In der ukrainischen Hauptstadt Kiew wurde am 26. November der Millionen Opfer des Holodomors gedacht.

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So viel Einigkeit gibt es im Bundestag nicht immer. Der als Drucksache 20/4681 eingebrachte Antrag jedoch wurde von den Abgeordneten der regierenden Ampelkoalition (SPD, Grüne und FDP) und der oppositionellen CDU/ CSU gemeinsam beschlossen.

"Interfraktionell eint uns der Wunsch, zu erinnern, zu gedenken, zu mahnen", betonte der Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe, Robin Wagener von den Grünen.

Das Gedenken und der Beschluss der Abgeordneten gelten jenen rund 3,9 Millionen Menschen in der ukrainischen Sowjetrepublik, die durch die Hungersnot in den Jahren 1932 und 1933 umkamen. Ursache waren damals aber keine Naturkatastrophen oder Missernten.

Ausgelöst wurde dieser Holodomor ("Tötung durch Hunger") durch den sowjetischen Diktator Josef Stalin. Er setzte die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft brutal durch, als "Kulaken" bezeichnete Großbauern wurden verfolgt.

An die unmenschliche Vorgangsweise wird im Antrag von Ampel und Union so erinnert: "Hunger wurde zusätzlich als Strafe eingesetzt und bei Nichterfüllung der festgesetzten Abgabemengen ein Vielfaches an Getreide und anderen Lebensmitteln verlangt und konfisziert. Die betroffenen Regionen wurden abgeriegelt, um die Flucht der Hungernden in die Städte und den Transport von Lebensmitteln in die Regionen zu verhindern."

Deutschland ist spät dran

Der Holodomor stelle ein "Menschheitsverbrechen" dar, aus heutiger Perspektive liege "eine historisch-politische Einordnung als Völkermord nahe", heißt es in dem nun beschlossenen Antrag.

Damit folgt Deutschland unter anderem Kanada, Mexiko, Australien, Tschechien, Polen, Rumänien, Portugal und Irland. Diese Staaten haben den Holodomor zum Teil schon lange vor Deutschland als Völkermord anerkannt.

Unter Historikern und Historikerinnen ist dies nicht unumstritten, da sich Stalins Terror nicht nur gezielt gegen Ukrainer und Ukrainerinnen gerichtet hat. Es kamen auch rund 1,5 Millionen Kasachen um. Zudem wurde in den Archiven kein Vernichtungsbefehl Stalins gefunden.

In Deutschland wurde man jedenfalls jetzt, angesichts des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine, tätig – nicht ohne auf Parallelen zu heute zu verweisen.

So heißt es in dem Antrag: "Mehr denn je treten wir in diesen Tagen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, der gleichzeitig einen Angriff auf unsere europäische Friedens- und Werteordnung darstellt, dafür ein, dass für Großmachtstreben und Unterdrückung in Europa kein Platz mehr sein darf."

Die Bundesregierung wird zudem aufgefordert, "die Ukraine als Opfer des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands und der imperialistischen Politik Wladimir Putins im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel weiterhin politisch, finanziell, humanitär und militärisch zu unterstützen".

"Stoppen Sie Putin"

Auch in der Debatte nahmen Abgeordnete Bezug auf den Krieg im Jahr 2022. "Die Parallelen sind unübersehbar. Wieder versucht ein Diktator im Kreml, die Ukraine zu vernichten", sagte Wagener von den Grünen, der den Antrag initiiert hatte. Er schloss mit dem Satz: "Stoppen Sie Putin."

Die AfD und die Linke stimmten nicht gegen den Antrag, enthielten sich aber. Der AfD-Abgeordnete Marc Jongen kritisierte die "Instrumentalisierung der Geschichte" und wandte sich gegen eine "historische Gleichsetzung" mit dem heutigen Ukraine-Krieg.

Gregor Gysi von der Linken warnte vor einer möglichen Gleichsetzung von Hitler und Stalin: "Stalin war schlimm, sehr schlimm, aber kein Hitler." Im Antrag wird allerdings auf die "historische Singularität" des Holocaust hingewiesen.

Während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Beschluss begrüßte, kam scharfe Kritik aus Moskau. Die Entscheidung des Bundestags sei als antirussische Provokation und als Versuch Deutschlands zu werten, seine Nazivergangenheit zu beschönigen, teilte das russische Außenministerium am Donnerstag mit. (Birgit Baumann aus Berlin, 1.12.2022)