Emmanuel Macron will in den USA die Auswirkungen von Washingtons Paket gegen die Inflation ansprechen.

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Es hätte eine große Versöhnungssause werden sollen, um vergessen zu machen, dass die USA, Großbritannien und Australien die Franzosen 2021 um einen lukrativen U-Boot-Deal gebracht hatten. Joe Biden weiß mittlerweile, wie er Macron nehmen muss: Ein dreitägiger Staatsbesuch mit allem Pomp und Prestige sollte den französischen Präsidenten wieder gnädig stimmen. Und der übrigen Welt zugleich die unverbrüchliche transatlantische Solidarität in Kriegszeiten vor Augen führen.

Nun kommt wieder alles ganz anders. Die Franzosen ärgern sich lauthals über die Handelspolitik der Amerikaner. Konkreter ihr Subventionsprogramm für klimaneutrale Produkte wie elektrische Fahrzeuge, Solaranlagen oder Batterien. 370 Milliarden Dollar schwer ist das gewaltige, im August in Kraft getretene Industriepaket namens Inflation Reduction Act (IRA).

Der Titel ist irreführend, denn nur ein kleiner Teil – etwa die Senkung von Medizinkosten – dient der Reduktion der Teuerung. Der Großteil entfällt auf die Subventionen, und sie gelten nur für Produkte, die made in the USA, also im Land selbst hergestellt sind. Ein amerikanisches Elektroauto erhielte so einen staatlichen Zuschuss von 7500 Dollar.

Aus Paris kommt offene Kritik. Die französische Premierministerin Élisabeth Borne warnt vor Wettbewerbsverzerrungen, Wirtschaftsminister Bruno Le Maire zieht die Folgerung: "China bevorzugt die chinesische Produktion, Amerika die amerikanische Produktion. Jetzt muss auch Europa seine Interessen verteidigen."

Verhärtete Fronten

Macron hat sich dazu noch nicht geäußert. Aber er hatte unlängst klargemacht, dass er den IRA an vorderster Front bekämpfen wird, so wie Paris das US-EU-Freihandelsabkommen TIIP bis zu seiner Grablegung 2016 attackiert hatte. Der französische Präsident plädiert seit langem für einen "Buy European Act", um die Amerikaner und Chinesen mit ihren eigenen protektionistischen Waffen zu schlagen. Bloß: Zölle und Staatshilfen sind undenkbar, denn sie würden sofort vor der Welthandelsorganisation (WTO) angefochten.

Also ebenfalls Subventionen? Sie über gemeinsame EU-Gelder zu finanzieren kommt für die deutsche Regierung, jedenfalls Finanzminister Christian Lindner, nicht infrage: Die gemeinsame Schuldaufnahme, die Macron der deutschen Ex-Kanzlerin Angela Merkel in der Covid-Zeit abgerungen hatte, muss für Berlin eine Ausnahme bleiben. Überhaupt reagiert die deutsche Regierung bedeutend zurückhaltender auf den IRA als Paris. Wie Lindner zieht Kanzler Olaf Scholz ein neues Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa einem "Überbietungswettbewerb bei den Subventionen und Schutzzöllen" vor.

Andere EU-Mitglieder wie die Niederlande oder Schweden können dem forschen Pressing Macrons nicht viel abgewinnen. EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis erklärte seinerseits, in Umfeld des Ukraine-Krieges habe die Einheit zwischen den USA und der EU absoluten Vorrang.

Der frühere Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Oliver Blanchard, verteidigt hingegen die französische Position. Der IRA könnte die sich in Europa abzeichnende Rezession noch verstärken, erklärte der Franzose. Noch mehr Schaden drohe das Vorgehen der Amerikaner in Europa strukturpolitisch anzurichten. Denn die Europäer hätten kriegsbedingt eben erst begonnen, Arbeitsplätze in ihre Länder zurückzuholen. "Ich befürchte deshalb einen Handelskrieg", meinte Blanchard.

Volkswagen-Vorstand Thomas Schäfer sagte am Montag nichts anderes: Europa müsse schnellstmöglich seine Energiepreise senken und seine veralteten und bürokratischen Regeln für Industriehilfen ändern, so wie die USA ihren Unternehmen mit dem IRA attraktive Anreize böten. In Frankreich halten sich Industrielle ihrerseits darüber auf, dass die USA Energieträger wie Frackinggas viermal teurer nach Europa als an die heimische Industrie lieferten.

Aussprache soll helfen

Noch sind die Brücken über den Atlantik nicht abgebrochen: Ein amerikanisch-europäischer Rat für Handel und Technologie wird sich am 5. Dezember zu einer Aussprache treffen. In Paris ist man aber überzeugt, dass die Biden-Administration keinesfalls von dem innenpolitisch motivierten IRA abkommen werde. Macron dürfte in den USA die bittere Erfahrung machen, dass Biden in industriepolitischen Belangen nicht pflegeleichter ist als sein Vorgänger Donald Trump. (Stefan Brändle aus Paris, 29.11.2022)