Die umtriebige Spoken-Word-Performerin kennt die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene wie ihre Westentasche.
Foto: Claudia Rohrauer

Seit 20 Jahren steht Mieze Medusa, die mit bürgerlichem Namen Doris Mitterbacher heißt, als Spoken-Word-Performerin auf der Bühne und veröffentlichte als Autorin bereits mehrere Bücher. Ihr jüngster Roman Was über Frauen geredet wird (Residenz-Verlag) gilt als feministisches Plädoyer. Die Videoversion dieses StandArt-Gesprächs finden Sie hier.

STANDARD: Der englische Begriff "Smash" wurde kürzlich zum Jugendwort des Jahres gewählt. Wie wichtig ist Jugendsprache im Poetry-Slam?

Medusa: Wenn Jugend auf der Bühne steht, sehr wichtig. Ein reizvoller Poetry-Slam steht im Idealfall für unterschiedliche Menschen offen. Aber insgesamt ist es eine sehr junge Szene. Insofern wundert es mich, "Smash" noch nicht auf der Slam-Bühne gehört zu haben.

STANDARD: Anglizismen sind im Spoken Word – auch in Ihren Texten – ein wichtiges Sprachelement. Wann wird der deutsche Wortschatz zu klein?

Medusa: Nie. Der deutsche Wortschatz verändert sich, aber Sprachspiele Einzelner ändern nicht den Wortschatz. Wir sind eingeladen, die Sprache neu zu gestalten. Wenn wir klug sind, nehmen wir nicht nur eine andere Sprache als Quelle. Geht man beispielsweise in Wien durch die Straßen, sind ja nicht nur Anglizismen zu hören, sondern viele unterschiedliche Sprachen – und das ist gut so. Ich liebe Anglizismen, das merkt man meinen Texten auch an. In meinen Romanen versuche ich Figuren eine passende Sprache zu verleihen. Wenn eine junge Figur spricht, verwendet diese vielleicht mehr Anglizismen als eine ältere.

STANDARD: Kritische Stimmen empfinden die Entlehnung englischer Begriffe oft als Verunreinigung der deutschen Sprache. Beobachten Sie einen sprachlichen Wandel bei der jüngeren Generation?

Medusa: Die kritischen Stimmen gab es immer. Vielleicht werde ich selbst mal eine werden. Unterschiedliche Positionen sollen aber Platz haben und miteinander diskutieren, das ist doch cool. Die Poetry-Slam-Szene in Österreich ist inzwischen jedenfalls alt genug, dass es Poet:innen gibt, die jünger als die Szene selbst sind. Von ihnen kann man vieles lernen.

STANDARD: In einer Passage in Ihrem neuen Buch geht es ums Gendern in der Lyrik. Kann man Rap mit Gendersternchen machen – also gendergerecht schreiben und trotzdem sprachlich wendig bleiben?

Medusa: Ja selbstverständlich. Die deutsche Sprache ist immer gegendert. Die Frage ist, ob ich nur männlich gegenderte Sprache verwenden möchte oder auch andere Formen. Nur männlich gegenderte Sprache führt zu männlich dominierten Bühnen. Im deutschen Sprachraum haben wir oft das Problem, dass wir keine allzu hohe Meinung von sprachlicher Wendigkeit haben. Wir sind kein rhetorisch begabter Sprachraum! Die Personen, die absichtlich ungeschickt gendern und dann sagen, dass es ja nicht funktioniere, haben meist kein Interesse an gleichberechtigter Machtverteilung. Nach 20 Jahren im Poetry-Slam, wo wir von Anfang an sprachlich bewusst gegendert haben, kann ich sagen: Ja, es hat einen Impact, und ja, es verändert etwas.

STANDARD: Welche Veränderungen gab es auf den Bühnen?

Medusa: Die österreichische Slam-Szene ist in einem atemberaubend sichtbaren Ausmaß weniger männlich dominiert als jene in Deutschland. Das ist "astounding" (erstaunlich, Anm.), um einen Anglizismus zu verwenden. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es einen großen Unterschied macht, wie man als auftretende Person auf die Bühne gerufen wird. Ob es "Die nächste Poetin ist die einzige Frau im Line-up" lautet oder "Offene Ohren für …", macht einen enormen Unterschied. Die Rahmenbedingungen, wie Line-ups gestaltet und die Bühne aufgemacht wird, kann viel in der Rezeption beim Publikum verändern. Ein kleiner Trick, der viel bewirkt.

STANDARD: Wie unterscheidet sich Gendern in gesprochener und geschriebener Sprache?

Medusa: Für unterschiedliche Texte gibt es unterschiedliche Antworten. Ich finde die Diskussionen um gendergerechte oder genderneutrale Sprache äußerst spannend. Was mich aber langweilt, ist die Aussage: "Frauen sind ja eh mitgemeint, seid doch zufrieden." Denn wir sind weder mitgemeint noch gleichberechtigt. Es gibt noch viel Arbeit. Ein Teil betrifft aber nicht die sprachliche Ebene, beispielsweise verpflichtende Väterkarenz. Sprache kann nicht alles machen, aber sie hat eine enorme Auswirkung auf die Welt.

STANDARD: Was entgegnen Sie jemandem, der sagt, Gendern sei eine Zerstörung der Sprache?

Medusa: Dass Sprache nicht zerstört werden kann und auch keine einheitliche Sache ist. Zu jedem Zeitpunkt gab es Sprachwandel. Genauso wie sich Dialekte verändern, weil sich Regionen verändern. Sprache wandelt sich einfach. Und wie eine regionale Variante der deutschen Sprache definiert wird und wer sie mitgestaltet, darüber braucht es keine Oberhoheit. Was es hingegen schon braucht, ist eine Hochsprache. Also eine Sprache, die für die Schriftlichkeit geeignet ist. Und es lohnt sich, in Österreich darauf zu beharren, dass auch wir eine eigene Hochsprache haben. Genauso wie es eine bundesdeutsche und eine Schweizer Hochsprache gibt, mit regionalen Varianten, die gleichberechtigt sind.

STANDARD: Ihr neues Buch heißt "Was über Frauen geredet wird". Was wird über Frauen geredet?

Medusa: Extrem viel und Unterschiedliches. Rollenzuschreibungen werden mit viel Euphorie weitergetragen. Im Buch gibt es zwei Zentren, eines ist Wien und das andere Innsbruck. Meine These lautet, dass das Wort Frau in Österreich nicht immer das Gleiche bedeutet. Ein Beispiel ist Kinderbetreuung. Das ist in Wien selbstverständlich, in Tirol und auch anderen Bundesländern sicherlich nicht. Genauso wenig das Bild, dass man zugleich Mutter und berufstätig ist. Klingt plump, aber darüber herrscht keine Einigkeit.

STANDARD: Im Klappentext heißt es, Ihr Buch sei ein flammendes Plädoyer dafür, dass Frauen alles sein, werden und wollen dürfen. Sind wir da nicht schon längst angelangt?

Medusa: Leider nicht. Ich möchte mich tausendfach bei Johanna Dohnal (erste Frauenministerin Österreichs, Anm.) und vielen Frauen ihrer Generation bedanken, die wichtige Arbeit geleistet haben. Und natürlich gab es einen enormen Fortschritt, aber der Satz "Wir sind fertig mit der Gleichberechtigung" ist faktisch falsch. Viele Forderungen nach Gleichstellung wie bei Bezahlung, Care-Arbeit oder Kinderbetreuung sind noch offen.

STANDARD: Wie wird in Zukunft über Frauen geredet werden?

Medusa: Wir werden aktiv mitreden und uns dagegen wehren, wenn wir nicht mit am Tisch sitzen. (Katharina Rustler, 2.12.2022)