Es klingt mehr nach Science-Fiction denn nach Wissenschaft, was einem Team chinesischer Chemiker kürzlich gelungen ist: Sie konnten den vollständigen biochemischen Prozess, durch den in Kokablättern Kokain produziert wird, mittels Gentechnik in einer Tabakpflanze reproduzieren. Das macht die Herstellung der Droge einfacher, wie das Team im Fachblatt "Journal of the American Chemical Society" berichtet. Als mögliche Anwendungsmöglichkeit haben die Forscher wissenschaftliche Zwecke vor Augen – auch wenn sich weitere Ideen aufdrängen.

Kokain wird herkömmlich aus den Blättern des Kokastrauchs gewonnen und chemisch zu einem weißen, kristallinen Pulver aufbereitet, das gerne als Rauschdroge missbraucht wird.
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Rätselhafte Biochemie

Seit mehr als einem Jahrhundert waren Forscher dem Rätsel auf der Spur, wie Kokain in der Kokapflanze hergestellt wird. Während die Substanz ursprünglich für rituelle und medizinische Zwecke eingesetzt wurde, wird sie heute vor allem als Rauschdroge verwendet – mit extrem hohen psychischem Abhängigkeitspotenzial. Darüber weist Kokain eine außergewöhnliche chemische Struktur auf.

Sheng-Xiong Huang und Kollegen vom Kunming-Institut für Botanik in China konnten das letzte ungelöste Puzzlestück zur Erzeugung von Kokain nun aufklären, indem sie in den biochemischen Prozess zwei Enzyme hinzufügten.

Kokapflanzen in Bolivien: Gemeinsam mit Kolumbien und Peru steht das Land an der Spitze der weltweiten Kokainproduktion.
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Kokain aus Gentechnik-Tabak

In weiterer Folge zogen die Forscher die Tabakpflanze Nicotiana benthamiana heran und veränderten diese genetisch in einer Weise, dass durch Hinzugabe der beiden Enzyme in der Tabakpflanze Kokain produziert wurde. Konkret konnten die Forscher etwa 400 Nanogramm Kokain pro Milligramm getrockneter Blätter herstellen – das ist etwa ein Viertel der Menge verglichen mit der Produktion in Kokapflanzen.

"Derzeit reicht die verfügbare Produktion von Kokain in Tabak nicht aus, um die Nachfrage in großem Maßstab zu befriedigen", wird Sheng-Xiong Huang im Wissenschaftsmagazin "New Scientist" zitiert. Allerdings könnte der nun entschlüsselte Biosyntheseprozess auch in Organismen mit großer Biomasse und schnellerem Wachstum nachgestellt werden, stellte der Forscher in Aussicht – etwa im Bakterium Escherichia coli oder der Hefe Saccharomyces.

Eine gentechnische Modifikation der Tabakpflanze Nicotiana benthamiana diente als Modellorganismus, um Kokain in einer anderen Pflanze zu synthetisieren.
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Für den britischen Pflanzenbiologen Benjamin Lichman von der University of York, der nicht an der Studie beteiligt war, eröffnet die Arbeit eine wichtige Tür für die pharmazeutische Forschung. "Das könnte es Pharmaunternehmen ermöglichen, Kokain zu fermentieren und so die pflanzliche Produktion vollständig abzuschaffen. Das wird enorme Auswirkungen auf die Lieferkette und möglicherweise sogar auf die illegale Produktion haben", sagte Lichman zum "New Scientist".

Verheerende ökologische Folgen des Anbaus

Generell liegt bei der Produktion von Kokain einiges im Argen, nicht nur, was Kriminalität und Menschenrechtsverletzungen angeht. Kolumbien, Peru und Bolivien dominieren den globalen Markt der Kokainproduktion. Wie Schätzungen ergeben haben, fallen jedem Gramm Kokain vier Quadratmeter Urwald zum Opfer. Rund 30 Prozent des jährlichen Waldverlusts in Guatemala, Nicaragua und Honduras gingen innerhalb von zehn Jahren auf den Kokainhandel zurück. (Tanja Traxler, 29.11.2022)