Die Games-Branche investierte in den letzten Jahren überlegter als davor. Damit ist Stabilität eingekehrt – zumindest größtenteils.

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Über 100.000 Menschen mussten alleine in den USA im Jahr 2022 gezwungenermaßen die Tech- und Start-up-Branche verlassen. Teure Luftschlösser, wie Zuckerbergs Metaverse, oder der kommerziell gescheiterte Plan mit Amazons Alexa führte in diesem Jahr zu massenhaften Entlassungen. Auch bei Twitter scheint der Abgang von rund 75 Prozent der Belegschaft, von der sich der neue Chef Elon Musk bereitwillig verabschiedet hat, dem Dienst keinen Abbruch zu tun. Bitter ist die neue Lebenssituation für die auf die Straße gesetzten Facharbeiterinnen und Facharbeiter trotzdem.

Eine Branche, die ebenfalls seit jeher von Technik getrieben ist und die Chipkrise sowie die Umstellung auf Homeoffice während der Pandemie stark zu spüren bekam, ist die Games-Industrie rund um Microsoft, Sony und Nintendo. Auch hier gab es in diesem Jahr Einschläge, der große Jobabbau war allerdings nicht zu beobachten. Bleibt die Frage, ob dieser zeitverzögert 2023 einschlagen könnte.

Zum Anfassen

"Der große Vorteil an der Games-Branche ist, dass wir ein Produkt herstellen", erklärt Martin Filipp, der neben seiner Rolle als Managing Director beim Wiener Entwickler Mipumi auch noch Sprachrohr der Pioneers of Game Development Austria (PGDA) ist, eines Verbandes, der die Interessen der Branche in Österreich vertritt. Im Gegensatz zu Social-Media-Plattformen, deren Umfeld schnelllebiger geworden ist, konnten die Spielerzahlen in der gesamten Games-Branche in den letzten Jahren stetig gehoben werden beziehungsweise der damit verbundene Gewinn.

Durch die Pandemie seien viele Spieler sogar zurück zum Hobby Gaming gekommen, andere hätten die Stunden vor der Konsole erhöht. Die Kundenbasis sei wesentlich stabiler, da man weniger der "Weltwirtschaft" unterworfen sei wie andere Konzerne, deren Geschäftsmodell vor allem von Anzeigenschaltungen leben würde. "Obwohl wir eine verhältnismäßig junge Branche sind, könnte man sagen, unser Geschäftsmodell erinnert viel mehr an die Old Economy als diverse Social-Media- oder Werbe-Firmen", sagt Filipp. Es gehe um ein verkaufbares Produkt, mit dem Endkonsumenten Zeit verbringen wollen.

Außerdem befände man sich als Spielehersteller in dem Ökosystem der Hardware-Hersteller wie Microsoft oder Sony, die bestimmte, unverrückbare Rahmen vorgeben. Der größte Anteil der Kosten seien in der Games-Branche weiterhin die Personalkosten, weil man "gutes Geld" zahlen müsse, um auch gute Leute holen zu können. Offen kann man aber auch sagen, so Filipp, dass sich die Games-Branche an der finanziellen Unterkante der Tech-Industrie befindet. Wer wirklich Geld verdienen möchte, der geht woanders hin.

Umsatz im Markt für Videogames weltweit von 2016 bis 2020 und Prognose bis 2025 nach Segment.
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Veränderungen geschehen langsam

Vor 15 Jahren prognostizierte man der Games-Branche eine zunehmende Digitalisierung und das Verschwinden des stationären Handels. Darauf verlassen hat man sich aber nie. Nur langsam erhöhte man das Digitalangebot, fuhr ewig zweigleisig, um keine Kunden zu verlieren. Im letzten Jahr haben die Digitalverkäufe erstmals die Schachtel, in der das Spiel verpackt sein kann, überholt. Dinge wie das Metaverse, wo so mancher Optimist offenbar demnächst schon damit gerechnet hat, werden mindestens noch zehn bis 15 Jahre brauchen, bis sie in eine Form gebracht sind, wie sie Zuckerberg bei der Ankündigung 2021 präsentiert hatte. Die bisher investierten 43 Milliarden sind da wohl erst der Anfang, und Meta scheint keinen Plan B zu haben, was den Aktionären zuletzt bitter aufgestoßen ist.

Teure Luftschlösser leisten sich die etablierten Games-Firmen deshalb schon lange nicht mehr. Microsoft setzt zwar voll auf die Digitalisierung und das Streamen von Spielen – vor allem in Form eines Aboservices namens Gamepass –, vergisst dabei aber nicht darauf, auch auf die Community zu hören und wichtige Marken einzukaufen. Auch der japanische Unterhaltungskonzern Sony überlässt mit seiner Playstation-Strategie wenig dem Zufall. Anstatt einen völlig neuen Weg zu gehen, setzt man weiterhin auf eine stationäre Konsole, verkauft Vollpreistitel mit großen Namen und fährt so einen Erfolg nach dem anderen ein.

Im Februar geht man mit der hauseigenen Virtual-Reality-Brille PSVR in die zweite Runde, und auch wenn die Spielerzahlen zuletzt in diesem Bereich nicht explodiert sind, es ist ein guter Service, bestehende Kunden im eigenen Ökosystem zu halten.

Nintendo arbeitet nahezu wie vor 15 Jahren, nähert sich dem Online-Kosmos nur langsam und verkauft trotzdem mit dem neuesten Pokémon-Spiel im November 2022 rund zehn Millionen Stück in nur drei Tagen: Rekord.

Auch wenn in jedem Jahr das eine oder andere Games-Studio seine Pforten wegen Misserfolgs sperren musste, der große Exodus blieb bisher aus. Die Branche hat wirtschaften gelernt und lässt in der Regel die Finger von millionenschweren Testläufen, die schiefgehen können. Manchmal geschieht es dann doch, etwa bei der Branchen-Größe Electronic Arts mit "Battlefield 2042". Nicht umsonst wurden Gerüchte laut, Amazon könnte Interesse am vor allem für Sportspiele bekannten Entwickler und Publisher haben. Bisher blieb es bei den Gerüchten, aber auch Amazon stellt mittlerweile Spiele her, die zumindest Achtungserfolge feiern konnten. Eine Ehe zwischen den beiden könnte 2023 nötig sein, um EA vor schlimmeren Konsequenzen zu schützen, schließlich wird das alteingesessene "Fifa" nächstes Jahr aufgrund von Lizenz-Streitigkeiten mit dem Verband Fifa erstmals anders heißen.

Der im November 2022 erschienene "Pokémon"-Teil brach alle Rekorde der Vorgänger und verkaufte sich innerhalb von drei Tagen rund zehn Millionen Mal.
Foto: Nintendo

Hire and Fire

Zu schnell gewachsen und mit den Erwartungen falsch gelegen ist 2022 eigentlich nur Google. Der Versuch, mit dem Streaming-Service Stadia Leute ohne exklusive Software zu begeistern, wurde viel zu schnell aufgegeben. Nur zwei Jahre nach Eröffnung schloss man die hauseigenen Games-Studios wieder und verteilte die Mitarbeiter laut eigenen Angaben im Unternehmen. Andere, etwa die Produzentin Jade Raymond, fanden bei Sony schnell ein neues Zuhause.

"Der Unterschied zwischen der Games-Branche und anderen Tech-Branchen ist, dass auch in Krisenzeiten Personen für vergleichsweise wenig finanziellen Aufwand viel Unterhaltung beziehungsweise Wert liefern", erklärt Gabriele Hebart vom Grazer Spiele-Entwickler Bongfish. "Massive Hiring-Phasen" versucht man in der Regel zu vermeiden. Auch bei Bongfish sei man über die Jahre gesund gewachsen. "Wir versuchen erst Positionen zu besetzen, wenn wir auch eine langfristige Sicherheit für diese haben." Genau wie Mipumi hat auch Bongfish einen Co-Development-Fokus, das heißt, man arbeitet kooperativ mit internationalen Unternehmen, um eine gewisse Stabilität zu bekommen.

Durch mehrere Projekte gleichzeitig könne man so die Gefahr von "schwierigen Zeiten" reduzieren. Was 2023 passieren wird, könne man allerdings noch nicht sagen. Man hänge "auch stark von der aktuellen politischen Situation" ab, und neue Projekte hätten "eine gewisse Vorlaufzeit", was heißt, dass für 2023 noch vieles, "Positives wie auch Negatives", möglich sei. (Alexander Amon, 29.11.2022)