Manche Grizzlys setzen wegen des Klimawandels lieber auf vegetarische Kost als auf Lachs.
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Dass der Klimawandel die Artenvielfalt unseres Planeten gefährdet, ist bekannt. Seit Darwin wissen wir aber auch, dass Lebewesen für ihren Fortbestand von jeher anpassungsfähig sein mussten. Können sie das jetzt nicht auch? Dieser Frage widmet sich der US-amerikanische Biologe Thor Hanson in seinem neuen Buch Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen, das auf der Shortlist des Wissenschaftsministeriums für das Wissenschaftsbuch des Jahres steht.

Bäume wie die Gemeine Hopfenbuche dehnen ihr Verbreitungsgebiet aus.
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Das MAD-Prinzip

Prinzipiell gilt bei sich ändernden Umweltbedingungen für alle betroffenen Organismen das MAD-Prinzip: Move, Adapt, or Die – zu Deutsch: Migration, Anpassung oder Tod. Soll heißen: Chancen auf Überleben hat nur, wer sich Änderungen entzieht oder sich anpasst. Das Entziehen vieler Arten ist bereits in vollem Gang: Laut Schätzungen ist mindestens ein Viertel allen Lebens auf der Erde dabei, sich eine neue Heimat zu suchen, meistens in kühleren Lagen. Das heißt, wo Berge vorhanden sind, geht der Trend zu höher hinauf.

So haben sich etwa die Verbreitungsgebiete der Vögel an einem Berg in Neuguinea innerhalb von 50 Jahren um mehr als 100 Meter nach oben verschoben. Ähnliche Befunde gibt es aus Peru. Auch die Pflanzenwelt wandert, und zwar erstaunlich rasch: So verschiebt laut Hanson die vom Mittelmeerraum bis Kleinasien verbreitete Gemeine Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia), die bei uns bislang nur in einigen Wärmeinseln vorkommt, das geografische Zentrum ihrer Verbreitung pro Dekade um 34 Kilometer, der in den USA heimische Lederhülsenbaum (Gleditsia triacanthos) sogar um 64 Kilometer.

Tintenfische, die schrumpfen: Eine der vielfältigen Antworten der Natur auf den Klimawandel.
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Eine Frage des Timings

Wegziehen ist also eine verbreitete Methode, um ungünstigen Bedingungen zu entgehen. Freilich muss in der neuen Umgebung nicht alles besser sein: Es kann neue Fressfeinde geben, neue Konkurrenten und dergleichen mehr. Doch auch althergebrachte Wanderungen wie der Vogelzug bergen im Zuge der Erderwärmung neue Tücken: Während der Vogelzug vornehmlich durch die Tageslänge ausgelöst wird, an der der Klimawandel gar nichts ändert, orientieren sich Pflanzen und Insekten in den Brutgebieten an der Temperatur und blühen oder schwärmen früher. Für insektenfressende Vögel wie Schwalben kann das bedeuten, dass sie nicht mehr zum Höhepunkt des Insektenangebots heimkehren, für nektartrinkende Kolibris, dass nektarreiche Blumen schon in ihrer Abwesenheit geblüht haben. Die Folgen dieser sogenannten phänologischen Fehlanpassungen sind noch nicht absehbar.

Wer in seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet bleibt, muss sich anpassen, wie auch immer es geht: So schildert Hanson, dass der bis zu 2,5 Meter große Humboldt-Kalmar (Dosidicus gigas) bei den Fischern im Golf von Kalifornien 2009 und 2010 als weitgehend verschwunden galt, nachdem die Wassertemperaturen dort stark gestiegen waren. In Wirklichkeit war er noch da und sogar sehr zahlreich; allerdings waren die Tintenfische mittlerweile so klein, dass sie nicht mehr nach den für sie gedachten Ködern schnappen konnten und daher nicht bemerkt wurden. Sie absolvierten Wachstum und Fortpflanzung unter Hitzestress nämlich in der halben Zeit, weshalb sie viel kleiner blieben.

Eidechsen können durch Anpassung selbst Hurrikans trotzen.
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Eine unerwartete Klimawandelanpassung zeigten die Grizzlys auf Kodiak Island vor der Südküste Alaskas: 2014 besenderte dort ein Wissenschaftsteam fast 40 Grizzlys und musste zu seiner Überraschung feststellen, dass diese sich in diesem Sommer für die sonst so begehrten Lachse gar nicht interessierten. Stattdessen stopften sie sich mit Früchten des Roten Holunders voll. Diese waren durch ein wärmeres Frühjahr und einen heißen Sommer zwei Wochen früher reif als sonst und damit mitten in der Lachssaison. Die Früchte enthalten genau das Verhältnis von Protein und Kohlenhydraten, das für die Bären optimal ist, um sich das erforderliche Winterfett anzufressen. Sie wurden ursprünglich nur erst am Ende der Lachssaison reif.

Eidechsen im Sturm

Dass der Klimawandel auch direkt und sehr rasch in die Evolution einer Art eingreifen kann, zeigt das Beispiel der Anolis-Eidechsen auf den karibischen Turks- und Caicosinseln. 2017 verwüsteten innerhalb kürzester Zeit zwei Wirbelstürme die Inseln. Dort stationierte Forschende hatten vor den Hurrikans Eidechsen gefangen und detailliert vermessen. Nur sechs Wochen später – nach den Stürmen – wiederholten sie die Erhebungen, um zu sehen, ob die Überlebenden besondere Eigenschaften aufwiesen. Tatsächlich hatten sie alle signifikant größere Haftpolster an ihren Zehen und längere Vorderbeine.

Thor Hanson, "Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen. Faszinierende Antworten der Natur auf die Klimakrise". € 22,70 / 288 Seiten. Kösel-Verlag, München 2022.
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Um zu überprüfen, ob diese körperlichen Attribute tatsächlich mit den Stürmen in Verbindung stehen konnten, platzierten die Forscher die Tiere auf einer Stange und setzten sie mittels eines Laubbläsers künstlichem Sturm aus. Bei der höchsten Stufe flatterten die Eidechsen wie Fahnen im Wind, ehe sie loslassen mussten. Größere Haftpolster und längere Vorderbeine ermöglichten ihnen, sich länger festzuhalten, was ihre Überlebenschancen in freier Natur offenbar erhöhte, wo sie nicht wie im Versuch in einem weichen Netz landeten. Spätere Untersuchungen zeigten außerdem, dass sie diese Körpermerkmale auch an ihre Nachkommen vererbten.

Trotz allem stellt der Klimawandel eine massive Bedrohung für die Artenvielfalt dar, zumal Pflanzen und Tiere ja nicht nur an ihm zu leiden haben, sondern an vielen anderen menschenverursachten Problemen, wie Lebensraumverlust und Umweltgifte. Das schränkt ihre Ressourcen, um mit der Erderwärmung fertig zu werden, maßgeblich ein. Deshalb fällt die Antwort auf die Frage, was wir dagegen tun können, in Hansons Buch eindeutig aus: "Alles, was wir nur können." (Susanne Strnadl, 4.12.2022)