Der Nichtverkauf von Bier in den katarischen Fußballstadien, die geringere Anzahl reisender Fans als üblich bei Turnieren und auch das Ausbleiben richtig heikler Aufeinandertreffen haben bisher zu relativ wenigen Szenen gewaltbereiter Fans vor Ort bei dieser WM gesorgt. Mitunter – wie bei Fußballgroßveranstaltungen mittlerweile leider bereits üblich – lagerten sich diese aber an andere Orte aus. So kam es auf der spanischen Urlaubsinsel Teneriffa bereits vergangene Woche zu einer handfesten Massenschlägerei dutzender englischer und walisischer Fans. Infolge überbordenden Nationalstolzes kommt es aber auch unter Diaspora-Gruppen immer wieder zu Ausschreitungen – manchmal untereinander, da und dort gegen Fans aus dem Staat des aktuellen Aufenthaltsorts, immer wieder aber auch gegen die Staatsgewalt.

Ein junger Mann hält die marokkanische Flagge vor brennenden E-Scootern.
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So auch am Sonntag: Da krachte es in Belgien und den Niederlanden vor allem zwischen der marokkanischen Diaspora und den lokalen Sicherheitskräften. Zuvor hatte das Team aus Nordafrika überraschend mit 2:0 gegen die roten Teufel aus Belgien gesiegt, der alternden "goldenen Generation" eine schwere Niederlage zugefügt.

In der Folge sollen sich die Feierlichkeiten vieler aus Marokko stammender junger Männer zunächst in Brüssel, dann aber auch in Antwerpen und Lüttich zu handfesten Krawallen entwickelt haben. Neben E-Scootern, die in Richtung der Polizeikräfte geworfen wurden, wurde in der belgischen Hauptstadt auch ein Auto in Brand gesetzt und weitere schwer demoliert.

DER STANDARD

Ein Journalist wurde durch einen pyrotechnischen Gegenstand im Gesicht verletzt. Es kam zu einigen handfesten Auseinandersetzungen, in deren Folge rund ein Dutzend Personen festgehalten und eine verhaftet wurde. In Antwerpen, wo ein Fest fröhlich begonnen hatte, setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Auch hier soll es zu Verhaftungen gekommen sein.

Ausschreitungen auch in den Niederlanden

Auch in der niederländischen Hauptstadt Amsterdam griff die mobile Einsatzpolizei später am Abend ein. Marokkanische Fans weigerten sich, den Mercatorplatz freizumachen, sie setzten Gegenstände in Brand und zündeten Feuerwerk. In Rotterdam bewarfen einige Hundert Jugendliche die Polizei mit Gläsern und Feuerwerkskörpern. Die Polizei trieb die Gruppe auseinander. In Den Haag feierten im Stadtteil Schilderswijk die Fans den marokkanischen Sieg erst recht harmlos mit einem Hupkonzert, dann wurden Rauchbomben geworfen und Feuerwerkskörper gezündet. Zudem öffneten sie Türen vorbeifahrender Autos. Als die Stimmung eskalierte, griff die Einsatzpolizei ein.

Vielerorts wurde friedlich und gemeinsam das Spiel verfolgt, getrauert und gefeiert.

Menschen aus Marokko stellen in Belgien infolge eines Vertrags von 1964 zur Einladung von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern mit rund einer halben Million die größte Gruppe an Nicht-EU-Bürgern. Neben Marokko kommen die restlichen Arbeitskräfte vor allem aus Frankreich. Marokkanischstämmige Politikerinnen wie die Co-Präsidentin der grünen Partei Ecolo, Rajae Maouane, verurteilten die Ausschreitungen jedenfalls prompt.

Es gebe keinerlei Entschuldigung für die Gewalt. Echte Fans würden friedlich feiern, so Maouane. Auch sonst wurden die Exzesse von führenden Politikerinnen und Politikern allesamt verurteilt. Viele betonten jedoch gleichzeitig, dass die überwiegende Mehrheit friedlich feierte und dass das auch in Zukunft gemacht werden sollte. Rechte Parteien nutzten die Ausschreitungen, um Stimmung gegen jenen Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund zu machen, und legten ihnen kollektiv die Ausreise ans Herz. (faso, 28.11.2022)