Es ist ein beschwerlicher Weg von mehr als 5.300 Kilometern, aber die Wassilij Dinkow hat es geschafft. Das 260 Meter lange russische Schiff ist vom russischen Murmansk über den nördlichen Polarkreis und das Beringmeer bis nach China geschippert. Nach gut drei Wochen auf See erreichte die Wassilij Dinkow vor wenigen Tagen den Zielhafen Rizhao. Der eisbrechende Tanker war erst das zweite Schiff, das diese Route auf sich nahm. Denn es gibt auch einen einfacheren Weg, der durch das Mittelmeer und den Suezkanal nach China führt. Warum nehmen die Russen den mühsameren Weg?

Sie wollen eine schnelle Seeroute testen, um mit ihren Tankern rascher in China zu sein. Das hat einen guten Grund. Die 27 EU-Staaten ringen um ein neues Sanktionspaket, mit dem erstmals Russlands Ölexporte ins Visier genommen werden.

Indien ist der zweitgrößte Abnehmer von russischem Öl nach China. Im Bild ein Hafen nahe Nachodka im Osten Russland.
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Der Plan sieht vor, dass ab 5. Dezember kein Öl mehr über den Schiffsweg in die EU gelangen darf. Ebenso untersagt ist der Import von Pipeline-Öl, nur für Ungarn und die Slowakei gibt es Ausnahmen. Bis zu Putins Angriff auf die Ukraine hatte Europa fast die Hälfte der russischen Ölexporte abgenommen. Russland muss also versuchen, mehr Öl in anderen Ländern zu verkaufen. So ist die Türkei mittlerweile zum drittgrößten Abnehmer von russischem Öl nach China und Indien geworden.

Ein Plan aus dem Kreis der G7

Hinzu kommt eine zweite Maßnahme mit weltweiter Dimension. Europäische Anbieter sollen ihre Dienstleistungen zum Transport von russischem Öl nur noch anbieten dürfen, wenn der Rohstoff unterhalb eines festgelegten Höchstpreises verkauft wird. Davon wären Käufer in China ebenso betroffen wie in Indien, Indonesien und Vietnam.

Die Preisobergrenze könnte im internationalen Ölhandel einen Einschnitt bedeuten. Dabei werden nicht nur neue Routen für den Öltransport entstehen. Für den Kreml steht viel auf dem Spiel: Fast 40 Prozent der Einnahmen des Staates stammen aus dem Verkauf von Gas und Öl, wobei auf Letzteres der Löwenanteil entfällt. Auch für Europa geht es um viel. Ohne russisches Öl ist der Kontinent auf andere Lieferregionen angewiesen.

Auf die Sanktionen gegen das russische Öl hatten sich die EU-Außenminister eigentlich schon im Juni verständigt. Damals war vorgesehen, EU-Dienstleistern alle Geschäfte rund um russisches Öl zu untersagen. So ein Komplettverbot hat vor allem in den USA zur Befürchtung geführt, dass der globale Ölpreis massiv steigt. Immerhin ist Russland nach Saudi-Arabien der größte Ölexporteur der Welt und global für fast zehn Prozent der Ausfuhren verantwortlich. So wurde der Plan im Einvernehmen mit den G7, dem Klub der großen Industrieländer, adaptiert: Europäische Dienstleistungen sollten erlaubt bleiben, aber nur, wenn russisches Öl unterhalb der festgelegten Preisobergrenze gekauft wird.

Wie die Europäer Einfluss nehmen

Was lässt die Europäer glauben, sie könnten beeinflussen, wie viel zum Beispiel chinesische Käufer für russisches Öl zahlen? Antworten findet, wer einen Blick auf die Eigentumsverhältnisse in der Öltankerindustrie wirft. Der größte Teil des Marktes wird von europäischen Reedereien kontrolliert: Mehr als die Hälfte der Rohöltanker hat Eigentümer mit Sitz in Europa. Dazu kommen große Gesellschaften in Japan, den USA und Kanada – also Länder, die den Preisdeckel mittragen.

Russisches Öl wird bisher mehrheitlich auf Tankern aus Europa verladen.
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Daten des Institute of International Finance, einem Washingtoner Dachverband für Finanzinstitute, zeigen, dass russisches Öl bisher mehrheitlich auf Tankern aus Europa verladen wird. Russische und chinesische Schiffe spielen kaum eine Rolle. In etwa die Hälfte des russischen Öls wird von griechischen Redereien transportiert. Dazu kommt, dass europäische und US-Gesellschaften den Markt für Schiffsversicherungen dominieren.

Der Streit: Wie viel darf es kosten?

Ohne europäischen Dienstleister wird es zwar nicht unmöglich, russisches Öl zu transportieren, aber schwieriger. Die Erwartung der G7 ist, dass der Preisdeckel für Raffinerien in Indien und China ein gutes Argument sein wird, russisches Öl zu dem vorgegebenen Preis zu kaufen, keinesfalls teurer. Sonst würden sie den Zugang zu internationalen Versicherern, aber auch zu Reedereien verlieren. Somit würden Ölverkäufer aus Russland wie Rosneft oder Lukoil unter Druck geraten.

Doch eine Preisobergrenze bedeutet, dass sich alle Beteiligten auf einen Deckel einigen müssen. Hier jedoch hakt es. Bereits vergangene Woche hätten sich die EU-27 einigen sollen, doch die Verhandlungen sind schwierig. Die Kommission hat vorgeschlagen, den Deckel bei 60 Dollar (statt 65 bis 70 Dollar) je Fass (159 Liter) einzuziehen. Eine Gruppe osteuropäischer Länder mit Polen an der Spitze will den Deckel deutlich niedriger ansetzen, etwa bei 20 bis 25 Dollar. Staaten mit eigenen Interessen im Seegeschäft wie Griechenland und Zypern lehnen das bisher als zu niedrig ab. Russisches Öl der Marke Urals kostet aktuell um die 64 Dollar (siehe Grafik).

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Russland muss fürchten, dass die Kombination aus Embargo und Preisdeckel dem Land schaden wird. Die Europäer importierten im Oktober immer noch 1,4 Millionen Fass aus Russland, was rund 15 Prozent der russischen Produktion entsprach. Das wird ab 5. Dezember wegfallen. Dazu kommt, dass Russland zwar erfolgreich Lieferungen nach China und Indien umgeleitet hat. Wenn der Preisdeckel greift, wäre dieses Geschäft in Gefahr. Russland droht bereits, kein Öl mehr an Länder zu verkaufen, die den Preisdeckel unterstützen. Strenggenommen unterwerfen sich Indien oder China der Grenze nicht – das müssten importierende Unternehmen tun.

Welche Rolle die Opec spielt

Unter besonderer Beobachtung steht der Preisdeckel auf russisches Öl bei der Organisation erdölexportierender Länder (Opec). Russland ist zwar nicht Mitglied des Kartells, stimmt sich aber seit Ende 2016 mit den 13 Mitgliedsländern des Klubs im Rahmen der sogenannten Opec+ weitgehend ab. Dem erweiterten Kreis gehören außer Russland noch Mexiko, Kasachstan sowie sieben weitere Länder an. Mit Argwohn blicken die Opec-Länder mit Saudi-Arabien an der Spitze nun auf die geplante Preisobergrenze für Öl aus Russland. Sollte die Strategie des Westens aufgehen, könnte Produzentenländern im Nahen Osten dasselbe wirtschaftliche Schicksal drohen, wird in Opec-Kreisen befürchtet.

Aber auch viele Risiken für Europa

Die Strategie birgt aber auch für Europa Gefahren. Etwa 1,4 Millionen Fass Öl am Tag, die bisher aus Russland kommen, müssen ersetzt werden. Ab Februar kommt ein Embargo für andere Produkte wie Heizöl und Dieselkraftstoff dazu. Bei Diesel gibt es in Europa ohnehin Knappheit, weshalb der Preis für Diesel zuletzt auch deutlich stärker gestiegen ist als der für Rohöl. Im Worst Case funktioniert der Preisdeckel nicht. Russland würde dann weiter seine Produkte absetzen können, während Europas Reedereien und Versicherer Marktanteile verlieren und die Ölpreise steigen. (András Szigetvari, Günther Strobl, 2.12.2022)