Es ist genau fünf Jahre her, seit das Restaurant The Shed at Dulwich im November 2017 die Liste der besten Restaurants Londons auf Tripadvisor anführte. Bemerkenswert war das nur aus einem Grund: Das Restaurant gab es ausschließlich auf der Liste, aber nicht in der echten Welt. Wer der Adressangabe folgte, fand sich vor der Werkzeughütte im Garten des Journalisten Oobah Butler wieder. Butler, der sich als Student ein Zubrot damit verdient hatte, Fake-Bewertungen im Auftrag von Restaurants zu schreiben (und mit zehn Pfund Sterling je Bewertung gar nicht schlecht verdiente), wollte einfach zeigen, wie leicht sich die Rankings des global wohl einflussreichsten Touristikportals manipulieren lassen.

Laut Tripadvisor wurden die Sicherheitsrichtlinien inzwischen so ausgebaut, dass derlei nicht mehr passieren kann. Die britischen Konsumentenschützer von "Which" befanden aber noch 2019, nach der Prüfung von 250.000 Bewertungen für topplatzierte Hotels und Restaurants auf der Seite, dass zumindest jede siebente Kritik "offensichtliche Merkmale" gefakter positiver Bewertungen aufwies.

Severin Corti kostet sich durch
Foto: Heribert Corn

In Wien

Wie die Wiener Restaurants auf Tripadvisor abschneiden und ob die Bewertungen nachvollziehbar oder gefälscht sind, mag für Wiener Restaurantbesucher weniger relevant sein als für Touristen. Wer hier lebt, kann sich auf Tipps von Bekannten und Restaurantbesprechungen ansässiger Medien stützen (oder geht sowieso und aus Prinzip nur in seine Stammlokale). Aber wir alle wissen, wie es ist, wenn man in einer fremden Stadt gut essen will: Da landet man auf der Suche nach einer lohnenden Adresse schnell bei Tripadvisor – und endet nicht immer in einer Hütte, die glücklich macht.

Dass manche Bewertungen auch in der eingeborenen Bevölkerung durchaus einhellige Zustimmung erfahren, ist dessen unbenommen. So durfte sich Tripadvisor mit den Wiener Nachteulen auf einer Linie wissen, als die inzwischen verblichene, legendär lieblos bekochte Gräfin am Naschmarkt einst als schlechtestes Lokal der Stadt eingeordnet wurde (siehe auch DER STANDARD vom 5. 5. 2018).

Recht indisch

Ob das bei den topbewerteten Tripadvisor-Restaurants Wiens auch so ist? Hm. Bei der Nummer eins auf der Liste tut sich gleich einmal ein grundlegendes Problem auf. Es existiert zwar, nur halt nicht in Wien: Kitchen & Bar, das Outlet von Hollywood-Starkoch Wolfgang Puck, ist eine von über zwanzig Locations, die der gebürtige Kärntner auf Flugplätzen von Atlanta bis Sydney betreibt – und laut Tripadvisor das beste Restaurant der österreichischen Hauptstadt. Es ist nur leider in Schwechat, scheidet für den Test also aus. Was auf der Liste sonst noch auffällt: In den Top 20 sind allein vier indische Restaurants vertreten. Wien scheint demnach, ohne dass dies in der Stadt bislang aufgefallen wäre, ein ganz herausragender Ort zu sein, um auf hohem Niveau indisch zu speisen. Mit dem Ganesha in Währing befindet sich eines davon sogar unter den Top drei – dazu später mehr.

Keine Haube nirgends

Und: Nicht ein einziges der zehn bestbewerteten Lokale ist in jenem Guide gelistet, der die Hauben vergibt und, wenn man dem Volksglauben folgt, die eigentliche Kompetenz innehat, über gut und schlecht in der heimischen Gastrolandschaft zu entscheiden. Nummer zwei auf der Liste und damit das bestbewertete, tatsächlich in Wien ansässige Lokal ist aber immerhin ein Restaurant, das vor mehr als 16 Jahren als "entzückendes Beisl" bereits Thema einer STANDARD-Restaurantkritik war. Über das Lokal an der Ecke Gußhausstraße und Karlsgasse stand damals zu lesen: "Wenn ein Lokal sich ‚Wia z’haus‘ nennt, darf man sich nicht wundern, wenn es von den einschlägigen Wirtshausführern und sonstigen Restaurantexperten erst einmal ignoriert wird."

Das Wiener Wia z'haus ist Nummer zwei auf der Liste.
Foto: Heribert Corn

Von totalem Ignoriertwerden an die Spitze des global einflussreichsten Wirtshausportals – das muss dem Wia z’haus erst einmal jemand nachmachen. Das altertümliche Beisl ist mittags wie abends voll, neben ein paar Touristen sind es aber vor allem TU-Professoren von vis-à-vis, Angestellte der französischen Botschaft und andere Anrainer, die sich auf teils wackeligen, alten Wirtshausstühlen niederlassen, um Ganslgröstl mit Krautsalat, Pinzgauer Kasnocken, Wiener Schnitzel und Zwiebelrostbraten zu ordern.

Der Tafelspitz (18,90 Euro) wird, marginal gewöhnungsbedürftig und wohl den schmalen Tischen geschuldet, auf einer Etagere auf dem rot-weiß karierten Tischtuch abgestellt, mit Suppe und Fleisch samt Markknochen unten, satt abgeschmalzenem und gut gekümmeltem Erdäpfelschmarrn in der Mitte und eher abgestandener Schnittlauchsoß’ sowie tadellos bissigem Apfelkren oben. Das Fleisch ist mürb und saftig, die davor genossene Frittatensuppe dicht und mit hausgemacht butteriger Einlage – alles in allem mehr als in Ordnung und deutlich höher einzustufen als das, was in den Filialen des vorgeblichen Wiener Rindfleischkönigs Plachutta (im Tripadvisor-Ranking auf Nummer 183) an halbgarem Erdäpfelröster und kraftlosem Kochfleisch serviert wird.

Im Wiens Tripadvisor-Toprestaurant Wia z’haus wird der Tafelspitz auf einer Etagere serviert, ...
Foto: Heribert Corn

Schnitzel muss an solch einer Adresse natürlich auch sein, noch dazu, wo das rhythmische Klopfen aus der Küche beständig in den Wia-z’haus-Gastraum dringt. Gebackenes Schweinsschnitzel mit Erdäpfelsalat (12,90 Euro) gerät aber nicht ganz so top, wie das Ranking glauben macht. Okay, so nah am Karlsplatz und um diesen Preis kommt Schnitzel wohl zwangsläufig aus der Fritteuse, ganz so gleißend vor altem Backfett müsste es aber nicht sein.

... das gebackene Schnitzel (u.) gibt’s ganz konventionell aus dem Fritter.
Foto: Heribert Corn

Immerhin: nicht zu dünn geklopft, das Fleisch präsent und saftig – passt schon. Im Figlmüller, dem "Schnitzel Central" von Wien, (Tripadvisors Nummer 182) müssen Touristen bekanntlich mit wettexdünn gedengelten Knusperlappen vorliebnehmen. Im Wia z’haus auf der Sollseite zu verbuchen: der Erdäpfelsalat. Derart zuckersüß und pickert abgemischt wie hier hat man ihn schon verdammt lange nicht mehr vorgesetzt bekommen.

Nächste Station: Sixta, Schönbrunner Straße, auf Höhe Kettenbrückengasse. Dass einem das Lokal noch nie aufgefallen ist (und man via Tripadvisor überhaupt zum ersten Mal davon gehört hat), erklärt sich, wenn man davorsteht. Die Hütte kuschelt sich hinter einem vorspringenden Nachbarhaus in eine Ecke, und man muss schon zu Fuß gegen die Einbahn unterwegs sein, um hier ein Lokal zu entdecken. Auch im legendär gut sortierten Falter-Wirtshausführer, wo es für die Nennung eines im Guide nicht genannten Restaurants vor ein paar Jahren noch ein Gratisexemplar als Finderlohn gab, wird das Sixta mit keiner Silbe erwähnt. Bei wien.info, der offiziellen Website von Wien Tourismus, ist es aber doch am Radar: als "schwules Restaurant mit gutbürgerlicher Wiener Küche". Was damit wohl gemeint ist – nach dem Besuch bleibt es ebenso ein Rätsel wie davor.

Froschlaich schwebt

Kurz nach 18 Uhr ist man jedenfalls der einzige Gast in dem kleinen, mit Lamperie in Kirschholzoptik und mehreren Spiegeln ausgestatteten Lokal. Gegen 18.30 Uhr aber tröpfeln dann Gäste ein. Sie wirken wie Stammgäste und nehmen die Hochtische im hinteren Bereich und die Bar in Beschlag– wie auch zwei ältere Damen, die sich an der Schank ein Schnitzel teilen. Auch sonst ist das Publikum gemischt, eine Runde Arbeitskollegen hier, zwei Freunde da, ein (Hetero-)Pärchen an der Schank.

Anfangs noch recht einsam im Lokal.
Foto: Heribert Corn

Dann kommt auch schon das Essen. Kürbis-Apfel-Suppe mit Thymianschaum und Kernöl hat ein prachtvolles, entfernt an Froschlaich erinnerndes Schaumhäubchen obenauf schwimmen, das dezidiert nach Thymian schmeckt. Die Suppe selbst ist in der Hauptsache viel und heiß, eine undefinierbar säuerliche Note schmeckt merkbar hervor. Am Apfel kann es nicht liegen, der ist als dünnes Scheibchen samt Kerngehäuse in gebratener Form als tragendes Element der Schaumhaube im Einsatz.

Kürbissuppe mit Schäumchenhaube im Sixta in Margareten.
Foto: Heribert Corn

Noch einmal Thymianschaum gibt es zum gebratenen Lachs, der sich dezent tranig und leicht übergart auf einen stabilen Sockel aus "Risotto" stützt. Rätselhaft: Die zweisprachig gehaltene Speisekarte führt das Gericht einmal als Lachssteak mit Kürbisrisotto und Thymianschaum und direkt darunter, auf Englisch, als Lachsforelle mit Pilzrisotto und Zitronenschaum an. Für einen Übersetzungsfehler ist das zu nachhaltig falsch – aber was steckt sonst dahinter?

Apfelstrudel muss hinterher so oder so sein, kaum zwei Minuten nach der Bestellung ist er auch schon am Tisch – und sogar lauwarm. Warmer Apfelstrudel ist in jedem Fall besser als kalter, auch wenn der Teig oben, wo er knusprig sein soll, schon die Konsistenz regenfeuchten Papiers hat und an den Rändern ein ins Schleimpatzige gehendes Mundgefühl hervorruft.

Zumindest warm war er, der Apfelstrudel.
Foto: Heribert Corn

Weiter geht’s, ins Ganesha an der Ecke Antonigasse und Martinstraße, nahe der Fußweggürtelbrücke zum AKH. Die Nummer drei der besten Restaurants der Stadt ist der indischen Küche verpflichtet, auch das Tempelambiente mit etlichen Säulen (für speziell exklusiven Effekt mit Applikationen aus goldfarbener Folie) macht einiges her. Der Tag ist feucht, kalt, nebelig, auch im Restaurant ist es dezidiert kühl – beruhigend, dass in diesen ernsten Zeiten Energie gespart wird. So wird die Jacke eben nur fürs Foto ausgezogen und die Thali-Platte (zwei vegetarische, ein Fleischgericht nach Wahl des Küchenchefs) auf Nachfrage scharf bestellt – damit die Hitze eben von innen kommt.

Säulchen...
Foto: Heribert Corn

Fotograf und Testesser sind die längste Zeit die einzigen Gäste, auch der Kellner hat sich offenbar ein wärmeres Plätzchen gesucht und taucht erst beim Servieren wieder auf. Die Thali-Platte, wie es sich gehört auf einer Art Metalltablett mit Vertiefungen angerichtet, besteht aus Butter-Chicken, gemischtem Gemüse in Mandelsauce und Dal, dazu gelbfarbener Basmati, der als Safranreis beschrieben ist, etwas Gurkenjoghurt und ein Chapati-Fladen, der trotz leeren Lokals schon vor längerer Zeit gebraten wurde und am Gaumen entsprechend spröde an Verpackungsmaterial erinnert – wenn auch mit deutlichem Knoflgeschmack.

Vollbad in rosa Sauce

Butter-Chicken und Navratan Korma – das Gemüsegericht – baden beide in einer bemerkenswert flachen, faden Sauce, die in der Hauptsache rosa ist – wie eine mit Fett versetzte, mild salzige Paradeisersauce, die mittels Cayennepfeffer ganz ordentlich scharf hergewürzt wurde. Der Reis ist locker, geschmacklich aber in der Hauptsache gelb, auch hier ist von der legendären Würzkunst der indischen Küche auch mit Fantasie nichts auszumachen.

... und rosa Saucen-Inflation im Ganesha.
Foto: Heribert Corn

Lamm-Biryani, ein legendär komplexes Gericht, das auch in Wien mitunter unter hauchdünner Teigkruste, mit einer atemberaubenden Vielfalt an Gewürzen und Komponenten vollendet wird, stellt sich hier als vergleichsweise dumpf schmeckender Tomatenreis heraus, dem ein Hauch von Kreuzkümmel angedichtet werden kann. Das Lamm spielt darin Verstecken, drei magere Stücke lassen sich nach entsprechendem Stochern herausfischen – die wirken freilich separat gegart und erst vor dem Servieren untergehoben. Obenauf gibt’s oxidierte und leicht angeschrumpelte Ringe von der roten Zwiebel – die können ob ihres metallisch abgestandenen Geschmacks aber nur als Dekoration gemeint sein. Wer jetzt Lust bekommen hat, gleich einen Tisch zu bestellen: Hinterher die Bewertung auf Tripadvisor nicht vergessen! (Severin Corti, 27.11.2022)