Seit 2020 ist Michael Ludwig Wiens erster SPÖ-Bürgermeister in einer Koalition mit den Neos. Rot-Pink ist seither vor allem mit Krisen beschäftigt: erst die Corona-Pandemie, dann die Energiekrise, jetzt die Flüchtlingsfrage. Und auch innerhalb der SPÖ ist nicht alles einfach: Zuletzt fachte Burgenlands SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil mit einer Umfrage erneut die Debatte über den Vorsitz an. Danach gefragt, betont Ludwig, er wünsche sich mehr Diskussionen in den internen Parteigremien.

Wien erfüllt die Quote in der Flüchtlingsunterbringung. Neben dem Burgenland ist es das einzige Bundesland, dass das schafft. Auch sonst wäre es laut Stadtchef Michael Ludwig "machbar, in der aktuellen Situation entsprechende Quartiere anzubieten und die Menschen nicht in den Wintermonaten in Zelten unterbringen zu müssen".
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Die Zahl der Asylanträge ist auf einem Hoch. Nur Wien und das Burgenland erfüllen die Betreuungsquote. Warum schaffen das die anderen Länder nicht?

Ludwig: Es gibt eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, für eine gerechte Verteilung zu sorgen. Es wäre machbar, in der aktuellen Situation entsprechende Quartiere anzubieten und die Menschen nicht in den Wintermonaten in Zelten unterbringen zu müssen.

STANDARD: Wieso passiert es dann nicht?

Ludwig: Es erfordert eine andere Gesprächskultur zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden. Man müsste zeitgerecht die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister einbinden. Die Bereitschaft zu helfen ist groß, auch in der Bevölkerung. Es ist herausfordernd, aber es ist eine Situation, die machbar ist. Das Thema Migration wird sehr oft herangezogen, um politisches Kleingeld zu wechseln, das halte ich für nicht sinnvoll.

STANDARD: Die Flüchtlingsreferenten der Länder haben vergangene Woche mehr Geld für Pflegebedürftige, Behinderte und unbegleitete Minderjährige gefordert. Die aktuellen Gelder würden für diese Gruppen oft nicht mehr ausreichen. Braucht es so ein Real-Kosten-Modell auch für alle anderen Asylwerbenden?

Ludwig: Generell muss man diskutieren, wie flüchtende Menschen begleitet werden, nicht nur was die Unterkunft betrifft, sondern auch die Finanzierung. Von daher ist das ein Thema, das wir mit auch besprechen werden.

Der Bund ist gefragt, findet Michael Ludwig: Der müsse klären, "inwieweit Personen auf der Flucht von der Grundversorgung in die Sozialhilfe übernommen werden".
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STANDARD: Sollen die Länder, die ihre Quote nicht erfüllen, Ausgleichszahlungen tätigen?

Ludwig: Die Frage ist, wie der Bund die Unterbringung von flüchtenden Menschen finanziert; unabhängig davon, wie die Erfüllung in den einzelnen Bundesländern ist. Auch muss der Bund klären, inwieweit Personen auf der Flucht von der Grundversorgung in die Sozialhilfe übernommen werden.

STANDARD: In Wien werden in der ehemaligen WU nun Notunterkünfte für Flüchtlinge eingerichtet. 1000 Plätze soll es dort geben, 1000 Plätze gibt es in der Geiselbergstraße – reicht das, um den Bedarf in Wien zu decken – wie viele Kriegsflüchtlinge werden in diesem Winter noch erwartet?

Ludwig: Das kann man genau nicht sagen. Aus mehreren Gründen: Zum einen, weil man nicht abschätzen kann, wie viele von der Binnenmigration, also jene, die sich innerhalb der Ukraine befinden, in andere Länder ziehen wollen. Und wie viele derer, die sich in den Nachbarländern befinden, in die EU ziehen. Wir gehen davon aus, dass auch nach Österreich mehr Personen aus der Ukraine kommen. Und von daher bin ich sehr dankbar, dass es auch viele Menschen aus der Zivilgesellschaft gibt, die nach wie vor helfen wollen. Auch was die private Unterbringung von Frauen und Kindern betrifft. Wir drängen Österreich darauf, dass es auch eine entsprechende finanzielle Abdeckung gibt, da diese Unterbringungen vonseiten des Bundes. Aber für Notfälle sind wir auch gerüstet.

STANDARD: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat die Asyllinie Ihres burgenländischen Amtskollegen Hans Peter Doskozil übernommen. Sie sagt: 90.000 Asylanträge seien zu viel. Plädieren auch Sie für einen strengeren Asylkurs?

Ludwig: Ich orientiere mich daran, wie man entsprechend der Europäischen Menschenrechtskonvention diese Anträge behandelt. Die Anträge gibt es, die wird man nur beschränkt beeinflussen können. Die Verfahren müssen schneller durchgeführt werden, damit klar ist, welche Personen einen Asylstatus bekommen und wer wieder beispielsweise in sein Heimatland zurückgeführt werden muss.

STANDARD: Viele Personen aus Indien oder Pakistan kommen, um zu arbeiten, stellen aber Asylanträge, da der Zugang zum Arbeitsmarkt so schwierig ist. Wie kann man das Problem lösen?

Ludwig: Es gibt wenige Zugänge zum europäischen Arbeitsmarkt, und daher wird sehr oft der Umweg über den Asylstatus gesucht. Das ist im Regelfall nicht mit viel Erfolg verbunden. Wir müssen den Arbeitsmarkt stabilisieren – auch mit Personen, die zuwandern. Wir müssen Spielregeln entwickeln, die auch eingehalten werden können, und dadurch Perspektiven für den eigenen Wirtschaftsraum, den Arbeitsmarkt, aber auch für Menschen, die Interesse haben, hier tätig zu werden, eröffnen – unabhängig vom Asylverfahren für Menschen, die aus politischen, religiösen Gründen verfolgt werden. Aber auch Asylwerber sollen schneller arbeiten dürfen.

Nicht um die Asylzahlen gehe es, sondern darum, wie man "entsprechend der Europäischen Menschenrechtskonvention diese Anträge behandelt. Die Anträge gibt es, die wird man nur beschränkt beeinflussen können", sagt Ludwig.
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STANDARD: Die SPÖ Oberösterreich will nach drei Monaten eine Arbeitserlaubnis, sogar eine Verpflichtung zu arbeiten. Sie auch?

Ludwig: Man sollte möglichst frühzeitig Menschen im Asylverfahren die Möglichkeit auf Arbeit geben. Insbesondere jungen Menschen, die zu uns kommen. Ich halte es für schlecht, wenn junge Männer lange Zeit kaserniert sind und keine Möglichkeit haben, arbeiten zu gehen. In der SPÖ haben wir ein klares Papier zu unserer Haltung bei dem Thema.

STANDARD: So klar kann dieses Papier aber nicht sein, sonst gäbe es in der SPÖ keine Differenzen dazu. Hans Peter Doskozil hat sich etwa über den Kurs der Bundes-SPÖ beschwert.

Ludwig: Verglichen mit Diskussionen in anderen Parteien, die bei Menschenrechten beginnen bis hin zur Frage, ob Schengen erweitert werden soll oder nicht, sehe ich da keine großen Differenzen in der SPÖ.

STANDARD: Eine Umfrage im Auftrag der SPÖ Burgenland kam zum Schluss, dass Doskozil bei einer Nationalratswahl erfolgreicher als Rendi-Wagner wäre. Was halten Sie davon?

Ludwig: Der Parteivorsitzende in Kärnten ist als Spitzenkandidat angetreten und dann Landeshauptmann geworden. Gleiches war bei mir der Fall in Wien, und auch bei Doskozil war es so. Parteivorsitzende Wagner wird als Spitzenkandidatin antreten und hoffentlich die erste gewählte Kanzlerin Österreichs werden. Wenn es eine andere Meinung dazu gibt, dann muss man bei einem Bundesparteitag aufzeigen und sagen, man tritt an. Ich hätte bis jetzt nichts dahingehend wahrgenommen.

STANDARD: Schaden die Zwischenrufe aus Eisenstadt der SPÖ?

Ludwig: Doskozil ist ein mit starker Unterstützung gewählter Landeshauptmann. Er äußert seine Meinung. Ich würde mir mehr Diskussionen intern in den Gremien wünschen.

Ein "mit starker Unterstützung gewählter Landeshauptmann" sei Hans Peter Doskozil. Michael Ludwig würde sich trotzdem wünschen, mehr Diskussionen intern in den Gremien zu führen.
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STANDARD: Diese Woche tritt die U-Kommission zur Wien Energie erstmals zusammen. Die ÖVP hätte dafür gerne Ihr Diensthandy. Geben Sie es her?

Ludwig: Es gibt eine Reihe von Anträgen. Es wird jetzt in Vorbereitung der Untersuchungskommission geprüft, welche Personen als Auskunftspersonen eingeladen werden und welche Anträge der Fraktionen berücksichtigt werden. Es gibt ja nicht nur von der ÖVP Anträge, sondern von allen Fraktionen, und ich vertraue ganz dem Vorsitzenden und den Stellvertretern, dass die das prüfen werden und wir dann das machen, was vorgesehen ist.

STANDARD: Sie haben der Wien Energie per Notkompetenz ein Darlehen über 1,4 Milliarden Euro gegeben. Sind Sie noch immer der Meinung, dass alles so perfekt gelaufen ist?

Ludwig: Ich habe mich daran gehalten, zum jeweiligen Zeitpunkt rechtskonform zu agieren und die zuständigen Gremien zu informieren. Es war eine Situation, in der rasche Entscheidungen notwendig waren. Diese Entscheidungen habe ich getroffen, zum Wohle des Unternehmens und zum Wohle der Bevölkerung, die betroffen gewesen wäre. Ich hätte mir gewünscht, dass es so, wie es ursprünglich angedacht war, einen Schutzschirm des Bundes für die Energieunternehmen gibt. Das ist nicht geschehen in Österreich. Im Gegensatz dazu gibt es einen Schutzschirm in sehr vielen anderen Ländern in Europa.

STANDARD: Wie viel von dem Darlehen ist denn schon zurückgezahlt worden?

Ludwig: Vom Darlehen, das die Stadt Wien den Stadtwerken gegeben hat, fast alles. Die Vereinbarung, die mit der Bundesfinanzierungsagentur getroffen wurde, ist überhaupt mit keinem einzigen Euro schlagend geworden. Das, was von der Bundesregierung als Rettung der Wien Energie inszeniert wurde, ist dem Bereich der Propaganda zuzuordnen.

Das Darlehen der Stadt Wien an die Wien Energie sei fast zurückgezahlt, sagt Michael Ludwig.
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STANDARD: In Bezug auf Corona war die Wiener Stadtregierung immer sehr vorsichtig. In den Öffis herrscht noch immer Maskenpflicht. Wie lange bleibt diese?

Ludwig: Ih gehe davon aus, dass wir das zumindest jetzt in der kalten Jahreszeit, in den öffentlichen Verkehrsmitteln behalten werden. Es ist ein sinnvolles Mittel.

STANDARD: Die Wiener Neos haben bei ihrer Mitgliederversammlung eine Verkehrsberuhigung des Rings beschlossen, das sollte auch in den Stadtentwicklungsplan 2035 aufgenommen werden. Wie stehen Sie zu einer Verkehrsberuhigung?

Ludwig: Eine Großstadt ist ein lebendiger Organismus, man muss immer schauen, welche Maßnahmen man setzt und welche Auswirkungen das auf andere Teile der Stadt hat. Von daher ist das eine Sache, die sicher noch intensiver geprüft wird. Und wir sind ja für eine verkehrsberuhigte Innenstadt. Da gibt es sehr konkrete Pläne, Überlegungen, Abstimmungen, auch mit dem ersten Bezirk. Das sind auf gutem Weg und man wird sehen, inwieweit das auch den Ring betreffen kann.

STANDARD: Die CEU sucht einen neuen Standort. Es gibt auch schon Interesse aus Niederösterreich für diese Uni. Was tun Sie, damit sie in Wien bleibt?

Ludwig: Wir haben einen sehr intensiven Dialog geführt und am Otto Wagner Areal eine Bleibe gefunden. Das Rektorat hat das zuletzt anders gesehen. Wir nehmen das zur Kenntnis. Die CEU wollte vorläufig am Standort in Favoriten verbleiben, aber auch andere Standorte prüfen. Es gibt insgesamt ein Commitment, dass die CEU in Wien bleiben möchte. Und ich gehe davon aus, dass das auch so sein wird, unabhängig davon, ob in Favoriten oder an einem anderen Standort. (Oona Kroisleitner, Petra Stuiber, 29.11.2022)