Selbst Börsenprofis an der Wall Street sind nicht vor den Fehlern gefeit, die Investierenden sehr häufig unterlaufen.

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An der Börse gibt es nur Schmerzensgeld. Zuerst kommen die Schmerzen, dann das Geld." Was mag der 1999 verstorbene Börsenaltmeister André Kostolany mit diesem Ausspruch wohl gemeint haben? "Am Anfang macht man als Anleger sehr viele Fehler, was zu Verlusten führt, also Schmerzen", erklärt Manfred Frühwirth, Buchautor und Experte für Behavioral Finance an der WU Wien. "Und dass man dann Geld verdienen kann, wenn man diese Fehler nicht mehr macht."

Trotz anfänglicher Verluste sollte man also dabei bleiben – wie viele junge Leute, die während der Corona-Pandemie erstmals im Wertpapiere zu investieren begonnen haben, jetzt aber wegen der jüngsten Talfahrt der Börsen womöglich im Minus sind. Frühwirth spricht sich für eine Buy-and-Hold-Strategie aus, also die Veranlagung in ein breitgestreutes Portfolio langfristig zu halten. Er nennt vier größte Fehlerquellen, die Investierenden dabei auflauern – und daher ausgeschaltet werden sollten.

1. Overconfidence: Eine zu dicke Brust schmälert den Ertrag

Ein Kardinalfehler bei der Veranlagung ist Frühwirth zufolge sogenannte Overconfidence, also zu viel Selbstbewusstsein. Dann neigen Akteure dazu, sich Gewinne selbst an ihre Fahnen zu heften, Verluste aber auf äußere Umstände zurückzuführen. Dieses Denkmuster führt dazu, dass Menschen glauben, die Marschrichtung der Börse vorhersagen zu können, und dager versuchen, von kurzfristigen Kursschwankungen zu profitieren – was meist nicht gelingt. "Viel Hin und Her macht die Taschen leer", zitiert Frühwirth mit Blick auf Spesen und Transaktionskosten einen Börsenspruch und fügt hinzu: "Dem stimme ich zu, und auch die Wissenschaft stimmt zu, dass Market-Timing-Versuche nichts bringen." Langfristig würden Spekulanten eher Geld verlieren als gewinnen. Auch im Management gebe es Menschen mit übertriebenem Selbstvertrauen, Frühwirth nennt Tesla-Chef Elon Musk als Beispiel: "Unternehmen mit selbstüberschätzenden CEOs sollte man meiden."

Der WU-Experte rät generell bei Aktien zu einer breitgestreuten Veranlagung, die langfristig gehalten wird. Dazu eignen sich sogenannte Welt-ETFs, also günstige börsengehandelte Fonds, die einen globalen Aktienindex nachbilden. Dazu empfiehlt Frühwirth etwa den MSCI All Country World Index, der auch Schwellenländer umfasst.

2. Verlustaversion: Gewinne begrenzen, Verluste laufen lassen

Die Verlustaversion führt laut Frühwirth zum sogenannten Dispositionseffekt. "Wenn Anleger im Gewinnbereich sind, verkaufen sie in der Regel zu früh, weil sie dort risikoscheu sind", erklärt der WU-Experte. Im Gegenzug verkaufen sie ein Wertpapier im Minus nicht, weil man einen Verlust realisieren würde, was schmerzhaft ist – sprich, man wird in der Verlustzone wesentlich risikofreudiger. "Das führt aber oft dazu, dass die Aktie weiter sinkt, weil es einfach ein schlechtes Unternehmen ist. Das wird dann eine teure Geschichte", sagt Frühwirt über die Verlustaversion. Denn es verspricht natürlich wesentlich bessere Anlageergebnisse, die Gewinne laufen zu lassen und die Verluste zu begrenzen. Die Verlustaversion hat aber nicht direkt mit der persönlichen Risikobereitschaft zu tun – wobei als Daumenregel gilt: Männer gehen tendenziell mehr Risiko ein als Frauen, und mit zunehmendem Alter sinkt bei Menschen auch die Risikobereitschaft.

Was bei der Altersvorsorge auch sinnvoll ist. Dabei sollte man in jungen Jahren viel Risiko nehmen mit einem hohen Aktienanteil, da zwischenzeitliche Kurseinbrüche langfristig aufgeholt werden. Je näher das Ende des Veranlagungshorizonts rückt, also in der Regel die Pensionierung, desto weniger Risiken sollte man eingehen.

3. Herdentrieb: Was zu Blasen an Finanzmärkten führt

Auch der Herdentrieb ist für Anleger und Investorinnen kein guter Berater. "Es bedeutet, dass man nachmacht, was andere machen, ohne nachzudenken, ob das klug ist", erklärt Frühwirth. Als Beispiel kann man ihm zufolge sämtliche Blasen an den Finanzmärkten heranziehen, wie die Dotcom-Blase der Jahrtausendwende. Wer in diesem Fall der Herde gefolgt ist, hat damals Technologie- und Internetaktien tendenziell viel zu teuer eingekauft. Auch bei Bitcoin handelt es sich für den Experten um eine Blase, über die er sagt: "Man sollte nichts kaufen, das man nicht zu 100 Prozent versteht. Daher sollten die meisten Leute die Finger von Kryptowährungen lassen." Bei steilen Ausverkäufen löse der Herdentrieb den umgekehrten Effekt aus, der dazu führe, dass Investierende Aktien nahe dem Tiefpunkt und damit viel zu billig verkaufen.

Ein anderer häufig begangener Irrtum ist auch der sogenannte Extrapolationsfehler, der zu ähnlichen Ergebnissen wie der Herdentrieb führt. Dabei werden nämlich vergangene Kurstrends einfach fortgeschrieben und entsprechend gehandelt. "Das ist nicht gescheit, wenn es an der Börse Zyklen gibt, was oft der Fall ist", sagt Frühwirt. Also führe auch der Extrapolationsfehler dazu, dass Investierende ihre Aktien und Anlagen tendenziell zu teuer kaufen und zu billig verkaufen.

4. Regret-Aversion: Nichts tun, das man später bereuen könnte

Bloß nichts unternehmen, das man im Nachhinein bereuen könnte. Diese Angst steckt hinter der sogenannten Regret-Aversion, die oft zu ungünstigen Anlageentscheidungen führt. Frühwirth erklärt dieses Phänomen anhand eines in Österreich weitverbreiteten Beispiels: "Viele Leute kaufen keine Aktien, weil sie Angst haben, es später zu bereuen. Das ist die Folge von vorweggenommenem Bedauern." Die Historie zeigt jedoch, dass Investitionen in die Aktienmärkte im Mittel sechs bis sieben Prozent Rendite pro Jahr erwirtschaften. Das Problem: Die tatsächlichen Jahresergebnisse sind sehr unterschiedlich und sprunghaft, sodass es auch längere Verlustphasen geben kann. Darum ist ein langer Anlagehorizont wichtig, um diese schwachen Phasen wieder ausgleichen zu können. Wegen der Regret-Aversion werden auch Anlageprodukte mit einer Höchststandsgarantie angeboten. "Aber diese Garantien sind extrem teuer und kosten viel Ertrag", gibt der WU-Experte zu bedenken.

Ein Beispiel für Regret-Aversion findet sich auf Lottoscheinen, auf denen auch die Jokerzahl gut sichtbar aufgedruckt ist. Daher wird der Joker oft gewählt, weil es Lottospielende sonst mitbekommen würden, dass sie damit etwas gewonnen hätten – und es später bereuen würden. "Das ist ein genialer Trick der Lottogesellschaften", sagt Frühwirth. (Alexander Hahn, 28.11.2022)