Immer noch haben viele Menschen ein komisches Gefühl, was die Impfung anbelangt. Doch Reaktionen und potenzielle Nebenwirkungen werden sehr genau geprüft.

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Zwölf Milliarden Impfdosen – so viele Immunisierungen gegen Covid-19 wurden bisher weltweit verabreicht. Im Winter 2020/21 starteten die Regierungen vieler Länder eine bis dahin beispiellose Impfkampagne, um die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Die Impfstoffe, allen voran die mRNA-Vakzine, waren unüblich schnell entwickelt worden. Das war einerseits dringend nötig, andererseits schürte es die Sorge, die Impfstoffe könnten womöglich nicht ausreichend auf Wirksamkeit und Sicherheit getestet worden sein.

Dabei war die Entwicklung gar nicht so schnell, wie viele denken. Die Pharmabranche hatte bereits bei den Coronaviren Sars-CoV-1 und Mers-CoV viel Erfahrung bei der Impfstoffentwicklung sammeln können. Weil die Viren damals aber keine Pandemie ausgelöst hatten und schnell wieder verschwanden, war der Impfstoff dann nicht nötig. Die Forschung wurde zurückgefahren – aber nicht eingestellt.

Heute stehen Corona-Impfstoffe von verschiedenen Anbietern zur Verfügung. Die allermeisten bieten einen sehr hohen und höchstwahrscheinlich auch langfristigen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen, außerdem einen kurzfristigen Schutz vor Infektion. Frei von Nebenwirkungen sind die Vakzine aber nicht. Das trifft ohnehin auf keinen Impfstoff zu. Akute Impfreaktionen wie Rötungen, Fieber oder Schwellungen wurden bereits in den Zulassungsstudien der Hersteller beschrieben. Die Reaktionen waren in den allermeisten Fällen nicht schwerwiegend und von kurzer Dauer.

Aktualisierte Empfehlungen wegen Nebenwirkungen

Mit mehr und mehr verabreichten Impfungen in der Bevölkerung zeigten sich jedoch auch sehr seltene gesundheitliche Ereignisse nach den Impfungen, die im Rahmen der Zulassungsstudien aufgrund der Stichprobengrößen statistisch nicht auffallen konnten – dieses Phänomen kennt man auch schon von früheren Impfungen, nicht nur von jenen gegen Covid-19. Im Vergleich zu herkömmlichen Impfungen gegen andere Erreger wurde in der Notlage der Pandemie zudem sehr schnell ein großer Teil der Bevölkerung geimpft. Das hat automatisch zu vielen Verdachtsmeldungen von Nebenwirkungen in kurzer Zeit geführt.

Einige wenige dieser erst später beobachteten seltenen Impfereignisse werden mittlerweile mit ziemlich sicherer Wahrscheinlichkeit mit den Impfungen in Zusammenhang gebracht. Dazu gehört etwa die Myokarditis bei jungen Männern nach einer Impfung mit einem mRNA-Impfstoff. Ein anderes sind bestimmte Thrombosen nach einer Gabe von Vaxzevria von Astra Zeneca. Diese Nebenwirkungen führten auch zu aktualisierten Empfehlungen der Impfkommissionen.

Für viele andere Impfereignisse fehlt dagegen die Evidenz für einen kausalen Zusammenhang – zeitliche Nähe eines Ereignisses zu einem anderen bedeutet ja nicht automatisch, dass die beiden Ereignisse zusammenhängen. Trotzdem ist es für das Vertrauen in Impfungen von zentraler Bedeutung, mögliche Impfreaktionen und Impfnebenwirkungen detailliert zu erheben und durch vertiefte Forschungen zu prüfen, inwieweit auftretende Beschwerden tatsächlich kausal auf die Impfung zurückzuführen sind. Das gilt besonders für seltene mögliche Langzeiterkrankungen wie das chronische Müdigkeitssyndrom. Das gibt es nämlich nicht nur als Long-Covid-Symptomatik nach einer Infektion, sondern in sehr seltenen Fällen wird es auch von Menschen nach der Impfung beschrieben.

Deshalb ist es umso wichtiger aufzuzeigen, welche Folgen die Impfungen haben können, wie mögliche Nebenwirkungen erhoben werden und welche Schwierigkeiten bei der Definition von Impfnebenwirkungen bestehen, wie etwa dass ein zeitlich zufälliges Auftreten eines Gesundheitsereignisses nach einer Impfung nicht automatisch eine Kausalität bedeutet und dass eine Infektion immer mit einem höheren Gesundheitsrisiko verbunden ist als eine Impfung. All das wurde vom Science Media Center in einem Fact-Sheet mit inkludierter Literaturliste zusammengefasst. Es liefert überblicksartig alle relevanten Infos und nennt systemische Übersichtsarbeiten, die mögliche Impfnebenwirkungen untersucht haben. Außerdem werden die einzelnen Impfstoffe auf ihre Nebenwirkungen geprüft.

Unterschiedliche Begrifflichkeiten

Doch was sind überhaupt Impfnebenwirkungen? Hier gibt es unterschiedliche Begrifflichkeiten. Als Erstes gibt es die Impfreaktionen. Das sind jene Folgen, die direkt nach der Impfung auftreten, also Rötung, Schwellung, Schmerzen an der Einstichstelle, Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen oder auch Unwohlsein. Sie halten maximal ein paar Tage an, sind aus Zulassungsstudien bekannt und zeigen im Grunde, dass die Impfung das tut, was sie tun soll – nämlich eine Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Erreger hervorrufen.

Impfnebenwirkungen oder auch Impfkomplikationen sind nicht ganz so harmlos. Sie treten drei oder mehrere Tage nach der Impfung auf und gehen über die Impfreaktionen hinaus. Beispiele dafür sind eben die Myokarditis bei jungen Männern, Sinusvenenthrombosen oder auch das Guillain-Barré-Syndrom, eine entzündliche Erkrankung der Nerven. Sie sind sehr selten und meistens aus den Zulassungsstudien nicht bekannt – eben weil sie so selten sind. Auch wenn einige Zehntausend Menschen in einer Zulassungsstudie inkludiert sind, muss sich eine Nebenwirkung, die nur einmal bei mehreren Hunderttausend Impfungen auftritt, nicht zeigen. Solche Nebenwirkungen werden besonders genau beobachtet und nach international abgestimmten Kriterien kategorisiert. Sie sind außerdem im jeweiligen Land meldepflichtig.

Dann gibt es den Impfschaden. Das ist eine behördlich anerkannte, langanhaltende Gesundheitsstörung als Folge einer Impfung, auch dieser ist extrem selten. Wird er offiziell anerkannt, können Versorgungsansprüche geltend gemacht werden. Im Zusammenhang mit Corona wurden offenbar neun von zehn Anträgen eines Impfschadens auf behördliche Anerkennung abgelehnt.

Schließlich hat sich noch ein neuartiges Krankheitsbild gezeigt, das Post-Vac-Syndrom. Es ähnelt dem Zustand von Long Covid, nur kommt es nach einer Impfung, nicht nach einer Infektion. Am häufigsten beschriebene Symptome sind Fatigue, Schwindel, Kopfschmerzen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Bewegungsstörungen und Atemnot. Es wurde bisher extrem selten beschrieben und ist bisher kein offizielles Krankheitsbild.

Wie man eine Impfnebenwirkung feststellt

Kommt es zu einem zeitlichen Zusammentreffen von Impfung und medizinischen Ereignis, kann der Verdacht aufkommen, dass die Impfung der Auslöser sein könnte. Ärzte sind deshalb berufsrechtlich und nach Infektionsschutz dazu verpflichtet, solche Verdachtsfälle an die zugehörige Arzneimittelkommission und an das Gesundheitsamt zu melden. Ein Verdacht, einer "über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung" wird von Arzt oder Ärztin geäußert, aber man kann sich auch direkt an die Gesundheitsbehörden wenden, die den Fall dann prüfen.

Insbesondere wird abgesehen von der zeitlichen Nähe die Wahrscheinlichkeit geprüft, ob das gesundheitliche Risiko mit der Impfung in Zusammenhang stehen kann. Für eine Bewertung der Häufigkeit von Nebenwirkungen wird der Vergleich mit den Basisrisiken dieser Erkrankungen in der Bevölkerung gezogen.

Bleibt die große Frage: Wie häufig sind unerwünschte Impfereignisse tatsächlich? Das ist von Impfstoff zu Impfstoff unterschiedlich und wurde in den Zulassungsstudien erfasst. Eine genaue Aufstellung dazu liefert eben das Fact-Sheet. Impfreaktionen waren bei den Impfstoffen von Biontech/Pfizer, Moderna und Astra Zeneca sehr stark verbreitet, mit systemischen Beschwerden wie Kopf- oder Gliederschmerzen bei der Hälfte oder mehr Geimpften. Durchgehend waren jüngere Menschen davon stärker betroffen als ältere.

Tatsächliche schwere Nebenwirkungen wie Neuropathie, Taubheitsgefühle oder hämatologische Probleme waren bei allen Gruppen im Bereich von weit unter einem Prozent der Fälle und zeigten sich erst nach breiter Anwendung in Zulassung – wie eben Myokarditis oder Sinusvenenthrombosen.

Auffallend ist, dass sowohl Impfreaktionen als auch Nebenwirkungen in der Gruppe jener, die ein Vakzin erhalten hatten, als auch in der Placebogruppe gemeldet wurden – teilweise in beiden Gruppen gleich viel oder in der Versuchsgruppe nur bedingt öfter.

Beobachtet versus erwartet

In Bezug auf Verdachtsmeldungen hinsichtlich Impfnebenwirkungen wird auch ausgewertet, was beobachtet wurde und was davon erwartbar ist. Konkret bedeutet das, dass gemeldete unerwünschte Ereignisse verglichen werden mit statistisch zufällig zu erwartenden Häufigkeiten dieser Ereignisse in einer vergleichbaren, nicht geimpften Bevölkerung. Ergibt sich eine signifikant höhere Zahl an Verdachtsmeldungen nach einer Impfung, als statistisch zu erwarten wäre, geht man von einem Risikosignal aus. Wobei auch ein Risikosignal keine Bestätigung eines Risikos ist, es ist lediglich der Hinweis, dass hier eine genauere Prüfung erforderlich ist.

In der Auswertung zeigte sich bei keinem der zugelassenen Impfstoffe ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Myokardinfarkt oder Lungenembolie. Anders war es bei Sinus- und Hirnvenenthrombosen, da zeigte sich für den Impfstoff von Astra Zeneca ein erhöhtes Risiko, nicht aber für die anderen Vakzine.

Wie Impfereignisse entstehen können

Fakt ist, dass es, wenn auch in sehr geringer Zahl, unerwünschte Impfnebenwirkungen gibt. Wie bzw. warum diese entstehen, ist aber noch nicht endgültig geklärt. Bei der Myokarditis etwa ist der kausale Mechanismus bisher nicht geklärt. Man geht davon aus, dass sich bestimmte Autoantikörper bilden und so eine entzündliche Reaktion nicht gehemmt werden kann.

Extrem selten bewirkt die Impfung die Autoimmunerkrankung Guillain-Barré-Syndrom. Man nimmt an, dass diese durch molekulare Mimikry ausgelöst wird. Die mit dem Impfstoff verabreichten Antigene können strukturelle Ähnlichkeiten zu spezifischen menschlichen Proteinen aufweisen, dadurch könnte es zu Kreuzreaktionen kommen. Die ausgebildete Immunantwort gegen Sars-CoV-2 richtet sich dann fälschlicherweise gegen körpereigene Proteine. Ein kausaler Zusammenhang für diese Hypothese konnte bisher aber noch nicht erbracht werden. Nur bei Post-Covid konnten erste antinukleäre Autoantikörper nachgewiesen werden, die sich gegen körpereigene Zellkerne richten.

Immer wieder steht auch die Vermutung im Raum, dass die Impfung Gürtelrose auslösen könne. Diese dürfte tatsächlich nach einer Infektion häufiger vorkommen. Nach einer Impfung könnte der Grund dafür die vorübergehende Herabregulierung der spezifischen T-Zell-Antwort sein, wodurch es zu einer Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus kommen kann, was wiederum die Gürtelrose auslöst.

Bei den seltenen Sinusvenenthrombosen wird als Auslöser eine Reaktion auf die im Impfstoff enthaltenen adenoviralen Antigene vermutet. Es kommt zur Bildung von Antikörpern gegen den Thrombozytenfaktor 4, in der Folge werden vermutlich Signalkaskaden ausgelöst, die zu einer massiven Thrombozytenaktivierung führen.

Insgesamt bleiben noch viele Fragen zum Thema offen, aber Forschende widmen diesen viel Aufmerksamkeit. Es gibt bereits einige Erklärungsansätze, aber auch etwaige unentdeckte genetische Vorerkrankungen oder Anomalien können zu den seltenen Impfnebenwirkungen führen. Tatsache ist aber, dass alle Impfstoffe und Arzneimittel Nebenwirkungen haben, die man gegen den erwarteten Nutzen bei der Verhütung von Krankheiten abwägen muss. Und diese Abwägung fällt für die Covid-19-Impfstoffe im Vergleich zu einer Infektion mit dem Erreger eindeutig und sehr hoch zugunsten der Impfstoffe aus. (Pia Kruckenhauser, 30.11.2022)