Die Bahnen der Sterne um das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße. Sie belegen die Existenz eines extrem massereichen Objekts, doch ob es sich um ein Schwarzes Loch handelt, war lange Zeit nicht klar.
Foto: ESO/MPE/Marc Schartmann

Schwarze Löcher sind schwer zu fassen. Wie beweist man die Existenz von etwas, dessen Eigenschaften schon aus theoretischer Sicht zum Teil nicht beobachtbar sind und unbekannt bleiben müssen?

Reinhard Genzel bekam für eine Klärung dieser Frage – existieren Schwarze Löcher wirklich? – 2020 den Nobelpreis für Physik, gemeinsam mit Andrea Ghez und dem wahrscheinlich Bekanntesten der drei, Roger Penrose. Nun war der Physiker, der Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching bei München, für einen Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.

Die Idee, der er folgte, ist genial einfach, bedurfte aber enormer Ressourcen und einer guten Portion Glück, wie er im Gespräch mit dem STANDARD erzählt.

"Vom rein Phänomenologischen her ist es so, dass ein Schwarzes Loch tatsächlich schwarz ist, in dem Sinn, dass kein Licht entweichen kann", erklärt Genzel. "Aber wenn Materie einfällt, dann kann natürlich die potenzielle Energie in Strahlung umgewandelt werden – und das ist erheblich." In solchen Phasen können Schwarze Löcher zu den hellsten Objekten im Universum werden. "Aber das zeigt natürlich erstmal nicht, ob es sich um ein Schwarzes Loch handelt, sondern einfach, dass dort sehr, sehr viel Energie produziert wird", sagt der Forscher. Der Nachweis, dass es sich tatsächlich um ein Schwarzes Loch handelt, müsse über die Schwerkraft selbst erfolgen. "Die Schritte, die man da gehen muss und die wir dann auch gegangen sind, haben 40 Jahre gedauert", erzählt Genzel.

Reinhard Genzel erzählt in der Akademie der Wissenschaften in Wien von Schwarzen Löchern.
Foto: Ludwig Schedl

Dass sich im Zentrum der Milchstraße ein enorm massereiches Objekt befindet, war schon seit längerer Zeit klar. Doch solange ein solches Objekt weit entfernt ist, lässt sich aus der Schwerkraft, die es auf benachbarte Objekte ausübt, keinen Rückschluss auf seine Größe ziehen.

Zuerst die Geschwindigkeit von Wolken

Begonnen habe alles mit der Untersuchung von Gaswolken, berichtet Genzel. Es sei gelungen, ihre enorme Geschwindigkeit zu messen, die wiederum auf ein extrem schweres und kompaktes Objekt hindeutete. Doch es gab auch Zweifel an den Ergebnissen: "Gaswolken reagieren auf die Gravitation, aber sie sehen reagieren auch auf Magnetfelder." Außerdem stünden sie im Einfluss stellarer Winde. All das machte den Nachweis schwierig, dass wirklich die Schwerkraft eines Schwarzen Lochs für die extremen Effekte verantwortlich war.

Ein Blick ins Zentrum unserer Galaxie. Das Video der Europäischen Südsternwarte macht die Bewegungen der Sterne um das Schwarze Loch sichtbar. Der Stern S2 beschleunigte bei seiner größten Annäherung bis auf 5.000 Kilometer pro Sekunde.
European Southern Observatory (ESO)

"Mitte der 80er Jahre waren wir innerhalb unserer Gruppe schon ziemlich überzeugt, dass das ein Schwarzes Loch sein muss", sagt Genzel. "Aber die meisten anderen haben gesagt, nein, da seid ihr zu weit entfernt vom Ereignishorizont und da kann alles Mögliche drin sein, zum Beispiel eine Million Neutronensterne."

Also habe man sich als Nächstes auf Sterne im Zentrum der Galaxie konzentriert. "Doch das Galaktische Zentrum kann man nicht im Optischen sehen, da muss man ins Infrarote gehen", erklärt Genzel. "Und die Infrarottechnik war damals noch ganz am Anfang."

Genzel konnte in den USA Detektoren des amerikanischen Militärs nutzen, die gerade für zivile Zwecke wie die Forschung freigegeben wurden. Doch erst mit den ersten großen Teleskopen sei es gelungen, Sternbewegungen im galaktischen Zentrum aufzuzeichnen. Das allein sei außergewöhnlich gewesen: "Bis auf das Sonnensystem ist es in der Astronomie ja so, dass sich eigentlich nichts bewegt."

Für das Zentrum der Galaxie gilt das nicht, hier kreisen Sterne mit teils enormen Geschwindigkeiten um ein dunkles Zentrum. Über BeobachtungszeitenIm Laufe von Jahren lassen sich sogar eindrucksvolle Videos aufnehmen.

Das Zentrum der Milchstraße, aufgenommen von Hubble und dem Röntgenobservatorium Chandra der US-Weltraumagentur Nasa. Der kleine Ausschnitt zeigt nur das Röntgenbild.
Foto: X-ray: NASA/UMass/D.Wang et al., IR: NASA/STScI

Von Teleskopen mit Spiegeldurchmessern von anfangs drei Metern hat man sich auf zehn Meter gesteigert. Adaptive Optik machte es dank immer schnellerer Computer möglich, atmosphärische Störungen auszugleichen.

"Dann sahen wir sogar die erste Bahn eines Sterns", erinnert sich Genzel. Doch die Entfernung betrug immer noch mindestens ein 10.000-faches des theoretisch vorhergesagten Ereignishorizonts. Das sei immer noch nicht für alle überzeugend gewesen. "Viele in der Astronomie haben es geglaubt, aber die Physiker wollten es noch nicht so recht ernst nehmen", erzählt der Nobelpreisträger von der Situation in den Neunzigern.

Ein Glückstreffer bringt die Entscheidung

"Und dann haben wir Wahnsinnsglück gehabt", sagt Genzel. Es gab tatsächlich Sterne mit Umlaufzeiten von nur 20 bis 30 Jahren und eine extreme Annäherung an das galaktische Zentrum, die damals noch gar nicht erklärbar gewesen sei. "Da ist die Situation in Deutschland in der Max- Planck- Gesellschaft besonders hilfreich gewesen, da wir hier die Möglichkeit hatten, so ein langfristiges Projekt zu planen. Dazu kam dann und auch die Tatsache, dass wir dann mit diesen großen Teleskopen dazu arbeiten konnten", würdigt Genzel das Max-Planck- Institut für Extraterrestrische Physik, an dem er seit 1986 Direktor ist. Sein Team arbeitete mit dem Very Large Telescope, kurz VLT. "Im letzten Schritt konnten wir die vier Acht-Meter-Teleskope zusammenschalten – das war vom Experimentellen her der große Durchbruch", sagt Genzel.

40 Jahre dauerte es, um Zweifel an der Existenz eines Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße auszuräumen, erzählt Genzel.
Foto: Ludwig Schedl

Es gelang ihm und seinem Team, einen Stern mit besonders langgezogener, elliptischer Bahn, bei einer Annäherung zu dokumentieren, die nur 17 Lichtstunden betrug, also nur etwa das Drei- bis Vierfache des Bahnradius von Neptun. Angesichts der gewaltigen Masse des Schwarzen Lochs, die etwa vier Millionen Sonnenmassen beträgt, ist das extrem nahe. Die Geschwindigkeit betrug dabei bis zu 5.000 Kilometer pro Sekunde. Das ist ein Sechzigstel der Lichtgeschwindigkeit. Das räumte letzte Zweifel an der Existenz des Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße aus. Im Nachhinein würdigt Genzel die Zweifelnden: "Dieser Wettstreit, der vielleicht hier und da schon anstrengend war und auch ist, hat natürlich den Vorteil, dass die zuschauende Community in gewisser Weise ein Theaterspiel sieht", sagt Genzel, der sich freut, dass Wissenschaft auf diese Art erlebbar wird.

Nun gehe es daran, mehr über das Schwarze Loch zu erfahren – etwa seinen Drehimpuls zu bestimmen, oder zu untersuchen, ob es "Haare", also messbare Unebenheiten besitzt, oder aber perfekt glatt ist. Besonderes Augenmerk legt Genzel mit seinem Team auf Gravitationswellenexperimente, allerdings weniger die drei aktiven Labors von Ligo in den USA und Virgo in Europa, sondern ein geplantes Weltraumlabor namens Lisa. Dabei sollen drei Satelliten Laserstrahlen austauschen und so besonders langwellige Gravitationswellen sichtbar machen.

"Die Technologie von Lisa ist unglaublich schwierig. Aber ich würde mal sagen, alles, was wir momentan wissen im Moment, deutet darauf hin, dass sie es funktionieren kann", sagt Genzel, der vom "ultivmativen Experiment" spricht. Mit Lisa würde es gelingen, nicht nur den letzten kurzen Moment des Verschmelzens Schwarzer Löcher zu dokumentieren, wie es Ligo und Virgo derzeit machen, sondern die "letzte stabile Umlaufbahn" der beiden dunklen Himmelskörper, die einige Tage stabil sein kann und viel genauere Informationen liefern würde.

Neutrinos brauchen noch Zeit

Andere Zugänge wie etwa die Neutrinoexperimente des Ice-Cube-Detektors, der kürzlich ebenfalls das Schwarze Loch im Zentrum einer Galaxie erfolgreich ins Visier nahm, sieht er Genzel erst am Anfang. Es sei toll, dass man die Neutrinos von Schwarzen Löchern sehe, aber: "Die Statistik ist einfach noch nicht gut genug." Hier seien noch weitere Messungen nötig.

Manche Wünsche werden unerfüllt bleiben müssen, sagt Genzel: "Wir würden natürlich gerne noch weiter nach innen kommen oder etwas über die Struktur der Singularität im Zentrum erfahren. Aber ich sehe kaum eine Chance, da hinzukommen." Auch kürzlich diskutierte Fragen über Wurmlöcher hält er für experimentell nicht zugänglich.

Ein Gamechanger wäre es, wenn nicht nur Gas, sondern ein ganzer Stern in das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße fiele. "Die Beobachtung eines solchen Effekts wäre natürlich hochinteressant", sagt Genzel, "nur ist die Wahrscheinlichkeit dafür relativ gering." In entfernten Galaxien passiere das hin und wieder, aber nicht im galaktischen Zentrum. Auszuschließen sei es aber nicht: "Es könnte jeden Tag passieren."

Extremes Riesenteleskop

Neben der Gravitationswellenanlage Lisa ruhen Genzels Hoffnungen auf einem neuen Riesenteleskop in der Atacamawüste. Im Gegensatz zum "Very Large Telescope", mit dem Genzel bisher arbeitete, ist das "Extremely Large Telescope" noch größer und genauer. 85 Meter hoch soll die Kuppel sein und einen Spiegel von fast 40 Metern Durchmesser enthalten, der wie der Hauptspiegel des James-Webb-Teleskops aus Sechsecken zusammengesetzt ist, die sich elektrisch anpassen lassen, um Unschärfen auszugleichen.

Ursprünglich waren erste Beobachtungen für 2024 geplant, doch die Corona-Pandemie warf den Zeitplan über den Haufen. Auch der zuletzt genannte Fertigstellungstermin 2027 wird nicht zu halten sein, sagt Genzel. Eine Firma, die den Dom baut, habe sich am Terminmarkt "verzockt", wie der Nobelpreisträger erklärt.

Aber sein Institut baue das erste Instrument für das neue Teleskop. Und er hoffe, noch Ergebnisse zu sehen, "bevor ich mir die Blumen von unten anschaue", schmunzelt Genzel. (Reinhard Kleindl, 26.12.2022)