Wie diese ÖBB-Lok stehen auch die Lohnverhandler am Prellbock. Nichts geht mehr.

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Wien – Nach dem 24-stündigen Warnstreik der Eisenbahner nimmt die ÖBB am Dienstag den Personen- und Güterverkehr wieder auf. Vereinzelt kann es jedoch noch zu Einschränkungen, Verspätungen oder Zugausfällen kommen.

Doch die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) in Österreich stellen sich auf das Schlimmste ein. Auch nach dem am Montag um Mitternacht zu Ende gegangenen Warnstreik haben die Arbeitgeber wenig Hoffnung. Sie erwarten weitere Kampfmaßnahmen seitens der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida. Die Streitparteien stehen einander unversöhnlich gegenüber.

Der Grund: Vom Vorsitzenden der Eisenbahn- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida, Roman Hebenstreit, waren bei seinem ersten Auftritt nach Monaten kaum kompromissbereite Töne zu vernehmen. Der ÖBB-Konzernbetriebsratschef ließ die Öffentlichkeit via Ö1-Mittagsjournal wissen, dass es viel aufzuholen gäbe bei den Löhnen und Gehältern der rund 50.000 Eisenbahnbediensteten in Österreich. Was die Arbeitgeber angeboten hätten, reiche keineswegs aus.

Am Tropf des Staates

Das macht alle Beteiligten unrund, denn bis auf wenige echte Privatbahnen sind Bahnunternehmen in Österreich überwiegend öffentlich finanziert. "Eine Bewegung ist nicht sichtbar", sagt Arbeitgeber-Chefverhandler Thomas Scheiber resigniert. "Wir können nicht mehr geben, als bei uns hereinkommt." Schwierig mache die Situation zudem, dass der Staat nicht einfach mehr Geld ins System Schiene einschießen könne, das sei beihilfenrechtlich bei Absatzgesellschaften nicht möglich, weil dies marktverzerrend wirke.

Ersuchen an die Präsidenten

Am Dienstagnachmittag treffen einander die Arbeitgeber via Videoschaltung, um über mögliche Auswege aus der Misere zu beraten. Viel mehr als ein Ersuchen an die Sozialpartner-Spitzen, also ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer, sei von dem Treffen eher nicht zu erwarten, sagen mit der Materie Vertraute. Ob deren zu erwartende Appelle auf offene Ohren stoßen, ist zudem ungewiss.

Beide Seiten halten sich traditionell extrem zurück, denn Einmischungen in Kollektivvertragsverhandlungen gelten als Tabubruch. Allerdings waren selbige in der Vergangenheit immer wieder notwendig. Mahrers Vorgänger, Kammerpräsident Christoph Leitl, und seine gewerkschaftlichen Gegenüber waren immer wieder ausgerückt, um den sozialpartnerschaftlichen Haussegen geradezurücken.

Kurs erratisch

Schwierig macht die Situation, dass der Kurs der Gewerkschaft als erratisch wahrgenommen wird. Wohl gab ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian im Sommer die Losung aus, dass Lohnabschlüsse unter der jeweils maßgeblichen Inflationsrate ein No-Go sind, also keinesfalls akzeptiert würden. Im Gegensatz zu den Metallern, wo die Industrie auf Abgeltung der sogenannten Kerninflation drängte, also die Energiepreis-getriebene Inflation herausrechnen wollte, boten die Bahnbetreiber zuletzt aber mehr als die Abdeckung der Inflation, nämlich eine Erhöhung um mindestens 208 Euro. Obendrauf gab es eine Einmalzahlung von 1000 Euro, die mit etwas Geschick wohl auf 1500 Euro hinaufverhandelt werden hätte können.

Zurück an den Start

Hätte. Aber damit ist es vorbei. Die Gewerkschaft habe die Frist verstreichen lassen. Deshalb stehe man jetzt wieder bei einem Plus von mindestens 200 Euro, was einer durchschnittlichen Erhöhung der Bezüge um rund acht Prozent entspreche. Die meisten Bahnunternehmen zahlen gemäß diesem Angebot ab Dezember quasi als Akontozahlung aus, die Einmalzahlung werde gesplittet auf Dezember und April. Was immer in den nächsten Tagen und Wochen an Entwicklungen kommen mag: Hinter dieses Angebot können die Eisenbahner nicht mehr zurückfallen. Dem Grundsatzbeschluss des ÖGB wäre mit diesem Angebot also eigentlich auch Genüge getan.

Wie die ungewöhnlich verhärteten Fronten doch noch aufgeweicht werden können, darüber ist das große Rätselraten ausgebrochen. Selbst ÖBB-Generaldirektor Andreas Matthä scheint dazu im Augenblick nicht bereit. Der Chef des mit Abstand größten Bahnbetreibers äußerte sein Missfallen über die Vorgangsweise "seines" Betriebsratsvorsitzenden ungewöhnlich deutlich.

Homeoffice statt Stau

Ausgeblieben war am Montag zumindest ein riesiges Verkehrschaos – vor allem an den Stadteinfahrten. Pendlerinnen und Pendler hatten sich, so weit möglich, Ersatz für den Zug organisiert oder waren im Homeoffice geblieben. "Die Morgenspitzen dauerten etwas länger als üblich, aber kilometerlange Staus gab es keine", sagte eine Asfinag-Sprecherin. Man habe Streckenpersonal verstärkt und Tagesbaustellen abgesagt, um Straßen frei zu halten und so die Situation zu entlasten.

Vor drei Jahren hätte die Situation vermutlich anders ausgesehen, doch in den Corona-Pandemiejahren haben Menschen und Unternehmen gelernt, kurzfristig auf Homeoffice umzustellen. Zumindest dort, wo es möglich ist. Aber auch dort, wo Anwesenheit unumgänglich ist, wie etwa im größten Krankenhaus des Landes, dem Wiener AKH, kam es laut Eigenangaben zu keinen nennenswerten Personalausfällen.

Fahrende Helfer

Selbst in Bereichen, wo die Menschen auf Mobilität in höchstem Maße angewiesen sind, wie etwa beim Pflegepersonal und in der Betreuung durch mobile Helfer und Helferinnen bei den Klienten und Klientinnen daheim, lief alles wie am Schnürchen, hieß es seitens der Caritas. Alle Schützlinge konnten demnach wie gewohnt aufgesucht und versorgt werden – und das quer durch alle Bundesländer. Auch in den Pflegewohnhäusern gab es keine streikbedingten Ausfälle.

Ersten Schätzungen zufolge dürfte sich der direkte Schaden für die Eisenbahnbranche zwischen 20 und 30 Millionen Euro bewegen, Folgeeffekte für Unternehmen seien darin nicht berücksichtigt. Die Ersparnis an Bahnstrom, deren Kosten in Zeiten der Energiekrise beträchtlich sind, dürfte hier allerdings nicht abgezogen worden sein.

Kaum Schäden in der Wirtschaft

Im Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo geht man davon aus, dass ein eintägiger Streik keine starken zusätzlichen Effekte habe. Im Warenhandel hätten Unternehmen überdies meist einen gewissen Puffer eingeplant, weil Lieferungen immer wieder Verspätung haben. Das gilt auch für die Industrie, die seit Ausbruch der Energiekrise und gerissener Lieferketten vermehrt Vorräte an Rohstoffen und Vormaterial vorhalte. Man könne schließlich nie wissen, wann China mit seiner unberechenbaren Null-Covid-Politik den nächsten Frachter vom Stapel lasse.

Laut ÖBB sind in Österreich an Werktagen täglich rund 8000 Personen- und Güterzüge von diversen Bahnunternehmen auf Schiene. Etwa eine Million Passagiere werden täglich befördert. Im Güterverkehr habe man so gut wie möglich vorgesorgt und Zugtransporte vorgezogen, betonte ÖBB-Chef Andreas Matthä. "Wir haben angesichts der angespannten Lage versucht, für wesentliche Kunden schon im Vorfeld die Züge in die Werke hineinzustellen. Das sollte großflächig gelungen sein, sodass die Großbetriebe normal arbeiten können", betonte der ÖBB-Generaldirektor. Er halte den Warnstreik "für unverhältnismäßig" und habe auch kein Verständnis dafür.

Profiteure Flixbus und Co

Von erhöhter Nachfrage profitierten alternative Verbindungen, etwa bei Autobusbetreibern wie Flixbus, die sechsmal täglich zwischen Wien und Graz verkehren. Das Geschäft bei der Konkurrenz lief also auf Hochtouren. "Wir sehen momentan eine gestiegene Nachfrage bei unseren Flixbus-Verbindungen in Österreich", heißt es auf Anfrage aus der deutschen Konzernzentrale. Die stark nachgefragte Linie Wien–Graz wurde kurzfristig aufgestockt. Aktuell sei alles ausgebucht, für einige andere Destinationen seien nur noch Restkontingente an Tickets verfügbar. (Luise Ungerboeck, Andreas Danzer, 28.11.2022)