Spermazellen sollen durch ein neues Vaginalgel effektiver blockiert werden. Bisherige chemische Verhütungsmethoden werden kombiniert mit anderen Barrieren – etwa mit in die Vagina eingeführten Verhütungskappen – verwendet.
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Vor, während und nach dem Sex kann man auf diverse Methoden zurückgreifen, wenn man eine Schwangerschaft verhindern will. Alle haben sie Vor- und Nachteile. Insbesondere bei hormoneller Verhütung überlegen sich Betroffene und ihre Ärztinnen und Ärzte eingehender, ob der komplexe Einfluss auf den Körper und etwaige Nebenwirkungen wie Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen und ein erhöhtes Thromboserisiko die Verwendung wert sind. An der Verbesserung von Pillen, Hormonpflastern und Co wird geforscht wie auch an der Weiterentwicklung anderer Methoden.

Im Bereich der chemischen Verhütung gibt es nun einen vielversprechenden Anwärter in Form eines Vaginalgels. Dies berichten die Biochemikerin Ulrike Schimpf von der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) im schwedischen Stockholm und ihr Team im Fachjournal "Science Translational Medicine". Das Gel bedarf weiterer Analysen und wurde noch nicht bei Menschen angewandt, doch wie die Studie erstmals zeigt, ist es sowohl in der Petrischale als auch in einem kleinen Tierversuch an acht Schafen erfolgsversprechend.

Der Test funktionierte so: Weiblichen Schafen wurde mit einer Spritze Gel in die Vagina eingebracht, in der Nähe des sogenannten Muttermunds. Diesen müssen Spermien passieren, um in den Uterus (Gebärmutter) und dann in einen der beiden Eileiter zu gelangen, um dort – falls verfügbar – eine Eizelle zu befruchten. Bei Schafen und Menschen funktioniert dies anatomisch sehr ähnlich.

In einigen Fällen enthielt das Gel den Wirkstoff Chitosan, in anderen nicht. So wurde verglichen, wie effizient die Masse rund eine Milliarde Spermien eines Bocks abhielt, die eine Stunde später künstlich in die Scheide eingebracht wurden.

Facettenreicher Stoff aus Garnelen

Der Wirkstoff dafür kann beispielsweise aus den Schalen von Garnelen und anderen Krebstieren gewonnen werden – wie schon der Name Chitosan, der an Chitinpanzer erinnert, verrät. Es handelt sich dabei um ein Biopolymer, das auch von Pilzen produziert wird und kein Unbekannter ist: Chitosan kann beispielsweise Öle und Schwebstoffe binden und wird in vielen Industriebereichen verwendet – etwa in Medizin- und Kosmetikprodukten und als Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu Landwirtschaft und Papierindustrie.

Die Eigenschaften machen es auch für die Empfängnisverhütung interessant: Der Wirkstoff bildet in der Vagina Verbindungen zu Proteinen im Zervixschleim, der natürlich im Gebärmutterhals (Zervix) produziert wird. So wird der Schleim dicker und blockiert für die schwimmenden Spermien den Zugang zu Uterus und Eileiter.

Im Schafversuch zeigte sich, dass das Gel mit Chitosan die meisten Spermazellen vom Passieren des Gebärmutterhalses abhalten konnte. Nur bei einem Schaf fanden sich lediglich zwei Spermien im Gebärmutterkörper.

Pearl-Index von Verhütungsgelen

Bereits jetzt gibt es Verhütungsgele, die Spermien zerstören oder lähmen. Sie sind nicht rezeptpflichtig und verändern etwa durch Milchsäure das Scheidenmilieu, sodass die Spermazellen gehemmt werden. Allerdings kommt es bei solchen Mitteln manchmal zu Pilzinfektionen oder allergischen Reaktionen. Das Chitosan-Gel hingegen dürfte die Scheidenwände nicht reizen und damit verträglicher sein.

Ob das Gel allein angewendet werden kann, ist fraglich: Bisherige chemische Verhütungsmittel haben meist einen eher hohen Pearl-Index von drei bis 21. Damit wird statistisch angegeben, wie oft sie trotz korrekter Anwendung im Laufe eines Jahres zu einer Schwangerschaft führen können. Wenn etwa 100 Frauen für ein Jahr mit Verhütungscremes und -gelen verhüten, werden durchschnittlich drei bis 21 von ihnen schwanger. Zum Vergleich: Die sichersten Mittel mit einem Pearl-Index von etwa 0,1 sind die Sterilisation durch das Durchtrennen der Samenleiter, die Pille, Hormonimplantate und die Hormonspirale.

Aus diesem Grund werden Verhütungsgele normalerweise in Kombination mit einer Verhütungskappe oder einem Diaphragma verwendet, die vor dem Geschlechtsverkehr in die Vagina eingeführt werden und noch effizienter die Samenzellen aus dem Uterus heraushalten. Auch diese Kombination wäre für das Gel mit Chitosan möglich. Freilich hängt der Pearl-Index nicht mit dem Schutz vor Geschlechtskrankheiten zusammen: Hier liefern nach wie vor Kondome und etwaige medizinische Behandlungen den sichersten Schutz. Bevor die bestmögliche Anwendung für das neuartige Gel diskutiert werden kann, stehen aber weitere Tests aus – an Schafen und im Idealfall auch bei Menschen. (sic, 2.12.2022)

DER STANDARD