Ein Krampus, eine Tiroler Gastwirtin und ein Latte macchiato mit Hafer- statt Kuhmilch sind Auslöser für einen Sturm der Empörung, der vom Westen in den Osten Österreichs durch die Landwirtschaft fegt. Kammerfunktionäre rückten im Dienste "ureigener Tiroler Milch" aus, um deren pflanzliche Alternativen in die Schranken zu weisen. Die Tirol-Werbung, deren mit Preisen ausgezeichneter Spot Gastfreundschaft hochleben lassen wollte, ruderte zurück und gelobte, das Werbevideo zu überarbeiten.

26.000 Bäuerinnen und Bauern leben in Österreich von der Milchwirtschaft. Der Wettbewerbsdruck ist enorm, die Erzeugerpreise sind niedrig.
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Steckt in Hafermilch tatsächlich so viel Zündstoff? Warum treibt ein in Österreich seit Generationen kultiviertes Getreide Bauern Zornesfalten auf die Stirn? Auf rund 25.000 Hektar wird es hierzulande vorwiegend im Waldviertel angebaut. Was spricht dagegen, es nicht nur Tieren zu verfüttern, sondern auch Konsumenten schmackhafter zu machen?

Felix Hnat, Obmann der Veganen Gesellschaft, ortet in der Wut Tiroler Landwirte billigen Aktionismus. "Österreichs Milchwirtschaft leidet aufgrund verfehlter Agrarpolitik an Überproduktion. Nun weiß sie nicht mehr wohin mit ihrer vielen Milch – und sucht Sündenböcke. "Gestrig" nennt er ihre Weltanschauung und bedauert vergebene Chancen.

Der Trend zu stärkerer pflanzlicher Ernährung ist für ihn unaufhaltsam. Österreich könne auf dieser Welle mitreiten. Derzeit werde dieses Geschäft aber offenbar lieber internationalen Konzernen überlassen, wie etwa dem schwedischen Lebensmittelriesen Oatly.

Sinkender Milchkonsum

"Haferdrinks sind künstliche, industrielle Erzeugnisse, die unsere Milch verdrängen und ihren Preis drücken", ärgert sich hingegen Karl Kepplinger. Der Bundesobmann des unabhängigen Bauernverbands verwehrt sich scharf dagegen, Produkte wie diese Milch zu nennen. "Mercedes lässt sich ja auch nicht seinen Stern nehmen, damit dieser auf einen Škoda geklebt wird."

Fakt ist: Die Österreicher trinken seit den 70er-Jahren zusehends weniger Kuhmilch. Im Vorjahr ist der Konsum der Statistik Austria zufolge um sechs Prozent gesunken. Der Verbrauch an Milchprodukten reduzierte sich unterm Strich um 3,4 Prozent. Das hat viele Gründe, erläutert Johann Költringer, Chef der Vereinigung der Milchverarbeiter.

Kinder und Jugendliche, die im Schnitt mehr Milch trinken, wurden weniger. Molkereien verarbeiteten mehr Milch zu Käse. Gegessen wird davon pro Kopf mittlerweile jährlich doppelt so viel wie 1995. Und nicht zuletzt gewannen pflanzliche Alternativen an Geschmack und Beliebtheit. Költringer beziffert ihren Anteil am Milchmarkt mit vier Prozent. Im Vergleich zu vor zehn Jahren habe sich dieser hierzulande von niedrigem Niveau aus verdoppelt.

Mehr Hafer als Soja

Hafer hat Soja dabei von der Spitze verdrängt. Sei es, weil das nussige, fruchtige Korn das bessere ökologische Image hat. Sei es, weil vielen Konsumenten der starke Eigengeschmack des Sojas nicht mundet.

In Summe teilen sich Hafer und Soja knapp 70 Prozent des Marktes für alternative Milchgetränke. Im Vorjahr hätten etwa 40 Prozent der österreichischen Haushalte zumindest einmal danach gegriffen, rechnet Hnat vor. Ihr Verbrauch liege im Schnitt bei gut zwölf Kilo im Jahr.

Molkereien, die vielfach über Genossenschaften in Hand der Bauern sind, haben das Potenzial des Milchersatzes längst erkannt. Marktführer Berglandmilch, nebenbei auch Eigentümer der Tirol-Milch, produziert Dinkel- und Haferdrinks unter seiner Marke Schärdinger. Nöm als Nummer zwei der Branche verarbeitet Hafer zu Kakaogetränken.

Andere große Verarbeiter üben sich in Eigenmarken für große Handelsketten. Alpro versorgt die Branche von Belgien aus. Mona produziert im Burgenland für Europa. Als Molkerei war der Betrieb einst am hart umkämpften Milchgeschäft gescheitert und sattelte daraufhin auf pflanzenbasierte Lebensmittel um.

Hohe Preise, wenig Wertschöpfung

Deren Marktvolumen wächst, resümiert Franz Sinabell. Für den Agrarökonomen des Wifo liegt es auf der Hand, dass Verarbeiter ihr Portfolio erweitern und Märkte wie diese nicht der Konkurrenz überlassen. Ebenso nachvollziehbar sind für ihn aber auch die Ängste der Landwirtschaft. "Haferdrinks bedeuten für sie eine weitaus geringere Wertschöpfung." Denn diese liege weniger in der Produktion als in der Verarbeitung und im Vertrieb.

Költringer untermauert dies mit klaren Rechnungen: 55 bis 59 Cent verdiene ein Bauer derzeit an einem Liter Milch, der im Handel um etwa 1,50 Euro verkauft werde. Ein Kilo Hafer koste an die 40 Cent, werde jedoch zu bis zu acht Litern an entsprechenden Drinks verarbeitet.

Letztlich reiche derzeit ein großer Bauer in Österreich aus, um den gesamten Bedarf an Hafer für Getränke hierzulande zu liefern, schätzt Sinabell. Damit schaut für Landwirte finanziell entsprechend wenig heraus: Költringer schätzt ihre Wertschöpfung rund um Hafermilch mit mageren zwei bis drei Prozent ein.

Daran ändern auch hohe Preise nichts, die Konsumenten für Milchalternativen zu bezahlen bereit sind. Zwei bis drei Euro werden für einen Liter Hafermilch in Supermärkten und Drogerien hingelegt. Die Mehrkosten werden nur zu einem geringen Teil durch die höhere Besteuerung pflanzlicher Produkte gespeist.

Kampf um Steuervorteile

Költringer ist überzeugt davon, dass in Haferdrinks "sehr ordentliche Spannen" für Einzelhändler liegen. Was auch der Grund dafür sei, dass Supermärkte diese anders als Milchprodukte gehörig "pushten".

Billa macht sich gemeinsam mit der Veganen Gesellschaft für eine steuerliche Gleichstellung von Kuhmilch und ihren pflanzlichen Pendants stark und verspricht, den finanziellen Vorteil weiterzugeben.

Spar schlägt in die gleiche Kerbe. Die Zielgruppe unter den Kunden sei groß, meint Konzernsprecherin Nicole Berkmann. "Warum sollten diese steuerlich benachteiligt werden?" Der Handelsverband will sich mit dem Thema in aller Ruhe befassen.

Zehn Prozent beträgt der Mehrwertsteuersatz auf Milch. Für Hafer- oder Sojadrinks gilt das Doppelte. Milch sei ein Grundnahrungsmittel mit hohem Nährstoffgehalt, das für jeden leistbar sein sollte, gibt Sinabell zu bedenken. Für Költringer sind Haferdrinks Getränke und keine Lebensmittel. Die große Preisdifferenz zu Kuhmilch werde zudem auch niedrigere Besteuerung nicht wettmachen, ist er sich sicher.

Für Kräftemessen in der Lebensmittelbranche sorgen nicht nur finanzielle Fragen. Regelmäßig toben in Brüssel Debatten über wahre Milch, echten Käse und richtige Burger. Erst im Vorjahr blitzte die Landwirtschaft mit ihrer Forderung nach strengerem Bezeichnungsschutz für tierische Produkte ab. Ihr Ziel war, Verwechslungen vorzubeugen. Für Hnat ist dies Protektionismus.

Wer von Hafermilch spricht, ist rechtlich auf der sicheren Seite, solange damit keine wirtschaftlichen Interessen verbunden werden. (Verena Kainrath, 1.12.2022)