Von seinem dreistufigen Modell des Arbeitslosengeldes konnte Kocher die Grünen nicht überzeugen.

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Wien – Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kochers (ÖVP) Prestigeprojekt Arbeitsmarktreform ist gescheitert. Zuletzt konnte man sich mit dem Koalitionspartner nicht auf größere Umbauten einigen, sagte Kocher bei einem Hintergrundgespräch am Freitag. Knackpunkte waren unter anderem der Zuverdienst und eine geplante "Karenzzeit" für jene, die neu beim AMS gemeldet wurden. Sein Ziel sei gewesen, eine "optimale Arbeitslosenversicherung" auf die Beine zu stellen, sagte der Minister. Auf lange Sicht wäre das eine Möglichkeit gewesen, die richtigen Antworten auf die Entwicklungen am Arbeitsmarkt – viele offene Stellen bei vergleichsweise vielen Langzeitarbeitslosen – zu finden, ist der Minister überzeugt.

Auch bei der konkreten Ausgestaltung gab es unüberbrückbare Hürden, so Kocher, der im September 2021 einen "Diskussionsprozess" über die Reform gestartet hat. Jetzt ist sie zumindest für die laufende Legislaturperiode abgeblasen. "Der Zuverdienst war einer der entscheidenden Faktoren", erklärte Kocher. Die ÖVP habe ein Modell vorgeschlagen, das einen zusätzlichen Erwerb für Arbeitslose deutlich einschränkt. Vor allem bei Personen mit niedrigen Einkommensgrenzen habe die aktuelle Regelung klare Beschäftigungsanreize vermissen lassen, so Kocher.

Unikum in Europa

Zehn Prozent der Arbeitssuchenden würden bis zu 485,85 Euro dazuverdienen. Das hätte vor allem im niedrig qualifizierten Bereich dazu geführt, dass es dort stärkere Anreize gebe, länger als erwünscht keinen Job aufzunehmen. Mit ein Grund: Im schlimmsten Fall sei das Arbeitslosengeld mit Zuverdienst höher als das Entgelt bei der Jobaufnahme. "Der Zuverdienst ist ein Unikum in Europa und führt relativ klar zu einer Verlängerung der Arbeitslosigkeit", sagt Kocher.

Rund 34.000 Personen nützen das derzeit, so Kocher, es sei also um einen substanziellen Bereich gegangen. 15.000 hätte man seiner Einschätzung nach bei einer Anpassung nach dem Vorschlag des Ministeriums aktiviert. Wie hätte die Anpassung ausgesehen? Für all jene, die bereits vor Antritt der Arbeitslosigkeit dazuverdient hätten, hätte sich nichts geändert. Bei allen anderen sei eine zeitliche Begrenzung angedacht gewesen und eine Verknüpfung mit Maßnahmen des AMS.

Degressives Modell kam nicht an

Von einer Anpassung der Zuverdienstmöglichkeiten versprach sich die Volkspartei einen Rückgang der Arbeitslosigkeit, außerdem hätte man damit längerfristig auch prekäre Arbeitsverhältnisse eingedämmt, argumentierte der Minister. Der grüne Verhandlungspartner habe dies vor allem wegen Bedenken abgelehnt, die betroffenen Personen damit in die Armut zu treiben.

Auf dem Tisch lag auch ein Modell für ein degressives Arbeitslosengeld in drei Stufen. Der Plan sah vor, für die ersten sieben bis zehn Tage ohne Beschäftigung kein Arbeitslosengeld auszubezahlen, also eine Karenzzeit im Gesetz zu verankern. In weiterer Folge hätte sich die Nettoersatzrate auf 70 Prozent und nach drei Monaten auf 55 Prozent belaufen.

Damit wäre das Arbeitslosengeld zwar anfangs teurer gekommen, per saldo hätte sich dies laut Kocher durch den erhofften Beschäftigungseffekt aber ausgeglichen. Nach seinen Angaben haben sich die Grünen dabei insbesondere an der Wartefrist gestoßen. Die Befürchtung der kleinen Regierungspartei: Arbeitgeber hätten dies systematisch ausnutzen können und damit ein Einfallstor für prekäre Verhältnisse geschaffen.

Opposition sieht Regierung am Ende

Die Reaktionen auf das Scheitern der Verhandlungen fielen deutlich aus. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch wiederholte einmal mehr die SPÖ-Forderung nach Neuwahlen: "Wenn der Arbeitsminister seit über einem Jahr eine Arbeitsmarktreform verspricht, die wieder einmal nicht zustande kommt, dann bleibt nur noch festzustellen – diese Regierung ist am Ende!" Er plädierte für eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des letzten Gehalts, mehr Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit und Ausbildungsoffensiven in Mangelberufen.

FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch sieht Minister Kocher "endgültig gescheitert". Er habe zugelassen, dass das AMS "zu einem Ausländerarbeitsamt" verkomme. Zufrieden zeigte sie sich allerdings, dass sich Kocher "mit seinen neoliberalen Ideen wie dem degressiven Modell beim Arbeitslosengeld nicht durchsetzen konnte". Auch die Kürzung der Zuverdienstgrenze lehne sie ab.

Evaluierung von AMS-Beratung

Auch Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker sieht die Koalition "krachend gescheitert": "Diese Reform wäre dringend notwendig, damit Österreich wettbewerbsfähig und das Sozialsystem finanzierbar bleibt." Wichtig sei es vor allem gewesen, die Bezüge für kurzzeitig Arbeitslose anzuheben und dann abzusenken, um Anreize für den Wiedereinstieg in den Beruf zu schaffen.

Dennoch will Kocher in der nahen Zukunft etwa die Beratung des AMS evaluieren lassen – mit Blick auf die Zuverdienstgrenzen. Hier könne man eventuell den Fokus nachschärfen und sicherstellen, dass Arbeitssuchende, die einer Nebenbeschäftigung nachgehen, schneller vermittelt werden. Auch die Wirkung und die zeitliche Abfolge der Sanktionen bei Arbeitslosigkeit wolle man überprüfen. Außerdem werde man sich gemeinsam mit dem Finanzministerium und der Österreichischen Gebietskrankenkasse abstimmen, um Leistungsmissbrauch zu vermeiden. Dazu brauche es die Grünen nicht – gesprächsbereit bleibe er aber weiter, so Kocher. (APA, rebu, miwi, red, 2.12.2022)