Im Gastblog berichten die Wissenschafter und Wissenschafterinnen Marina Dević, Hannah Skerjanz, Nicole Mittermair, Lukas Waltenberger von ihrer Forschung bei einem Gräberfeld in Zentralbosnien.

Archäologische Ausgrabungen sind eine der wichtigsten Informationsquellen, um materielle Überreste vergangener Gesellschaften zu untersuchen. Im Herbst 2021 haben wir mit der Entdeckung der Nekropole von Kopilo in Zentralbosnien eine unglaubliche Reise begonnen und im Frühjahr 2022 fortgesetzt. Es handelt sich um eine der aktuell wichtigsten urgeschichtlichen Entdeckungen des Balkans. Gräber der Spätbronze- und Früheisenzeit (circa 1300 bis 750 vor Christus) waren eine Seltenheit in diesem Teil Bosniens und Herzegowinas, gut dokumentierte und systematisch ausgegrabene Bestattungen gab es bis dato nicht.

Erstmals konnte ein Team aus Archäologinnen und Archäologen des Österreichischen Archäologischen Instituts unter der Leitung von Mario Gavranović ein gesamtes Gräberfeld dieser Zeitstufen auf einer Hangterrasse freilegen und dokumentieren. Die Verstorbenen wurden in seitlicher Position mit leicht angewinkelten Armen und Beinen auf gesetzten Steinplatten oder dem anstehenden Fels bestattet, häufig auch mit Beigaben wie Keramikgefäßen oder Bronzeschmuck. Darüber wurden kreisförmige Steinstrukturen errichtet.

Besonders spannend ist, dass in diesem Zeitraum in benachbarten Regionen die Verbrennung von Toten und die Bestattung ihrer Überreste in Urnen vorherrschte. Damit grenzen sich die in Zentralbosnien beobachteten Bräuche der Grablege ganz entscheidend von der weiteren Umgebung ab. Diese ersten Erkenntnisse über die Lebensweise der in Kopilo bestatteten Menschen und ihre komplexen Bestattungssitten sind bereits jetzt sehr wertvoll für die Wissenschaft und werden weiter erforscht.

Natur pur

Bereits bei der Entdeckung der Fundstelle war klar, dass die Gräber aufgrund der geringen Tiefe, in der sie sich befanden, gefährdet waren und eine rasche Ausgrabung nötig sein würde. Auf einer Fläche von 1700 Quadratmeter konnten insgesamt 46 Gräber geborgen werden. Aufgrund der Größe der freigelegten Fläche blieben einige Teile der Schnitte für längere Zeit unberührt. Für uns bedeutete das in weiterer Folge viel Gartenarbeit wie etwa wiederholtes Unkraut jäten, damit die Fläche für die Aufnahme der Fotodokumentation vorbereitet ist. Mit der täglichen Arbeit in der Natur gingen auch einige tierische Besuche einher. Da die Fläche für ein gesamtes Abdecken mit Planen zu groß war, entfernten wir auch regelmäßig Spuren nächtlicher Aktivitäten von (Wild-)Tieren. Zu unseren Besuchern untertags zählten neben Schlangen, Füchsen und Rehen auch Haustiere der Umgebung, wie Hunde, Katzen und sogar ein Pferd.

Unsere tierischen Besucher versüßten uns den Grabungsalltag.
Foto: Marina Dević, Hannah Skerjanz, Nicole Mittermair, Lukas Waltenberger

Bei Wind und Wetter

In der Regel dauern archäologische Feldkampagnen zwischen vier bis sechs Wochen. Um der Bedeutung dieser Fundstelle gerecht zu werden, war dieses Mal ein größerer Zeitaufwand erforderlich. Somit haben wir insgesamt 15 Wochen auf der Grabungsfläche verbracht und fast alle Jahreszeiten im zentralbosnischen Gebirge miterlebt.

Der Ausblick von der Fundstelle auf die Stadt Zenica beeindruckt bei jeder Witterung.
Foto: Marina Dević, Hannah Skerjanz, Nicole Mittermair, Lukas Waltenberger

Vor allem das Wetter stellte dabei eine der größten Herausforderungen dar. Überraschende Gewitter und Regenfälle, die oft innerhalb kürzester Zeit das gesamte Tal verschluckten und aus Gruben gefüllte Wasserlöcher machten, forderten uns genauso wie unglaubliche Hitzewellen mit bis zu 40 Grad. Das Wetter zwang uns mehrmals dazu, schnell Schutz zu suchen und somit lernten wir in kurzer Zeit, aus Abdeckplanen Zelte für über zehn Menschen zu improvisieren.

Wasserpfützen und wetterbedingte Arbeitspausen waren Teil des Grabungsalltags.
Foto: ÖAW-ÖAI, I. Petschko, Marina Dević, Hannah Skerjanz, Nicole Mittermair, Lukas Waltenberger

Welchen Einfluss das Wetter auf die Fundstelle am Hang hatte, haben wir besonders nach den Regenfällen bemerkt. Einige Gräber mussten mehrmals ausgegraben und für die Fotodokumentation geputzt werden, da Erdmaterial von oberen Bereichen sie überdeckte. Teilweise sahen Strukturen so aus, als ob wir sie zum ersten Mal freilegen würden. Um in solchen Fällen den Informationsverlust so gering wie möglich zu halten, sind tägliche Arbeitsfotos und laufende Dokumentation besonders wichtig.

Teamwork makes the dream work

Kaum ein Beruf baut so sehr auf Teamwork wie die Archäologie. Das gilt besonders für Ausgrabungen, wo Tonnen von Erde ohne Maschinen bewegt werden sowie eine Großzahl an Funden und Strukturen dokumentiert, fotografiert, vermessen und interpretiert werden müssen. Unser Team bestand aus zehn Archäologinnen und Archäologen, einem Anthropologen und fünf Mitarbeitern. Die Aufgabenbereiche sind klar verteilt und unterschiedliche Spezialgebiete einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dabei besonders hilfreich, wie beispielsweise die anthropologische Auswertung der Knochen oder die 3D-Dokumentation. Es erfordert mehr als Muskelkraft und Köpfchen eines Einzelnen, um alle erforderlichen Maßnahmen dem wissenschaftlichen Standard gerecht zu meistern.

Abwechslungsreiche Arbeit bedeutet auch: mit Planen Schatten für das perfekte Foto werfen. Nach dem Oberbodenabtrag werden Flächen geputzt und Strukturen vermessen.
Foto: ÖAW-ÖAI/ I. Petschko , Marina Dević, Hannah Skerjanz, Nicole Mittermair, Lukas Waltenberger

Teil eines Grabungsteams im Ausland zu sein bedeutet auch, dass wir mit Archäologinnen und Archäologen sowie Institutionen vor Ort in engem Kontakt stehen. Die gelungene Zusammenarbeit mit bosnischen Kolleginnen und Kollegen war dabei maßgeblich für den Erfolg der Grabungen verantwortlich. Durch die Dauer unserer Feldforschungen und die intensive Teamarbeit entstand schnell ein familiäres Verhältnis innerhalb der Gruppe. Motivation und Hilfsbereitschaft standen genauso an der Tagesordnung wie Spaß und Humor. Täglich fand ein Wissens-, Erfahrungs- und Kulturaustausch statt, was uns zeigte, wie wichtig internationale Projekte und Kooperationen sind. Bei den gemeinsamen Mittagspausen gab es zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder muslimischen Festen wie Bayram Kaffee, Kuchen und sogar Cevapcici. Neben der professionellen Zusammenarbeit entstanden und wuchsen Freundschaften, die auch über die 15 Wochen hinaus fortbestehen, denn Archäologie kann vieles, aber eines besonders: Menschen verbinden.

Ausflüge, Pausen und gutes Essen schweißten unser Arbeitsteam richtig zusammen.
Foto: ÖAW-ÖAI/ Marina Dević, Hannah Skerjanz, Nicole Mittermair, Lukas Waltenberger

Was bleibt?

Am Ende der beiden Grabungskampagnen haben wir viel gewonnen – herausragende Ergebnisse und einen Einblick in das Leben der prähistorischen Menschen. Viele neue Fragen, die sich während der Arbeit ergaben, warten jetzt darauf, in Folgeprojekten beantwortet zu werden. Für jeden und jede Einzelne bleibt jedoch zusätzlich die Erinnerung an die gemeinsame Zeit, die wir als internationales Team verbringen durften und von der wir noch lange zehren werden! (Marina Dević, Hannah Skerjanz, Nicole Mittermair, Lukas Waltenberger, 1.12.2022)