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Kennen Sie den schon? Treffen sich zwei Ministerpräsidentinnen in Neuseeland, um über Politik und die Handelsbeziehungen ihrer beiden Länder zu sprechen. Bei einer Pressekonferenz konfrontiert sie ein Reporter damit, dass sich "viele fragen würden, ob sie sich nur treffen, weil sie ein ähnliches Alter und politisch viel Zeug gemeinsam haben, Zeug halt".

Die eine Ministerpräsidentin rollt daraufhin hörbar mit den Augen. Die andere erklärt dem Reporter freundlich, aber bestimmt, wie übergriffig und unangemessen diese Frage ist. Klingt wie das langweilige Setup für einen zähen, unlustigen politischen Witz mit sexistischer Punchline und ist im Grunde auch genau das. Leider kleben dieser und andere, ähnlich gelagerte "Witze" seit Jahren wie Scheiße an den Schuhen der neuseeländischen Ministerpräsidentin Jacinda Ardern und ihrer finnischen Kollegin Sanna Marin. Marin musste sich in der Vergangenheit unter anderem vorwerfen lassen, dass sie gutaussehend ist, jung, Kleidung trägt, die ihre Brüste erahnen lässt (schockierend, ich weiß), und Partys gefeiert hat.

Und von den Frechheiten, mit denen Ardern überzogen wird, existieren mittlerweile ganze Zusammenschnitte bei Youtube.

Guardian News

Kindererziehung, Frisur, Outfit, wann wird denn endlich geheiratet, hihi. Guckt mal, die kleinen Mädchen machen Politik. Da fragen wir doch mal besser nach, wie das wohl funktioniert. Nachher verlaufen die beiden Rotkäppchen sich noch im dunklen politischen Wald. Parallel zu dieser Kaskade an vorgeblich wohlmeinendem Sexismus (Mädchen, das ist doch zu schwer für dich, ich helf dir) wird beiden immer wieder die Befähigung zu ihrem Beruf und ganz allgemein jedwede Professionalität abgesprochen.

Dass Sanna Marin auf so einer Reise eine mehrköpfige Wirtschaftsdelegation im Schlepptau dabei hat, um Verträge abzuschließen, sollte man als politischer Journalist wissen. Man müsste sogar davon ausgehen. Ebenso wie von der Tatsache, dass Marin sich wie bei solchen Gelegenheiten üblich anschließend auch selbstverständlich mit dem Oppositionsführer trifft (52 Jahre alt, Sternzeichen Krebs, sportlich, pflegeleichte Frisur, verheiratet, zwei Kinder, mag Wasserski und Countrymusik).

Sie wird sich nach Weiterreise sogar mit dem australischen Premierminister (59 Jahre alt, Sternzeichen Fische, gepflegte Erscheinung, fescher Scheitel, geschieden, ein Kind, hört gerne die Pixies und Nirvana, Rugby-Fan, hat eine erfolgreiche Diät hinter sich) zusammentreffen, obwohl sie mit dem gar keinen Frauenkram zu bequatschen hat. Ja ist denn das die Möglichkeit?!

An der ganzen Sache sind drei Dinge ziemlich furchtbar. Da wäre zunächst der hier skizzierte Sexismus, den die beiden Premierministerinnen wie alle anderen Frauen nicht verdient haben. Sich derartige Übergriffigkeiten zu sparen, ist wirklich keine Leistung, sondern sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Darüber hinaus verunmöglicht ein solches Verhalten die Bewertung der Politik beider Frauen. Die sollten nämlich an ihren Taten gemessen werden und nicht an ihrem Geschlecht. Weil sie aber permanent darauf reduziert werden, muss sich jede Bewertung leider den Vorwurf "Das sagst du ja nur (nicht), weil sie eine Frau ist" gefallen lassen. Und zuletzt ist es nicht nur schlecht für Politik allgemein, sondern auch für (halten Sie sich fest) männliche Politiker. Denn das, was hier den beiden Frauen qua Geschlecht unterstellt wird, war und ist immer notwendiger Teil von Politik. Dieses Gefühlige und Private. Dass man sich versteht, gerne besucht und noch andere Interessen außer Politik hat. Ohne die merkwürdige Männerfreundschaft zwischen dem Christdemokraten Helmut Kohl und dem Sozialisten Francois Mitterand sähe Europa heute anders aus. Ohne die Bromance zwischen Tony Blair und George Bush wäre der Irakkrieg anders verlaufen. Und was Äußerlichkeiten angeht: Gerhard Schröder hat das Bundesverfassungsgericht sich damit befassen lassen, ob Presseagenturen behaupten dürften, er hätte sich die Haare gefärbt.

Professionalität: Nur aufgesetzt?

Auch das ist Politik, auch so funktioniert Macht: Sympathien und Antipathien, Eitelkeiten, Erschöpfung, Sturheit, Familienleben, Spaß, schlechte Laune. Diese Dinge haben kein Geschlecht. Aber wir schreiben es ihnen zu. Deswegen unterstellen wir Politikern, dass sie lediglich zu Imagezwecken "menscheln", und Politikerinnen, dass ihre Professionalität nur aufgesetzt und hohl ist. Dabei können hochprofessionelle Politikerinnen angebliche Freundschaften genauso gut inszenieren wie ihre Kollegen und gar nicht mal so professionelle Politiker ernstgemeinte Freundschaften zu tragenden Elementen ihrer Politik machen. Aber solange wir uns in der Bewertung politischer Fragen von Geschlechterstereotypen leiten lassen, wird Politik immer unter ihren Möglichkeiten bleiben. Sie wird weder so professionell noch so menschlich sein, wie sie sein könnte und sollte. (Nils Pickert, 4.12.2022)