Cannabis ist in Russland nicht als Therapeutikum zugelassen. In den Niederlanden, Deutschland oder Österreich ist das anders.

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Menschen, die an einer schweren Krankheit leiden, dürfen nicht abgeschoben werden, wenn sie in ihrem Heimatland nicht ausreichend behandelt werden können und dadurch großen Schmerzen ausgesetzt wären. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem kürzlich veröffentlichten Urteil klargestellt (EuGH C-69/21).

Anlass der aktuellen Entscheidung war der Fall eines Russen, der mit 16 Jahren an einer seltenen Form von Blutkrebs erkrankte und derzeit in den Niederlanden behandelt wird. Dabei wird ihm unter anderem medizinisches Cannabis zur Schmerzbekämpfung verabreicht – eine Behandlungsmethode, die in Russland verboten ist.

Da die Niederlande mehrere Asylanträge des mittlerweile 32-jährigen Russen abwiesen und eine Rückkehrentscheidung gegen ihn trafen, zog der Mann vor Gericht. Ihm müsse ein Aufenthaltstitel oder zumindest ein Aufschub der Abschiebung gewährt werden.

Die Behandlung mit Cannabis sei für ihn so wesentlich, dass er ohne sie "nicht mehr auf menschenwürdige Weise leben könne". Im Fall eines Abbruchs der Behandlungen wären die Schmerzen so groß, dass er nicht mehr schlafen und sich nicht mehr ernähren könne, was erhebliche Auswirkungen nicht nur auf seinen physischen, sondern auch auf seinen psychischen Zustand hätte.

Rasche Zunahme der Schmerzen

Das Verfahren zog sich daraufhin bis zum EuGH – und der gab dem Russen nun recht. Niemand dürfe abgeschoben werden, wenn er dadurch einer "raschen, erheblichen und unumkehrbaren Zunahme der durch seine Krankheit verursachten Schmerzen" ausgesetzt wäre. Das könne auch dann der Fall sein, wenn eine notwendige medizinische Versorgung im Heimat- oder Zielland nicht verfügbar sei.

Voraussetzung ist, dass die betroffene Person ohne Behandlung derartigen Schmerzen ausgesetzt ist, dass es gegen die Menschenwürde verstoßen würde, weil ihr dadurch schwere und unumkehrbare psychische Störungen drohen. Nationale Behörden dürfen nur dann Rückkehrentscheidungen – also Abschiebungen – durchführen, wenn sie den Gesundheitszustand der Betroffenen ausreichend berücksichtigt haben. (japf, 29.11.2022)