Viele wichtige Untersuchungen, etwa im Bereich der Kardiologie, könnten in Kassenpraxen in gleicher Qualität durchgeführt werden wie in Spitalsambulanzen. Doch der Leistungskatalog sieht das nicht vor. Das soll nun geändert werden.

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Frau S. hat ein genetisch bedingtes Herzproblem: Es kommt vor, dass ihr Herz einfach zu schlagen aufhört, sie erleidet dann einen Herztod. Das erste Mal passierte das 2011, sie war damals 16. Sie konnte reanimiert werden, musste mehrere Wochen auf der Intensivstation verbringen und bekam einen Defibrillator eingesetzt. Seither ist das Herz der heute 27-Jährigen noch 16-mal stehen geblieben, der Defibrillator sorgt dann dafür, dass es wieder zu schlagen beginnt. Sie kann dadurch ein weitgehend normales Leben führen.

Dieser eingebaute Defibrillator muss regelmäßig kontrolliert werden, ob er einwandfrei funktioniert und ob der Akkustand noch ausreichend ist. Sinkt die Akkuleistung unter fünf Prozent, muss der Akku ausgetauscht werden. Ein zu langes Kontrollintervall könnte im schlimmsten Fall tödlich sein. Frau S. hatte die letzte Kontrolle vor dem Sommer, der Akkustand ihres Geräts lag bei 16 Prozent. Im September sollte die nächste Kontrolle stattfinden – nur leider war das zu diesem Termin aufgrund mehrere Krankenstände in der Ambulanz eines Wiener Krankenhauses nicht möglich. Ein neuer Termin: in einigen Wochen.

An sich ist sie sehr zufrieden mit ihrer Betreuung in der Spitalsambulanz, betont Frau S., sie fühlt sich dort gut aufgehoben. Aber in dieser Situation wurde sie doch panisch. Ein weiterer Herzstillstand folgte, bei dem ihr der Defibrillator das Leben rettete, wie hoch der Akkustand noch war, wusste sie nicht. Auf Intervention ihrer niedergelassenen Ärztin hat die Untersuchung mittlerweile stattgefunden, der Akkustand liegt bei elf Prozent und wird nun regelmäßig per Telemedizin überprüft. Sobald die Leistung auf fünf Prozent sinkt, wird er ausgetauscht. Bleibt die Frage: Warum muss Frau S. für diese Untersuchung ins Krankenhaus? Kann ihre Ärztin diese nicht übernehmen?

Leistung kann nicht abgerechnet werden

Selbstverständlich könnte sie diese regelmäßige Untersuchung erbringen, betont Bonni Syeda, Internistin und Kardiologin in der internistischen Kassen-Gruppenpraxis Internist Nord. Sie selbst hat viele Jahre auf einer kardiologischen Ambulanz gearbeitet, ein Jahr davon ausschließlich auf der Schrittmacher-Ambulanz, sie weiß genau, was zu tun ist. Doch sie kann diese Untersuchung nicht über die Gesundheitskasse abrechnen – sie ist im Leistungskatalog nicht enthalten.

Der Grund dafür ist kein gesundheitlich relevanter, sondern ein historisch gewachsener: Die Versorgungsstruktur wurde ursprünglich für Spitäler etabliert, die Abrechnungsverträge der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte mit der Gesundheitskasse wurden seit vielen Jahren nicht angepasst. Die Kapazitäten in den Krankenhaus-Ambulanzen sind aber ausgelastet bis hin zur Überlastung, dadurch entstehen lange Wartezeiten, immer wieder kommt es zu Terminausfällen. Und die Kapazitäten sind auch nicht gewachsen, obwohl mittlerweile mehr Menschen Herzschrittmacher oder Defibrillatoren eingesetzt haben. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch man schätzt die Zahl der Patientinnen und Patienten mit so einem Device allein in Wien auf rund 20.000 – das dürfte rund ein Viertel aller Betroffenen in Österreich sein.

Außer in Vorarlberg – dort gibt es einen Sondervertrag zwischen Gesundheitskasse und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten – wird die Betreuung aufgrund dieser Abrechnungssituation ausschließlich in Spitalsambulanzen durchgeführt. Dabei wäre das nicht notwendig, betont Georg Delle Karth, Internist, Kardiologe und Vorstand der Kardiologie an der Klinik Wien Floridsdorf, bei einem Hintergrundgespräch in der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK): "Eine Nachsorge von Patientinnen und Patienten mit Schrittmacher nur im Krankenhaus ist nicht mehr zeitgemäß. Die Kolleginnen und Kollegen im niedergelassenen Bereich sind bestens ausgebildet, sie können diese Untersuchungen mit gleicher Qualität durchführen." Das würde Betroffenen nicht nur lange Wartezeiten und Stress ersparen, es könnte wohl auch kostengünstiger durchgeführt werden, man rechnet mit einer Einsparung von zumindest zehn Prozent.

Keine Rheumatologen auf Kasse

Das Beispiel von Frau S. und ihrem Defibrillator ist nur eines von vielen, es bringt aber die aktuelle Situation sehr gut auf den Punkt. Ähnliche Probleme gibt es in vielen weiteren medizinischen Bereichen, etwa bei der Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche. Ein wiederkehrendes Problem bei Herzinsuffizienz sind Wasseransammlungen, diese beginnen in den Beinen, bei fehlender Behandlung kann es zu Wasseransammlungen in der Lunge kommen, oft wird dann ein Spitalsaufenthalt nötig.

"Die Betroffenen brauchen engmaschige Kontrollen, die derzeit nur in den Spitalsambulanzen auf Kasse geleistet werden können", betont Kardiologin Syeda, die auch Sektionsobfrau der niedergelassenen Fachärzte in der Ärztekammer für Wien ist. "Könnten wir diese Kontrollen in den Ordinationen durchführen, würde das den Betroffenen womöglich Krankenhausaufenthalte ersparen. Denn man könnte frühzeitig medikamentös gegensteuern, den Patientinnen und Patienten eine bessere Lebensqualität bieten und gleichzeitig Geld sparen."

Ähnliche Situationen kennen Betroffene mit rheumatischen Erkrankungen oder Diabetes. Insgesamt zwei Millionen Menschen in Österreich haben rheumatische Beschwerden, sie alle können nur in entsprechenden Spitalsambulanzen betreut werden – denn die Leistungen können über die Kassenverträge in niedergelassener Praxis nicht abgerechnet werden. In den überlasteten Ambulanzen kommt es aber oft zu monatelangen Wartezeiten. Einzige Alternative für Betroffene ist eine Wahlärztin oder ein Wahlarzt.

Ein weiteres Beispiel ist die Betreuung von Diabetes-Patientinnen und P-atienten, die endokrinologische Betreuung benötigen. Auch diese Leistungen können über den Leistungskatalog in niedergelassenen Praxen nicht abgerechnet werden, was zur Folge hat, dass die Fachambulanzen stark überlastet sind. Die Liste der Beispiele ließe sich weiter fortsetzen.

Hoffen auf den Finanzausgleich

Diese Zustände führen nicht nur zur Überlastung der Ambulanzen und damit einhergehender schlechterer Versorgung der Betroffenen, sie sorgen auch bei Ärztinnen und Ärzten für Frust – und zu immer weniger Kassenverträgen, sagt Erik Randall Huber, Urologe mit Kassenpraxis und Vizepräsident der Wiener Ärztekammer: "Ärztinnen und Ärzte mit Kassenpraxis wollen keine Rechnung stellen, das widerstrebt den allermeisten sehr. Es macht mir keinen Spaß, wenn ich einer Patientin oder einem Patienten in meiner Ordination im 20. Bezirk sagen muss, sie können auf eine Ambulanztermin warten oder die Untersuchung kostet in der Ordination 200 Euro, weil ich sie über den Leistungskatalog nicht abrechnen kann. Und das ist im Grunde der Selbstkostenpreis."

Sein Anliegen – und das aller Ärztinnen und Ärzte mit Kassenpraxis – ist es, eine State-of-the-Art-Behandlung zu ermöglichen, die nicht von veralteten Leistungskatalogen beeinträchtigt ist. Denn "moderne Medizin bedeutet, dass man die Leistung dort anbietet, wo sie gut erbracht werden kann. Die Spitäler funktionieren sehr gut. Aber wenn so viele Leistungen dort erbracht werden müssen, sind Überlastungen vorprogrammiert", betont Primar Delle Karth von der Klinik Floridsdorf.

Das Geld dafür sei da, nur werde es falsch verteilt, sagt Huber. Es gebe auch viele Lösungen, aber man müsse auch die Ärztinnen und Ärzte ins Boot holen. Huber ist es dabei wichtig, nicht weitere Blockaden aufzubauen, er betont: "Um hier etwas zu ändern, müssen einige über ihren Schatten springen, auch die Ärztekammer." Deshalb hat die Ärztekammer Wien jetzt einen Katalog mit Vorschlägen zu zehn Bereichen erstellt, die zur Entlastung von internistischen Spitalsabteilungen beitragen können, indem Leistungen in niedergelassene Praxen ausgelagert werden. Die drei oben genannten Beispiele gehören dazu.

Die Hoffnung, wichtige Leistungen zum Vorteil der Patientinnen und Patienten bald auch im niedergelassenen Bereich anbieten zu können, ruht nun auf den Anfang 2023 beginnenden Verhandlungen zum Finanzausgleich. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger verhandeln da unter anderem, wie die Gesundheitskosten aufgeteilt werden. Denn ein Teil der Leistungen wird vom Bund bezahlt, ein Teil von den Ländern. Hier gilt es, die Durchlässigkeit der Systeme zu verbessern. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat seine Bereitschaft schon mehrmals signalisiert, zuletzt am 23.11. in einem "ZiB 2"-Interview. Und auch Ärztekammer-Funktionär Huber ist positiv gestimmt: "Es ist mittlerweile wirklich allen klar, dass es hier ein Problem gibt. Und das will man auch beheben. Ich hoffe, wir werden hier bald Verbesserungen sehen. Das verbessert die Lebensqualität, und es bringt ja auch volkswirtschaftliche Vorteile, wenn Lebens- und Arbeitszeit gespart werden können." (Pia Kruckenhauser, 28.11.2022)