"Die ÖVP hat generell ein starkes Interesse an Chatnachrichten aufgrund des großen Erfolgs", ätzt Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ).

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Aus delikaten Chats zitieren. Auf der Ladung bestimmter Zeugen bestehen. Nicht von einer Frage abrücken wollen. All das sind Verhaltensweisen, in denen die SPÖ in den vergangenen drei Jahren durch Ibiza- und ÖVP-U-Ausschuss im Nationalrat reichlich Übung gesammelt hat. In gegenteiligen Disziplinen konnte sich ihr türkises Gegenüber ausgiebig Erfahrung aneignen: im Verteidigen, im Mauern und im Blockieren.

Ein Tausch dieser gut eintrainierten Rollen vollzieht sich nun im Wiener Rathaus. Anlass ist die am Freitag startende, gemeinderätliche Untersuchungskommission zur Causa Wien Energie – also das Äquivalent zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Beantragt und auf den Namen "SPÖ-Finanzskandal-Untersuchungskommission" getauft wurde sie von ÖVP und FPÖ.

Gemeint sind damit die Vorgänge um den im Sommer bekanntgewordenen, dramatischen Finanzbedarf der Wien Energie – darunter die Vergabe eines in Summe 1,4 Milliarden Euro schweren Kredits durch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) per Notkompetenz. Diese wird die U-Kommission unter die Lupe nehmen. Das bedeutet: Angreifer werden zu Angegriffenen – und umgekehrt. Für das rot-türkise Verhältnis birgt das durchaus Sprengkraft.

Die Örtlichkeit – das "Top 24" im Arkadenhof – hat bereits einige U-Kommissionen erlebt – etwa jene zum Krankenhaus Nord.
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Türkises Interesse an Chats

Was sich da anbahnt, davon haben SPÖ und ÖVP bereits einen recht plastischen Eindruck vermittelt. Zum Beispiel mit dem Gezerre um Chatnachrichten. Die Volkspartei hat, wie berichtet, beantragt, dass die U-Kommission Einsicht in die Diensthandys von Bürgermeister Ludwig und seinem Parteikollegen Finanzstadtrat Peter Hanke bekommt. Verlangt wird wörtlich die "Vorlage der elektronischen Dateien der Kommunikationsverläufe auf dem Diensthandy beziehungsweise einem Dienst-Tablet wie SMS, iMessage, Whatsapp, Signal, Telegram et cetera" – rund um die Wien Energie.

In der SPÖ stößt dies auf demonstrative Erheiterung. "Die ÖVP hat generell ein starkes Interesse an Chatnachrichten aufgrund des großen Erfolgs", sagte Ludwig im STANDARD-Gespräch in Anspielung auf heikle türkise Chats, die trotz Gegenwehr der ÖVP in U-Ausschüssen ans Licht kamen. Übt die Wiener Volkspartei nun dafür Rache, wie manche munkeln?

Die Interpretation, dass sich die ÖVP mit ihrem Begehr nach Chats an den Roten räche, sei eine "SPÖ-Erzählung", sagt der türkise Klubchef Markus Wölbitsch.
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Fest steht: Die Formulierung im türkisen Antrag ist nicht zufällig gewählt. Wie die ÖVP auch offen zugibt, ähnelt der Text einem Antrag, mit dem SPÖ und Neos vor zwei Jahren im Ibiza-U-Ausschuss Zugriff auf Handynachrichten des damaligen Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) forderten. Von Rache will Markus Wölbitsch, ÖVP-Klubchef und türkiser Fraktionsführer in der U-Kommission, dennoch nicht sprechen. Das sei eine "SPÖ-Erzählung", erklärte er am Dienstag bei einem Hintergrundgespräch. Vieles liege am Tisch, das eine U-Kommission rechtfertige, betonte er. "Wir machen die Dinge wohlüberlegt und mit Hand und Fuß."

Ob der türkise Chatantrag durchgeht, wird spätestens in rund zwei Wochen klar sein. Im Prinzip können Beweise oder Zeugen auch von nur einem Viertel der insgesamt 16 Mitglieder angefordert werden – die ÖVP verfügt über ausreichend Sitze dafür. Wenn die rot-pinke Regierungsmehrheit aber gegen das Begehr ist, kann diese der Stadtverfassung zufolge den Vorsitzenden, Richter Martin Pühringer, um eine Entscheidung bitten. Pühringer muss seine Position laut Thomas Reindl, Fraktionsführer der SPÖ in der U-Kommission, bis zur jeweils nächsten Sitzung mitteilen. Wie die SPÖ über den Chatantrag abstimmen wird, wollte Reindl am Mittwoch bei einer Pressekonferenz nicht verraten.

Heikle Ausgangslage für große Koalition

Diese Gemengelage zeigt: Das Verhältnis zwischen SPÖ und ÖVP dürfte in nächster Zeit angespannter werden. Und das ist heikel: Denn immerhin gilt sowohl auf Wiener als auch auf Bundesebene eine große Koalition als Denkvariante für die Zukunft. Bürgermeister Ludwig wird nachgesagt, ein Anhänger dieses Modells zu sein. Und auch Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner schließt eine Zusammenarbeit mit der ÖVP nicht aus.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner schließt eine große Koalition zumindest nicht aus.
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Beiträge zur Verkomplizierung der Beziehung finden sich auch aufseiten der SPÖ. So ließ Reindl etwa durchblicken, dass er in Sachen Minderheitenanträge wohl noch Diskussionen anzetteln wird. Aus seiner Sicht braucht es eine genauere Klärung, wie groß das Quorum sein muss, um die Entscheidung der Zulässigkeit an den Vorsitzenden der Kommission zu delegieren. Relevant ist das für die SPÖ deshalb, weil es um die Frage geht, ob sie notfalls ohne die Neos einen Minderheitenantrag erschweren kann: Die SPÖ hat in der U-Kommission acht Sitze, die Neos haben einen Sitz.

Dieses Ansinnen wird den Ruf, den Reindl auf den Rathausgängen hat, wohl noch verstärken. Dort wird er dieser Tage mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) verglichen. Einerseits wegen des aufbrausenden Charakters, der beiden Männern nachgesagt wird. Und andererseits, weil Sobotka als Vorsitzender des ÖVP-U-Ausschusses fast so umstritten ist wie Reindls Rolle als SPÖ-Fraktionsführer in der U-Kommission.

Umstrittener Fraktionsführer

Gemeinderatsvorsitzender Thomas Reindl (SPÖ) verteidigt sich gegen die Kritik der Opposition.
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Das hängt mit der zweiten Funktion Reindls und der Entstehungsgeschichte der U-Kommission zusammen. Als Gemeinderatsvorsitzender hatte Reindl ein gewichtiges Wort dabei mitzureden, wie der Untersuchungsgegenstand genau aussieht – die ÖVP und er lieferten sich dazu eine Art Gutachtenkrieg.

Dass Reindl die Rahmenbedingungen für die Kommission geschaffen habe und nun eine derart prominente Rolle darin einnehme, schmeckt der Opposition gar nicht. Reindl hält dem entgegen, dass inzwischen seine Stellvertreterin Gabriele Mörk für sämtliche Fragen zur U-Kommission, die im Gemeinderat aufschlagen, zuständig ist. Sollte die U-Kommission auf der Tagesordnung stehen – was spätestens bei der Diskussion des Abschlussberichts der Fall ist –, werde er nicht den Vorsitz führen.

Von all den Differenzen abgesehen, bietet der Rollentausch für SPÖ und ÖVP allerdings auch eine Chance: sich besser ineinander hineinzuversetzen. (Stefanie Rachbauer, 30.11.2022)