Eine Visualisierung des Coronavirus zeigt die Spike-Proteine, die der Erreger nutzt, um sich an Körperzellen zu heften. Die Spikes sind auch das Ziel der von den meisten Corona-Impfstoffen ausgelösten Immunantwort. Hier finden auch die wichtigsten Mutationen statt.
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Hinweis: Die Studie, um die es in diesem Artikel geht, wurde mittlerweile zurückgezogen.

Letztlich ging alles ganz schnell. Schon Wochen nach dem ersten Nachweis der Omikron-Variante im Herbst letzten Jahres bei einem Patienten in Südafrika schien klar, dass sie noch ansteckender war als bisherige Varianten, eine globale Welle verursachen und die anderen Varianten verdrängen würde. Kurz darauf hatte sich das Virus der ersten Omikron-Generation bereits in 87 Ländern verbreitet, bereits Ende Dezember 2021 hatte es die vorherrschende Delta-Variante verdrängt. Heute dominieren Ableger von Omikron das Infektionsgeschehen, die glücklicherweise für weniger tödliche Krankheitsverläufe sorgen als die Ursprungsvariante, wobei das Risiko, an Omikron zu sterben, gerade für Ungeimpfte nach wie vor nicht zu vernachlässigen ist.

Eine Entwicklung des Virus hin zu harmloseren Varianten wurde von manchen erhofft und erwartet, schließlich gab es bei anderen Krankheitserregern wie Herpes eine ähnliche Entwicklung. Doch in Stein gemeißelt sei das nicht, warnte etwa der Virologe Andreas Bergthaler noch vergangenes Jahr mit Hinblick auf die damals entdeckte britische Variante, die infektiöser war und auch zu höherer Sterblichkeit führte.

Forschende in aller Welt arbeiten deshalb weiter intensiv daran, die Prozesse bei der Bildung neuer Varianten noch genauer zu verstehen, bevor wirklich das Ende der Pandemie ausgerufen werden kann.

Ein PCR-Testgerät wie dieses wurde für die Analysen verwendet.
Foto: Charité | Arne Sattler

Bei der aus Afrika stammenden Omikron-Variante gelang nun ein Durchbruch in der Ermittlung ihrer Herkunft, wie ein Forschungsteam aus Gruppen der Universität Stellenbosch in Südafrika, dem Referenzlabor für hämorrhagisches Fieber in Benin und der Berliner Charité nun im Fachjournal "Science" berichtet. Bisherige Erklärungsansätze über die Entstehung der Variante müssen revidiert werden.

Großer Evolutionssprung

Bislang erschienen zwei Erklärungsansätze aussichtsreich. Einer nahm an, dass das Virus vom Menschen auf ein Tier übergesprungen ist, sich dort vermehrt und weiterentwickelt hat, bevor es zurück in einen menschlichen Wirt gelangte. Eine andere Erklärung ging davon aus, das Virus habe in einem Menschen mit supprimiertem Immunsystem Zeit für die vielen Anpassungen gehabt. Darin bestand das Rätsel, das Omikron für die Forschenden darstellte: Gleich 50 Gene waren im Gegensatz zur ursprünglichen Corona-Variante verändert. Es war der größte Evolutionssprung seit Beginn der Pandemie.

Die Lösung des Problems gelang über eine erneute Untersuchung von Covid-19-Proben, die schon vor der Entdeckung der Omikron-Variante in Südafrika gesammelt wurden. Dazu entwickelten die Forschenden einen eigenen PCR-Test, der speziell auf den Nachweis von Omikron zugeschnitten war. 13.000 Proben aus 22 afrikanischen Ländern wurden so analysiert.

Eine Mikroskopieaufnahme zeigt einen Corona-Erreger aus dem Jahr 2020.
Foto: Hannah A. Bullock, Azaibi Tamin/CDC via AP, File

Dabei fand man in Proben aus sechs verschiedenen Ländern Viren, die Gemeinsamkeiten mit Omikron hatten, und zwar bereits im August und September 2021, also Monate vor der ersten Entdeckung von Omikron. Bei weiteren 670 Proben sequenzierte das Team das Erbgut der Viren und fand verschiedene Virusvarianten, die der späteren Omikron-Variante unterschiedlich stark ähnelten, aber alle von ihr verschieden waren.

Zirkulation über Monate

"Unsere Daten zeigen, dass Omikron verschiedene Vorläufer hatte, die sich miteinander mischten und zur selben Zeit und über Monate hinweg in Afrika zirkulierten", berichtet der Virologe Jan Felix Drexler von der Berliner Charité, der an den Forschungen beteiligt war. "Das deutet auf eine graduelle Evolution der BA.1-Omikron-Variante hin, während der sich das Virus immer besser an die vorhandene Immunität der Menschen angepasst hat."

Das plötzliche Auftreten von Omikron sei also nicht auf einen Übertritt aus dem Tierreich oder die Entstehung in einem immunsupprimierten Menschen zurückzuführen, auch wenn das zusätzlich zur Virusentwicklung beigetragen haben könnte. Die für die Forschung anfangs so überraschende Häufung an Mutationen liegt nicht an einer ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte. "Dass wir von Omikron überrascht wurden, liegt stattdessen am diagnostischen blinden Fleck in großen Teilen Afrikas, wo vermutlich nur ein Bruchteil der Sars-CoV-2-Infektionen überhaupt registriert wird", sagt Drexler. Man habe die Entwicklung einfach übersehen.

Dementsprechend wichtig sei es, diagnostische Überwachungssysteme auf dem afrikanischen Kontinent und im Globalen Süden zu stärken und den Datenaustausch weltweit zu erleichtern, betont Drexler. (Reinhard Kleindl, 2.12.2022)