Im Gastblog schildert Jurist und Mediator Ulrich Wanderer, welche Fragen im Scheidungsprozess zu bedenken sind.

Geht eine Ehe zu Ende, so gibt es eine schier endlose Liste von guten oder gutgemeinten Ratschlägen, Tipps und Ideen, die von allen Seiten auf die zukünftigen Ex-Partner einprasseln. Rechtsansprüche werden erwähnt, Rachegelüste adressiert oder die Ungerechtigkeit in Hinblick auf die finanzielle Absicherung angesprochen. Wie so oft hilft die Kenntnis um die unterschiedlichen Lösungsvarianten bei der nachhaltigen Entscheidungsfindung. Doch sollten hier wie dort auch die Zwischentöne der unterschiedlichen Möglichkeiten bedacht werden, vor allem dann, wenn die ehemaligen Eheleute auch in Zukunft noch auf der Elternebene miteinander verbunden bleiben.

Klage oder Antrag

Grundsätzlich bietet das Rechtssystem zwei Wege, auf denen die Parteien zu einer Lösung beziehungsweise einer Auflösung der Ehe kommen können. Zunächst die klassische und in den Medien oftmals überrepräsentierte Scheidungsklage, in welcher einer Seite das alleinige oder zumindest überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe nachgewiesen werden soll. Sämtliche Scheidungsgründe vom lieblosen Verhalten, dem herabwürdigenden Umgang bis hin zur psychischen Erkrankung oder dem darauf basierenden Verhalten oder gar Alkoholismus und Gewalt können hier ins Treffen geführt werden. Wichtig ist dabei zu wissen, dass eine jede Scheidungsklage immer auch noch im Rahmen der Verhandlung bis zum Ende der erstinstanzlichen Entscheidung auf den einvernehmlichen, außerstreitigen Weg umgepolt werden kann.

Scheidungen berühren neben zwischenmenschlichen Aspekten auch finanzielle und juristische Fragen: Gibt es etwa dennoch einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenpension?
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Bei ebendiesem einvernehmlichen Modell, welches nicht grundlos an die 87 Prozent der Scheidungen repräsentiert, geht es fortan zumindest prozessual nicht mehr um die Frage der Schuld, sondern rein nur um die unterschriftsreife Vereinbarung hinsichtlich der Scheidungsfolgen. Es müssen also die Angelegenheiten der minderjährigen Kinder wie etwa Obsorge, elterliche Verantwortung, Kindesunterhalt, Kindesbetreuung und Kontaktrecht, aber auch finanzielle Aspekte zwischen den Erwachsenen geregelt werden. So wird die Frage des nachehelichen Unterhalts ebenso unter die Lupe genommen wie auch das Schicksal des bisherigen ehelichen Wohnsitzes, der Ersparnisse und/oder Schulden und schlichtweg aller anderen Gegenstände, seien sie nun Fahrzeuge, Bilder, Computer oder auch das im Rahmen der Flitterwochen liebgewonnene Campinggeschirr.

Die Mediation im Rahmen der einvernehmlichen Scheidung

Bleiben die Parteien zumindest als Eltern weiterhin miteinander in Verbindung, so wird eine Aussprache früher oder später unumgänglich, weswegen die Verletzungen und enttäuschten Hoffnungen oftmals in der Scheidungsmediation einen wesentlichen Teil des Verfahrens ausmachen. Haben sich die zukünftigen Ex-Eheleute dann ihre Verletzungen zugestanden und auch (bestenfalls) die Verantwortung für das eine oder andere falsche Wort übernommen, kann an einer nachhaltigen Lösung für Kind, Wohnung, Haus und Geld gearbeitet werden. Ein Punkt taucht dabei mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer und immer wieder auf: die Absicherung im Alter.

Absicherung durch Hinterbliebenenpension

Während in aufrechter Ehe beziehungsweise auch eingetragener Partnerschaft die Absicherung der überlebenden Person durch das Institut der staatlichen Hinterbliebenenpension sichergestellt ist, so endet dieser Anspruch grundsätzlich mit dem Ende der Ehe. Es gibt aber zwei Varianten, welche zumindest zu einem Teil den Anspruch doch noch weiterhin erhalten können.

Die erste Möglichkeit ist eine Scheidung(-sklage) gemäß § 55 Ehegesetz wegen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft. Leben etwa zwei Ehegatten seit zumindest drei Jahren nachweislich getrennt und leistet ein Ehegatte auch nach der Scheidung Unterhalt "wie in aufrechter Ehe", so besteht die Möglichkeit, den vollen Anspruch auf Hinterbliebenenpension zu erhalten. Weitere Voraussetzung für den Erhalt ist unter anderem das zumindest 15 Jahre lange Bestehen der Ehe und die Altersgrenze von 40 Jahren, welche die fortan bezugsberechtigte Person überschritten haben muss. Sind all diese Voraussetzungen erfüllt, so steht der Weg der Absicherung durch den Staat offen.

Die zweite Variante wäre schlichtweg die Vereinbarung eines nachehelichen Unterhalts im Rahmen der einvernehmlichen Scheidung. Hierdurch wird grundsätzlich ein Anspruch auf Hinterbliebenenpension gesichert, doch ist dieser durch die Höhe des geleisteten Unterhalts gedeckelt.

Fragen der Schuld, Gerichtskosten und Unterhalt

Bei allen offenkundigen Vorteilen dieser finanziellen Absicherung durch eine dritte Quelle dürfen jedoch auch die Pferdefüße dieser Variante im Verhältnis zur einvernehmlichen Scheidung (welche pikanterweise gleich im Nachbarparagrafen 55a Ehegesetz geregelt ist) nicht außer Acht gelassen werden. Während die einvernehmliche Scheidung rein formell von beiden Parteien beantragt wird und beide auf dem gleichen – meist am Gericht aufliegenden – Formular ihre Einigkeit über die Scheidungsfolgen mit einer Unterschrift dokumentieren, wird die Scheidung gemäß §55 Ehegesetz mit einer Klage eingeleitet. A klagt also B auf Scheidung wegen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft. Darüber hinaus spielt die Frage der Schuld eine wesentliche Rolle. So muss eben A (die ausgezogene Partei) die alleinige oder überwiegende Schuld an der Zerrüttung der Ehe auf sich nehmen, was auch noch (mangels einer anderen Vereinbarung) Auswirkungen auf die entstehenden Gerichtskosten hat (diese sind von der schuldigen Partei zu tragen). Auch die Frage des lebenslangen Unterhalts stellt in der Regel noch eine gewisse Hürde dar, doch kann dieses Hindernis im Rahmen einer Mediation oder Scheidungsberatung in vielen Fällen angesprochen und gelöst werden.

Wie klappt es dennoch?

Alternativ bleibt es freilich möglich, eine Absicherung der einkommensschwächeren Partei auch im Rahmen der einvernehmlichen Scheidung (§55a EheG) zu erreichen. Immer den guten Willen beider Seiten vorausgesetzt, besteht die Möglichkeit, eine Ablebensversicherung zugunsten der abzusichernden Person abzuschließen oder auch eine letztwillige Anordnung im Rahmen eines Testaments zu schaffen. Hier muss darauf hingewiesen werden, dass das Testament als einseitige Willenserklärung jederzeit wieder widerrufen und geändert werden kann. Ebenso können Einmalzahlungen oder überlegt formulierte Unterhaltsvereinbarungen einen bedeutenden Aspekt der Altersvorsorge bilden.

Ein Beispiel: Nach fünfjähriger Trennung einigen sich Frau und Herr M. dahingehend, ihre Ehe auch offiziell vor dem Gericht zu beenden. Im Rahmen einer Scheidungsberatung erfahren sie von den Vorteilen der Scheidung wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft, doch widerstrebt Herrn M., die alleinige Schuld an der Zerrüttung der Ehe auf sich zu nehmen, zumal das Thema der Schuld bereits in den Jahren zuvor ein permanenter Konfliktpunkt zwischen den Eheleuten war. Auch die gemeinsamen, bereits erwachsenen Kinder waren in den Entscheidungsprozess eingebunden und ersuchten die Eltern, sich schon allein aufgrund der mit einer Klage einhergehenden Symbolik für den einvernehmlichen Weg zu entscheiden. Um dem Bedürfnis der Frau nach Anerkennung ihrer Leistungen für den gemeinsamen Haushalt, aber vor allem ihrem Wunsch nach Absicherung im Alter zu entsprechen, kommen die beiden überein, statt eines laufenden nachehelichen Unterhalts eine Einmalzahlung als Starthilfe in die Zukunft zu vereinbaren sowie die seit 20 Jahren bestehende Lebensversicherung des Mannes nicht auf die neue Freundin umzuschreiben, sondern vielmehr als Absicherung gegen Altersarmut für die Frau weiterhin bestehen zu lassen.

Mediation und Beratung können helfen

Natürlich klingt die Idee einer Ressourcenerweiterung durch die staatliche Hinterbliebenenrente verlockend, doch ist der Weg dorthin steiniger, als der erste Blick vermuten lassen würde. Abgesehen von der Übernahme der Schuld sowie den Prozesskosten und der Verpflichtung einer lebenslangen Unterhaltsleistung bedeutet schon allein auch die rechtliche Form einer Klage einiges für die zwischenmenschliche Chemie der ehemaligen Eheleute. Werden die wechselseitigen Bedürfnisse nach Anerkennung, Wertschätzung, aber auch einer Entschuldigung durch eine Aussprache nicht befriedigt, so kann weiteres Ungemach nicht ausgeschlossen werden. Wird die Unterhaltszahlung beispielsweise entgegen der schriftlichen und rechtskräftigen Verpflichtung nicht geleistet, so droht ein Verlust des Hinterbliebenenpensionsanspruches und somit möglicherweise eines Grundes für die Wahl dieser Scheidungsform.

In der Mediation, aber auch im Rahmen der diversen Beratungsangebote können Wege und Möglichkeiten erarbeitet werden, um nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte anzusprechen, sondern vor allem auch die Motive und Wünsche der scheidungswilligen Person letztmalig zu klären. Eine ehrliche Entschuldigung, ein "Ja, ich habe verstanden, dass dich das kränkt, und es tut mir leid" oder auch eine wertschätzende Anerkennung der gemeinsamen Zeit helfen dabei sowohl menschlich als auch im Sinne einer nachhaltigen Scheidungsvereinbarung. (Ulrich Wanderer, 7.12.2022)