Georg Friedrich Haas hat den Iguazú-Wasserfällen Musik abgelauscht.

Nafezrerhuf

Als Ausdruck und Resultat der überbordenden Kreativkraft von Wien Modern überwinden zahlreiche Projekte die Mauern der Festivalheimstatt, des Konzerthauses. Lustvoll greifen sie Raum in benachbarten Institutionen: So war Olga Neuwirths Zehnstünder coronAtion I-VI etwa in Otto Wagners Postsparkassengebäude zu erlauschen. Georg Friedrich Haas wiederum machte mit ceremony II das Kunsthistorische Museum zu einem begehbaren XL-Konzertsaal, in dem Alte Meister und Neue Musik für vier Stunden zu einem synästhetischen Nebeneinander fanden.

Zwei Wochen zuvor war die Durchfahrt des Musikvereins zum Resonanztunnel für sein Werk Open Spaces II verwandelt worden.

Zum Finale der Haas-Festspiele lud Wien Modern am Samstag ins Mak. Von barocker Üppigkeit der Titel des Werks (Iguazú superior, antes de descender por la Garganta del Diablo), von beeindruckender Macht auch dessen Inspirationsquelle: die südamerikanischen Iguazú-Wasserfälle. Bei der Annäherung des Komponisten an das Naturschau- und -hörspiel musste dieser mehrere Brücken überschreiten, unter denen das Wasser immer schneller durchfloss.

Stetes Acerlerando

Dies führte zur Konzeption des Stückes als ein Accelerando; das beschleunigte Material entschwindet nach Haas‘ Beschreibung in einer Spirale, während das nächste "seine neue, wiederum sich steigernde Beschleunigung darüberlegt".

In der schmucken Säulenhalle leitete Christoph Sietzen eine Version für zehn Schlagwerkerinnen und Schlagwerker des Ensembles Motus Percussion aus dem Umfeld der Anton Bruckner Privatuniversität Linz. Nachdem sich zu Beginn isolierte Klanginseln kurz zu einem brodelnden Strom verbunden hatten, bildeten über weite Strecken drei Trommler das Herz des Klangwerks; archaische Kraft und tänzerische Eleganz verbanden sich mit der Präzision eines Uhrwerks.

Eine Musik von hypnotischer, verzaubernder Kraft erfüllte den dunklen Raum. Aufgrund der in Schleifen konzipierten Struktur des Werks war es in Form eines Hop-On/Hop-Off-Events erlebbar, das Publikum konnte das Konzert nach Belieben betreten und verlassen.

Wäre es nicht ein lohnender Gedanke, den gesamtgesellschaftlichen Resonanzraum von Wien Modern schlagartig zu erweitern, indem man mit solch einzigartigen Veranstaltungen in Zukunft in neue Sphären vordringt? Im Atrium der Lugner City etwa könnte man der elitären Klausur jener Tempel entfliehen, in denen man die Heilslehren der Neuen Musik größtenteils den Bekehrten predigt. (Stefan Ender, 28.1.2022)