun als Preprint verfügbar gemachten Arbeit, dass bisher erst in zwei Studien aus den Jahren 2014 und 2015 über wiedererweckte Viren berichtet wurde. Das suggeriere, dass es sich um ein seltenes Phänomen handele. Die nun veröffentlichten Ergebnisse legen aber nahe, dass es sich um ein häufiges Phänomen handelt, das durchaus ein Gesundheitsrisiko für Menschen darstellen könne.

Viren sind nicht die einzigen Wesen, die ein langes Einfrieren überdauern können. Bärtierchen etwa können Jahrzehnte gefroren überleben, letztes Jahr gelang es einem russischen Team, weibliche Rädertierchen nach 24.000 Jahren im Eis zu reanimieren. Diese beiden Spezies verfügen allerdings über ein spezielles biologisches Notfallprogramm, das etwa auch in Dürrezeiten aktiviert wird. Menschen verfügen nicht über solche Fähigkeiten, können aber als Embryonen in sehr frühem Entwicklungsstadium ebenfalls lange Zeit tiefgefroren gelagert werden. Erst kürzlich kamen zwei Kinder zur Welt, die vor dreißig Jahren gezeugt wurden und seither gefroren waren. Je komplexer Lebewesen werden, desto schwieriger wird das. Es sind vor allem Eiskristalle beim Gefrieren, die lebendes Gewebe beschädigen.

Viren könnten durchaus auch länger ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung behalten, betonen die Forschenden. Bei einem Alter von über 50.000 Jahren versagt allerdings die Radiokarbonmethode zur Datierung. In den Tiefen des Permafrosts könnten also weitere beunruhigende und faszinierende Entdeckungen lauern. (Reinhard Kleindl, 26.11.2022)