Auf Renate Holms Sofa wird gerade Probe gesessen. Ein junger Mann in schwarzer, abgetragener Kleidung wirkt auf dem Satin-Traum in Cremeweiß etwas fehl am Platz, eine ältere Dame setzt sich neben ihn und ruft: "Da sitzt man aber gut!" Am anderen Ende des Raumes packen zwei Männer Maßbänder aus und vermessen das riesige Buchregal aus dunklem Holz, während eine Frau auf dem Flügel klimpert. Nur der Platz beim Notenständer, wo Renate Holm sicher oft stand, bleibt leer.

Rund 40 Menschen kamen, um sich in der 160 Quadratmeter großen Altbauwohnung umzuschauen.
Foto: Christian Fischer

Ob die Kammersängerin einen solchen Auflauf in ihrer Altbauwohnung im Cottageviertel im 19. Bezirk genossen hätte? Man kann sie nicht mehr fragen: Renate Holm ist im Frühjahr im Alter von 90 Jahren gestorben. 52 Jahre lang hat sie in der prunkvoll eingerichteten Mietwohnung gelebt, bis zuletzt schritt sie die Stufen in den dritten Stock ohne Aufzug hinauf. Schon möglich, dass ihr der Trubel um ihre Person gefallen hätte. Immerhin hängen an fast jeder Wand Plakate und Fotografien der blonden Sängerin, teils feinsäuberlich mit Datum beschriftet. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto ist sie sogar beim Knicks vor Queen Elizabeth zu sehen.

Renate Holms Verlassenschaft – Möbel, Erinnerungsstücke, Gebrauchsgegenstände wie Wasserkocher, Toaster, Brotdose – wurde von der Auktionsplattform Aurena jüngst versteigert. Für insgesamt 555 Gegenstände konnten über mehrere Tage online Gebote abgegeben werden. Um die 40 Menschen kamen vorab zum zweistündigen Besichtigungstermin in die Wohnung.

Alles hat einen Wert

Dezidierte Fans der Sängerin waren kaum dabei, bei den meisten war es eine Mischung aus Neugierde, wie die Frau Kammersängerin, die auch in zahlreichen Musikfilmen mitgewirkt hat, gelebt hat, und Interesse an alten Möbeln und schönem Geschirr. Da ist die Frau, die sich schon bei der Online-Recherche in zwei Spiegel verliebt hat. Oder der Mann, der den Flügel – Rufpreis: 260 Euro – ausprobieren will. Und ein Paar, das in der Nähe war, die Versteigerung aber "kurios" findet; vor allem die Tatsache, dass sogar eine Goldene Schallplatte aus dem Jahr 1975 – Rufpreis: 360 Euro – sowie Preise und Auszeichnungen unter den Hammer kommen. "Unglaublich, dass das für niemanden aus ihrem Umfeld einen Wert zu haben scheint", sagen sie.

Zu haben waren viele Fotos und Plakate der Sängerin.
Foto: Christian Fischer

Jürgen Blematl, technischer Leiter der Auktionsplattform, findet es vertretbar, dass auch sehr persönliche Gegenstände verkauft werden: "Wäre es pietätvoller, die besten Dinge herauszupicken und den Rest zu entsorgen?" Der Hintergrund der Auktion: Die Sängerin hat einen Großteil ihrer Habseligkeiten dem Wiener Tierschutzverein vermacht, der diese pauschal an Aurena verkauft hat. Um wie viel, wird nicht verraten. Es dürfte sich aber auszahlen: Bei Versteigerungen käme "wirklich alles" weg, auch Posten mit weniger inspirierten Bezeichnungen wie "Inhalt Regalebene", "Posten CDs und Kassetten" und angebrochene Spirituosen. Das ist Sinn der Sache, um die Wohnung nach Abholung der Gegenstände besenrein an den Vermieter zu übergeben.

"Zu posh"

Zurück zur Besichtigung: Auf sämtlichen Gegenständen in der Wohnung klebt ein Pickerl mit Nummer und QR-Code. In der Küche kramt jemand in der Bestecklade, im Salon nimmt jemand Bücher aus dem Regal. Mitarbeiter von Aurena schauen darauf, dass nichts eingepackt wird. Ein Hipster mit kurzgeschorenen Haaren und Ohrring stellt sich als Konstantin vor, er hat online einen Blumentisch in Elefantenform entdeckt, der ihm gefällt. Renate Holm? "Nie gehört", sagt er. Insgesamt ist er enttäuscht, "das ist mir alles zu posh". Weniger nobel: Das Klo ist abgesperrt, Wasserrohrbruch. Dafür ist das Aquarium in Betrieb, hier fristen veralgte Muscheln ihr Dasein. "Fische sind keine drinnen", beruhigt ein Mitarbeiter.

Auch das Bett wurde versteigert.
Foto: Christian Fischer

An einer der vielen Fotowände in der Wohnung steht eine ältere Dame, die die Schwarz-Weiß-Aufnahmen genau inspiziert. "Ich versuche, Renate Holm zu fassen", sagt sie und kneift die Augen zusammen. Fan sei sie keiner gewesen, "aber ich glaube, sie war eine sehr liebenswürdige Frau". Der Geist der Kammersängerin sei noch zu spüren, "besonders im Bad" mit den zuckerlrosa Fliesen, wo Perücken und Puderdose zu haben sind. Eigentlich wollte sie bei einigen Dingen mitbieten. Nun ist sie sich nicht mehr sicher. "Ein bisschen gruselig" ist auch einem Mann zumute, der im Schlafzimmer – schwere gelbe Vorhänge, blaue Stofftapete – stöbert. Wofür er sich interessiert, will er nicht sagen, so machen das die Profis.

Sie geben Gebote erst gegen Ende ab. Manchmal ließe sich ein Schnäppchen machen, erzählen einige. "Vieles geht unter dem Wert weg", bestätigt Blematl. "Bei manchen Dingen wundern wir uns dann." Etwa bei sechs kitschigen Figürchen, darunter ein Schaf und ein Bär, die sich bei der Versteigerung als Überraschungshit entpuppten, 463 Euro wurden dafür bezahlt. "Keine Ahnung, wieso", sagt Blematl. "Da hat jemand etwas gesehen, was wir nicht gesehen haben." Wert ist eben auch sehr individuell.

Perücken und Puderdosen waren auch zu haben.
Foto: Christian Fischer

Nur ein Paket aus sechs Fotos blieb bei der Versteigerung übrig, die restlichen 554 Posten gingen weg. Sogar Renate Holms Orchideen haben einen neuen Platz an einem Fenster gefunden. Der höchste Preis wurde mit 3660 Euro für einen alten Spiegel erzielt. Mittlerweile ist die Wohnung leer. Aber die Erinnerungen sind nicht verloren. Sie haben nur ein neues Zuhause gefunden. (Franziska Zoidl, 3.12.2022)