Ein Blick auf den Mond, der durch die Wolken hinter einem unbeleuchteten Viertel von Kiew scheint.

Foto: EPA/SERGEY DOLZHENKO

Kiew – Fünf Tage nach erneuten massiven russischen Raketenangriffen hat die ukrainische Hauptstadt Kiew weiter mit unangekündigten Notabschaltungen bei der Stromversorgung zu kämpfen. 55 Prozent der Haushalte seien davon betroffen, teilte die Militärverwaltung der Millionenstadt am Montag über Telegram mit. Die Notabschaltungen sollten dabei nicht länger als fünf Stunden dauern. Vorher hatte der örtliche Versorger angekündigt, jedem Kunden zumindest vier Stunden Strom täglich zu ermöglichen.

Bürgermeister Vitali Klitschko erklärte, die Probleme mit der Stromversorgung würden noch bis zum Frühling anhalten. In Kiew gibt es seit dem Beginn massiver russischer Raketenangriffe auf die Energieinfrastruktur Mitte Oktober in vielen Stadtteilen nur noch stundenweise Strom.

Stoltenberg befürchtet weitere Angriffe auf Infrastruktur

Russland wird nach Einschätzung von Nato-Chef Jens Stoltenberg die ukrainische Energie-Infrastruktur weiter angreifen. Damit versuche Russlands Präsident Wladimir Putin den Winter als Waffe gegen die Ukraine zu nutzen, sagt Stoltenberg zu Journalisten und Journalistinnen in Bukarest vor einem zweitägigen Treffen der Außenminister des Militärbündnisses. Man müsse sich auf weitere Attacken der russischen Streitkräfte einstellen, ergänzte der Generalsekretär.

Stoltenberg rechnet mit neuen Gesprächen über die Lieferung zusätzlicher Flugabwehrsysteme an die Ukraine. Er erwarte, dass von dem Treffen der Außenministerinnen und Außenminister in Bukarest die Botschaft ausgehe, dass man bei der Bereitstellung von Luftverteidigungssystemen noch mehr tun müsse, sagte der Norweger am Montag am Rande eines Termins mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Johannis (Iohannis). Dies gelte auch für die Lieferung von Ersatzteilen und von Munition sowie für die Ausbildung von Soldaten.

Botschafter bittet im ZDF um Generatoren

Angesichts der weiter heftigen russischen Angriffe auf die Energie-Infrastruktur in der Ukraine wird die Sorge vor den kalten Wintermonaten größer. "Wir brauchen Generatoren und Auto-Transformatoren, die von russischen Raketenangriffen besonders betroffen sind", sagte der neue ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksij Makejew, am Montag im ZDF.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) teilte mit, im Rahmen der Winterhilfe für die Ukraine 7.000 Heizöfen zum Wärmen und Kochen, 100 Generatoren und mehr als 20 mobile Tankanlagen zu liefern. Damit reagiere man auf die massive Zerstörung der Wasser-, Energie- und Wärmeversorgung. Außerdem werde Material und Geld zur Verfügung gestellt, um Reparaturen und Hilfe an Unterkünften für Binnenvertriebene und für private Haushalte zu ermöglichen, teilte das DRK mit, dessen Winterhilfe unter anderem vom Auswärtige Amt unterstützt wird.

Klitschko fordert Einigkeit

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Ukrainerinnen und Ukrainer zuvor in einer Videobotschaft auf einen langen, harten Kriegswinter eingestimmt. Die Russen würden angreifen, "solange sie Raketen haben", sagte er.

Kiews Bürgermeister Klitschko rief im Konflikt mit Präsident Selenskyj erneut zur Einheit auf. "Wenn der Krieg vorbei ist, dann kann man Innenpolitik spielen", sagte der 51-Jährige in einem Interview mit der Nachrichtenagentur RBK-Ukraine. Die Einigkeit aller sei für den ukrainischen Sieg nötig. Vergangene Woche hatte Selenskyj die Kiewer Stadtverwaltung wegen angeblich nicht funktionierender Aufwärmpunkte kritisiert. Klitschko und Selenskyj gelten als mögliche Rivalen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen.

Außenminister reisten nach Kiew

Am Montag reisten sieben Außenminister nordischer und baltischer Staaten in die Ukraine. "Wir, die Außenminister von Estland, Finnland, Island, Lettland, Litauen, Norwegen und Schweden, sind heute in Kiew in voller Solidarität mit der Ukraine. Trotz Russlands Bombenhagel und barbarischer Brutalität wird die Ukraine gewinnen", twitterten mehrere Diplomaten wortgleich zu einem Foto vom Bahnsteig.

Der Kreml hat Gerüchte über einen bevorstehenden Abzug russischer Truppen aus dem besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja zurückgewiesen. "Es sollte nicht nach irgendwelchen Zeichen gesucht werden, wo keine sind und keine sein können", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut Nachrichtenagentur Interfax. Auch die russische Besatzungsverwaltung des im September völkerrechtswidrig annektierten Gebiets Saporischschja sprach von Falschinformationen. Am Wochenende hatte der Chef des ukrainischen Atomkonzerns Enerhoatom, Petro Kotin, einen baldigen Abzug des russischen Militärs in Aussicht gestellt.

Massiver russischer Beschuss auf Cherson

Nach dem Rückzug aus Cherson beschießen russische Truppen die südukrainische Großstadt nach britischen Angaben täglich mit Artillerie. Am Sonntag sei die Rekordzahl von 54 Angriffen gemeldet worden, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. Allein am vergangenen Donnerstag seien zehn Menschen getötet worden. Die Stadt sei verwundbar, weil sie in Reichweite der meisten russischen Artilleriesysteme liege, die nun vom Ostufer des Flusses Dnipro (Dnepr) feuerten, hieß es in London.

Das ukrainische Militär hat nach eigenen Angaben in den vergangenen 24 Stunden russische Angriffe in der im Osten gelegenen Region Donezk zurückgeschlagen. Dies betreffe unter anderem die Städte Bachmut und Awdiiwka, teilte der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte am Montag in seinem täglichen Lagebericht mit. Dem ukrainischen Militäranalysten Oleg Schdanow zufolge halten die schweren Kämpfe auch in der im Nordosten gelegenen Region Charkiw an. (APA, 28.11.2022)