Die vor allem im Fernen Osten und in Südostasien produzierten Kopfhörer sind eine beliebte Beute für Jugendliche. Sie können offenbar aber auch als Friedensangebot dienen, wie sich in einem Strafverfahren herausstellte.

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Wien – Es scheint eine Naturgesetzmäßigkeit der menschlichen Entwicklung zu sein, dass man, sobald man ein gewisses Alter erreicht hat, beginnt, über "die jungen Leute" den Kopf zu schütteln. Im Falle des Prozesses gegen einen 15-Jährigen, nennen wir ihn Robbie, scheint aber selbst der junge Schöffe im Senat unter Vorsitz von Anna Marchart von der Lebensrealität heutiger Teenager überrascht zu sein.

Das Verfahren gegen den unbescholtenen Österreicher beginnt mit Verspätung. Marchart kann Robbies Mutter, eine leitende Angestellte, telefonisch erreichen, wie sich später herausstellt, fand der 15-Jährige den richtigen Eingang ins Gebäude des Landesgerichts für Strafsachen Wien nicht.

Als er schließlich auf dem Anklagestuhl Platz genommen hat, trägt Staatsanwältin Susanne Kerbl-Cortella eine simpel klingende Anklage vor. Robbie soll im März gemeinsam mit dem damals noch strafunmündigen Peter einem 14-Jährigen vor dessen Schule drahtlose Airpods-Kopfhörer und eine Lacoste-Jacke geraubt haben. Verteidigerin Anita Schattner kündigt an, dass ihr Mandant Verantwortung übernehmen werde, gibt aber die Vorgeschichte zu bedenken: Der 14-Jährige habe Robbie davor beleidigt.

Plan, Opfer zu "fetzn"

Der mit einem imposanten Bass ausgestattete Angeklagte will eigentlich nicht recht viel zu der Sache sagen. "Ja, das stimmt", kommentiert er knapp die Anklage. "Es tut mir auch leid. Aber ich war damals noch jünger", erklärt der Arbeitslose, der eine Lehrstellenzusage in der Tasche hat. Er sei mit Peter zu dem Treffen mit dem 14-Jährigen gekommen. Robbie gibt auch zu, dass man geplant habe, das Opfer zu "fetzn", also ihm körperliches Ungemach zuzufügen. Stattdessen nahm man ihn am Oberarm, führte ihn etwas zur Seite und bekam die Kopfhörer und die Jacke.

"Glauben Sie, das Opfer hat sich gefürchtet?", will Marchart vom Angeklagten wissen. "Ja", stimmt der zu. "Und glauben Sie, er hätte Ihnen die Sachen freiwillig gegeben, wenn er sich nicht gefürchtet hätte?" – "Nein", kann Robbie nicht leugnen. Er erlaubt sich aber, darauf hinzuweisen, dass das Opfer bereits davor einer Schulkollegin geschrieben habe, er werde Robbie "ausnehmen" und "meiern", also seinerseits berauben.

Zeuge wollte "nur reden"

Peter wird als Zeuge belehrt, dass er die Wahrheit sagen muss, da er mittlerweile seinen 14. Geburtstag gefeiert hat und somit bei einer Falschaussage vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden kann. Möglicherweise überfordert ihn diese Erkenntnis intellektuell, er beharrt in seiner Aussage nämlich darauf, dass Robbie und er mit dem Opfer "nur reden" wollten. Genau das sei auch passiert, schildert er im folgenden Dialog mit der Vorsitzenden: "Wir haben mit ihm geredet, und dann haben wir die Sachen genommen." – "Warum?" – "Weil er uns beleidigt hat." – "Ist das normal, dass man wem etwas wegnimmt, der einen beleidigt?" – "Nein." – "Aber Ihnen ist das offenbar egal", merkt Marchart zur recht emotionslosen Aussage des Zeugen an.

Beim Auftritt des Opfers kommt es dann zu einer überraschenden Wendung. Dessen Vater, der ihn ins Gericht begleitet hat, muss auf Wunsch des 14-Jährigen vor dem Verhandlungssaal warten. "Das ist meine Sache", begründet der Zeuge. Der dann die Hintergründe der ganzen Sache aufklärt. Robbie hatte nämlich die Freundin des Opfers auf dem sozialen Netzwerk Instagram "geaddet", folgt ihr also. Das erregte Misstrauen und Eifersucht des Opfers. "Sie wollte nicht, dass er ihr folgt", argumentiert er.

Unmut über Social-Media-Kontakt

Daher habe er einer Schulkollegin die Nachricht übermittelt, falls Robbie etwas von der Freundin des Opfers wolle, werde er ihn "meier machen". Jedoch: "Das habe ich nur aus Spaß geschrieben! Aber er hat das ernst genommen und ist zur Schule gekommen." Obwohl noch keine Drohung vonseiten Robbies gefallen war, bekam der 14-Jährige im Vorfeld Angst. "Da habe ich ihm geschrieben, ich gebe ihm meine Airpods Pro, wenn er mich nicht schlägt."

Das vereinbarte Treffen sei dann zunächst durchaus harmonisch abgelaufen. Das Opfer übergab das elektronische Zubehör ohne Diskussion. "Dann hat er mich am Arm genommen, und wir sind ein wenig zur Seite gegangen. Ich habe mich nicht gefürchtet, wir haben nur geredet", gibt der Zeuge an. Schließlich wurde ihm noch seine Lacoste-Jacke abgefordert, die er eigentlich nicht hergeben wollte.

Auch 14-Jähriger erschien in Begleitung

Noch überraschender ist für die Vorsitzende und Verteidigerin Schattner, dass das Opfer zu dem Treffen selbst von einem baumlangen 14-Jährigen begleitet wurde, der allen anderen Beteiligten körperlich überlegen war. Zehn Meter entfernt standen weitere Bekannte des Opfers. "Aber der Gruppe habe ich vorher gesagt: 'Macht nichts'", schließlich sei es um eine persönliche Angelegenheit gegangen. Angeklagter Robbie widerspricht dieser Schilderung: "Alle standen neben uns im Kreis, Bruder!", wirft er ein. Und ergänzt später: "Ich hatte selbst ein bissi Angst." – "Aber Sie haben nichts hergegeben", merkt Marchart korrekterweise an. "Weil niemand etwas verlangt hat", entgegnet der Angeklagte.

Selbst die Staatsanwältin ist über die ursprüngliche "meier machen"-Nachricht des Opfers verärgert. "So einen Schmarrn schreibt man nicht! Dass dann vielleicht überreagiert wird, braucht Sie nicht wundern!", hält sie dem 14-Jährigen vor. "Tut es eh nicht", gibt der sich abgebrüht. Mittlerweile sei der Konflikt geklärt und er immer noch mit seiner Freundin zusammen, gibt der Zeuge noch bekannt. Als Robbie und er im Saal zu sprechen beginnen wollen, unterbricht die Vorsitzende: "Sie können das nachher klären. Egal ob im echten Leben oder auf Instagram", hat sich Marchart auf die Realität des digitalen Zeitalters eingestellt.

Staatsanwältin modifiziert Anklage

Anklägerin Kerbl-Cortella kommt ihrer Objektivitätspflicht nach und modifiziert nach der Aussage des 14-Jährigen die Anklage. Da die Airpods freiwillig übergeben wurden und das Opfer sie danach von der Polizei wieder retour bekam, fällt dieser Anklagepunkt komplett weg. In der ebenfalls zurückgegebenen gebrauchten Markenjacke sieht sie eine "fremde bewegliche Sache von minderem Restwert". Damit sei nur der zweite Absatz des Raub-Paragrafen erfüllt, wodurch sich die mögliche Höchststrafe auf zweieinhalb Jahre reduziert. Kerbl-Cortella fordert aber keine Haft für Robbie, sondern spricht sich für eine Diversion aus. "Man soll jungen Leuten nicht primär die Zukunft noch schwieriger machen", sieht sie keinen Sinn in einer Vorstrafe, da der Angeklagte ja nun eine Lehre beginne.

Der Schöffensenat sieht das nach kurzer Beratung ebenso. Das Verfahren gegen Robbie wird vorläufig eingestellt. Wenn er im kommenden halben Jahr 90 Stunden gemeinnützige Arbeit verrichtet, ist die Angelegenheit für ihn endgültig bereinigt. Da auch die Staatsanwältin keinen Einwand hat, ist die Entscheidung rechtskräftig. (Michael Möseneder, 25.11.2022)