Covid-Wache auf der Straße in Peking. Die Spitze der harten Corona-Maßnahmen könnte bald überschritten sein.

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Nach Protesten gegen die strikten Corona-Maßnahmen hat Chinas Vizepremierministerin Sun Chunlan von einem "neuen Stadium der Pandemie" gesprochen und damit erneut Spekulationen über Lockerungen ausgelöst. "Da die Omikron-Variante weniger pathogen geworden ist, mehr Menschen geimpft werden und wir mehr Erfahrungen in der Covid-Prävention gesammelt haben, befindet sich unser Kampf gegen die Pandemie in einem neuen Stadium und bringt neue Aufgaben mit sich", sagte Sun.

Wie die Nachrichtenplattform Bloomberg berichtet, soll unter anderem geplant sein, Menschen mit leichtem Verlauf einen Heimquarantäne zu ermöglichen. Das soll zuerst in der Hauptstadtregion Peking umgesetzt werden. Bisher waren sie in Quarantänezentren gebracht worden.

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Die rigorosen Maßnahmen der Behörden als Reaktion auf die neue Corona-Welle führten am Wochenende zu Protesten in mehreren Millionenmetropolen. Es war die größte öffentliche Demonstration von Unmut in China seit Jahrzehnten. Als Reaktion auf die Versammlungen wurde eine massive Polizeipräsenz auf den Straßen von Peking, Schanghai und anderen Städten mobilisiert, um ein Wiederaufflammen der Demonstrationen zu verhindern.

Stärkere Impfkampagne

Schon vor dem Ausbruch der Proteste hatten die Behörden eine Anpassung der Corona-Maßnahmen beschlossen. Da die Infektionszahlen jedoch zuletzt stark anstiegen, verhängten viele Städte zusätzlich Maßnahmen. Die Gesundheitskommission forderte die lokalen Behörden auf, sich strikt an die Vorgaben zu halten. Am Dienstag kündigte die Kommission zudem an, die Impfkampagne stärker vorantreiben zu wollen – besonders in der älteren Bevölkerung. Aus Angst vor Nebenwirkungen wurden Ältere in dem 1,4-Milliarden-Einwohner-Land bisher weniger geimpft. Nur 40 Prozent der Menschen über 80 Jahren haben eine Booster-Spritze bekommen.

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Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen ging unterdessen den dritten Tag in Folge leicht zurück. Wie die Gesundheitskommission am Donnerstag berichtete, wurden am Vortag rund 35.800 neue Fälle gemeldet. Am Dienstag waren es rund 37.600. Erst kürzlich hatten die Zahlen mit mehr als 40.000 Neuinfektionen pro Tag einen Höchststand seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren erreicht.

"Weder dumm noch schwach"

Der Anführer der Studentenproteste von 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking sieht Präsident Xi Jinping indes durch die aktuellen Proteste geschwächt. "Du kannst dein Volk eine Zeitlang betrügen, einen Teil der Leute vielleicht sogar ihr ganzes Leben lang. Aber glaube nie, du könntest alle Menschen für immer zum Narren halten", sagte der im Exil lebende Dissident Wu'er Kaixi dem deutschen "Tagesspiegel" vom Donnerstag.

"Das chinesische Volk ist weder dumm noch schwach. Das sollte dich erzittern lassen, Xi Jinping", sagte der 54-Jährige. Die jüngsten Proteste erfüllten ihn mit Hoffnung. Er habe jedoch auch Angst vor einer Eskalation. "Ich will auf keinen Fall ein zweites Massaker sehen." Der Dissident bezog sich damit auf die blutige Niederschlagung der Demokratieproteste 1989 auf dem Tiananmen-Platz. Dennoch ermutigte Wu'er Kaixi die Protestierenden, keine Angst vor der chinesischen Führung zu haben. "Tyrannen fürchten nichts mehr als furchtlose Menschen", sagte er.

Peking in der Klemme

Die strikten Maßnahmen waren auch international kritisiert worden, lassen sich aber auch logisch erklären: Weil China von Anfang an auf harte Maßnahmen gesetzt hat, während der Rest der Welt davon immer mehr abkam, steckt Peking nun in der Klemme. Die Immunität gegen das Virus – oder gegen schwere Fälle – ist in China wegen ausbleibender Infektionswellen deutlich geringer. Dazu kommt, dass auch die Impfraten vergleichsweise gering sind – 86 Prozent der älteren Menschen haben laut Staatsmedium "China Daily" zwei, nur 68 Prozent drei oder mehr Stiche. Auch die verfügbaren Vakzine haben nicht die gleiche Qualität wie ihre westlichen Gegenstücke.

Würde China die Maßnahmen nun plötzlich aufheben, wäre angesichts der Omikron-Variante mit einer massiven Welle zu rechnen. Sie könnte das Gesundheitssystem des Landes lahmlegen, argumentierte jüngst die Deutsche Welle. Xi und seine Regierung hätten somit derzeit nur schlechte Möglichkeiten – und sich für jene entschieden, die bereits in den Köpfen der Menschen verankert ist. (red, APA, mesc, 1.12.2022)