Archivbild vom 6. November 2021: Maria Kolesnikowa vor Gericht.

Foto: AFP / Belta / Ramil Nasibulin

Es sei eine "schreckliche Nachricht", schreibt Sewtlana Tichanowskaja, die belarussische Oppositionsführerin im Exil. "Unsere liebe Mascha, wir alle hoffen, dass du wieder gesund wirst." "Mascha" – so nennen Freunde und Mitstreiterinnen Maria Kolesnikowa liebevoll.

"Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel", sagt Taziana Chomitsch, ihre Schwester, zum oppositionellen TV Rain: Sie sei in einer Strafzelle eingesperrt gewesen, angeblich sei sie in der arbeitsfreien Zeit verbotenerweise in einem Arbeitsbereich gewesen und habe andere beschimpft. "Fast zwei Wochen lang konnte ihr Anwalt sie nicht besuchen, obwohl dies eine Verletzung ihrer Rechte darstellt."

Notoperation durchgeführt

Kolesnikowa wurde in der belarussischen Stadt Gomel auf die Intensivstation des örtlichen Krankenhauses gebracht und dort notoperiert. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Inzwischen soll sie auf eine normale Station verlegt worden sein. Laut Chomitsch sei der Zustand ihrer Schwester ernst, verbessere sich aber. Chomitsch erhofft sich bald mehr Informationen.

Singend und tanzend auf den Straßen von Minsk – so haben viele Kolesnikowa in Erinnerung. Sie war im Sommer 2020 die Letzte der drei Anführerinnen der Protestbewegung gegen Alexander Lukaschenko. Ihre Mitstreiterinnen Veronika Zepkalo und Tichanowskaja hatten das Land längst verlassen, doch Kolesnikowa war auf jeder Demonstration dabei, gab Interviews. Ja, sie glaube an den Erfolg; die Protestbewegung werde siegen, sie werde niemals das Land verlassen.

Reisepass zerrissen

Im September 2020 entführten Lukaschenkos Schergen Kolesnikowa, verschleppten sie an die ukrainische Grenze und wollten sie aus dem Land werfen. Doch sie zerriss ihren Pass, kam in Untersuchungshaft. Dort stellte sie Strafanzeige gegen Lukaschenkos Geheimdienst und die Sonderpolizei. Man habe sie beschimpft, ihr einen Sack über den Kopf gezogen und ihr gedroht – mit 25 Jahren Freiheitsstrafe oder gar der Zerstückelung ihrer Leiche. Fast ein Jahr war Maria Kolesnikowa in Untersuchungshaft und wurde dann zu elf Jahren Straflager verurteilt. Sie habe eine Verschwörung zur verfassungswidrigen Machtergreifung vorbereitet, die nationale Sicherheit gefährdet und eine extremistische Organisation gegründet.

Über Kolesnikowas Haftbedingungen weiß man nur wenig. Doch normalerweise geht es im Straflager wesentlich härter zu als in einem normalen Gefängnis. Schikanen sind an der Tagesordnung, weiß der Regisseur Oleg Senzow, der selbst in einem russischen Lager war.

"In ein Fegefeuer geraten"

Die Haftbedingungen in Belarus dürften ähnlich, wenn nicht härter sein. "Dort gibt man dir gleich auf der Schwelle zu verstehen, dass du in ein Fegefeuer geraten bist, in dem du keinerlei Rechte hast, Beschwerden zwecklos sind und es niemanden gibt, bei dem man sich beschweren könnte", schreibt Senzow in einem Artikel der Onlinezeitung Nowaja Gaseta.

Chomitsch sagt, ihre Schwester müsse sechs Tage pro Woche Militäruniformen nähen. Für politische Gefangene gebe es viele verschiedene Strafen – wie etwa den Ausschluss von Sport- und Unterhaltungsaktivitäten oder den Entzug von Geschenken von Verwandten. Auch müssten politische Gefangene ein spezielles gelbes Emblem tragen. Mit Maria habe sie zum bisher letzten Mal im vergangenen August telefonieren dürfen. Ihr Vater habe sie immerhin Ende Oktober – also vor rund einem Monat – für vier Stunden besuchen können. "Papa sagte, Mascha sei sehr gut gelaunt, wie immer sehr stark, sehr fröhlich."

Nun aber die beunruhigende, rätselhafte Nachricht, die die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zum Anlass nahm, am Mittwoch die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen zu fordern. "Die Berichte über den Gesundheitszustand von Maria Kolesnikowa gehen mir sehr nahe", erklärte Baerbock. "Das Regime in Belarus muss für ihre Gesundheit garantieren und sie sofort freilassen." (Jo Angerer aus Moskau, 30.11.2022)