Mia Eidlhuber empfiehlt einen Essayband, der die ukrainische Vergangenheit aufarbeitet und mit der Gegenwart verknüpft.

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Diese Essays sind ein Geschenk", steht auf der Rückseite von Tanja Maljartschuks Band Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus, der im Spätherbst 2022 erschienen ist. Sie sind tatsächlich ein Geschenk: traurig, komisch, wichtig und unendlich lesenswert. Die seit zehn Jahren in Wien lebende Autorin schafft es, Worte für das Unsagbare, Unvorstellbare, Unglaubliche zu finden, und hat sich nicht nur mit ihrem Roman Blauwal der Erinnerung tief in die Geschichte der Ukraine (und damit auch in unsere eigene) eingegraben.

Tanja Maljartschuk, "Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus". € 20,60 / 169 Seiten. Kiwi, 2022.
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Krieg in Europa

Zwischen 2014, also dem Euromaidan, und September 2022, dem nicht endenden Ukraine-Krieg, sind alle diese Texte entstanden und erschienen, die meisten bei Zeitonline, einer auch im STANDARD-ALBUM. Die Angst der Despoten tatsächlich am 24. Februar 2022 in der Süddeutschen Zeitung: "Bald wissen wir, ob der Weg, den wir heute gehen, zu einer ersehnten Befreiung führt oder doch in ein weiteres Massengrab", schreibt sie.

Seither tobt ein Krieg mitten in Europa. Seither hat Maljartschuk über 50 Kriegsauftritte, so nennt sie das, absolviert und kann vielleicht noch immer nichts lesen außer Stefan Zweigs Die Welt von gestern.

Vergangenheit als Ressource

Dass sie Kraft zum Schreiben findet, dafür bedankt sie sich auch bei ihren Übersetzerinnen Maria Weissenböck und Claudia Dathe. Mit dem, was sie uns alles zu erzählen hat – von der Großmutter, die den Holodomor überlebt hat, oder vom ostgalizischen Schtetl, aus dem die Eltern stammen –, spannt sie große historische Bögen und erklärt, warum Russland die Ukrainer immer noch Faschisten schimpft. Maljartschuks Schreiben macht klar, dass dieser Krieg aus der Vergangenheit kommt, auch wenn er in eine neue Zeitrechnung geführt hat.

Vor mehr als 30 Jahren ist die Sowjetunion zerfallen, damals ging Maljartschuk in die zweite Klasse. "Ob ich es schaffe", fragt sich die ukrainische Autorin, die wie Juri Andruchowytsch aus Iwano-Frankiwsk kommt, "meine eigene Vergangenheit nicht länger zu entwerten, sondern als Ressource zu nutzen?" Sie tut es längst, indem sie all das aufschreibt, Zeugnis ablegt, auch damit wir besser verstehen. (Mia Eidlhuber, 04.12.2022)