Deutschland ist zum zweiten Mal in Folge in der WM-Gruppenphase ausgeschieden.

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Jetzt ist also Deutschland ausgeschieden. Wieder einmal. Nach Russland 2018 erwischte es die stolze, sieggewohnte, furchterregende Fußballnation nun auch in Katar in der Vorrunde. Mit so großen Ambitionen – ballesterischen und zeichensetzerischen – ist man an den Persischen Golf gereist. Und jetzt? Willkommen bei uns!

Österreich kennt den Weg der Verzwergung. Nicht nur im Fußball, da aber sehr drastisch. Vom Wunderteam der 1930er-Jahre über den WM-Dritten 1954 bis – ach, lassen wir das.

Österreich kann, was das betrifft, dem Nachbarn jedenfalls ein Lehrmeister sein. Mit den Schiedsrichtern zu rechten – ging dem 2:1 der Japaner in der Parallelpartie ein Torout voraus? – funktioniert ja schon recht gut. Ebenfalls schon sehr gut die Andeutungen, die Spanier hätten gegen Japan die Zügel eventuell schleifen lassen, weil sie mit Gruppenplatz zwei der leichteren Gegner wegen eh hochzufrieden wären. Hättiwari! Wer wollte uns Österreichern darin etwas vormachen?

Spracherwerb

Beginnen muss der Unterricht beim Spracherwerb. Das Erste, das deutsche Fußballer zu erlernen haben, ist die so breit schillernde, weil aus dem Tschechischen herrührende Wendung "Es geht sich nicht aus!". Schwer zu erklären, was alles damit gemeint ist. Aber der deutsche Turnierverlauf fällt gewiss darunter. Und weil das ja nun zum zweiten Mal en suite passiert ist, muss man auch an diesen wunderbaren Film über die Wiener Vienna erinnern, der den Titel trägt Es geht sich immer nie aus.

Sowas passiert halt, sagt man. Robert Musil, der große kakanische Seelendiagnostiker, hielt das für eine der typischsten Wendungen im Österreichischen. "Es ist passiert, sagte man dort, wenn andere Leute anderswo glaubten, es sei wunder was geschehen."

Deutschland blickt zurück: Mario Götze schießt Deutschland am 13. Juli 2014 in Rio de Janeiro gegen Argentinien zum WM-Titel.
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Dass, wenn eine deutsche Fußballmannschaft spielt, bloß etwas passiert, das ist wahrscheinlich die schwerste Lektion im Erlernen der neuen Situation. Wir helfen gerne. Lektion eins, wieder Robert Musil: "Wenn man gut durch geöffnete Türen kommen will, muss man die Tatsache achten, dass sie einen festen Rahmen haben." Andererseits: Den Möglichkeitssinn gibt’s auch.

Nichts für ungut: Der Spott, den einer hat, wenn er den Schaden hat, kommt aus dem Ösiland eh milde daher. Gewissermaßen von längst gesicherter Position aus und also selbstironisch. (Apropos Selbstironie: ins Merkheft!).

Leichte Schulter

Wir wissen ja, wovon wir reden. Diesbezüglich haben wir die weitaus reichere Erfahrung. Darin kann uns niemand was vormachen. Mag sein, das führt zu einer gewissen Abgeklärtheit im Kleinsein. Auch vergangene Größe ist eine Größe.

Deutschland, das wissen wir auch, wird das neuerliche Ausscheiden vorerst nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wohl im Gegenteil. Die allerschwerste Übung in der deutschen Verösterreicherung wird daher das Sich-Abfinden sein. Dass man sich dreinschickt ins Unvermeidliche: keine Fußballnation mehr zu sein. Aber was soll Italien sagen? Was England? Sich einen Trost aus dem Schicksal anderer zu basteln: auch das eine Lektion.

England ist übrigens ein ganz gutes Beispiel. Zweifellos ist die englische Premier League die stärkste, reichste, attraktivste Liga der Welt. Dahinter kommt lange nichts. Aber dann schon die Bundesliga. Die Nationalmannschaft ist dazu nur ein Schatten. Nur einmal wurde das Mutterland des Fußballs auch Weltmeister. Und das 1966 daheim. Und das gegen Deutschland, das heute noch so wunderbar zu sudern versteht übers Wembley-Tor.

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Österreich blickt zurück: Ernst Ocwirk, in den 1950er-Jahren zweimal Weltfußballer, beim 2:0 Österreichs gegen Belgien am 23. März 1952 im Praterstadion.
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Sudern! Das ist auch ein Wort, das in der Schule des Österreichischwerdens auf dem Lehrplan steht.

Deutschland wird wieder große Nationalmannschaften hervorbringen und grandiose Siege erringen. Aber es wird – auch hierin dem kleinen Nachbarn gleich – damit nichts mehr anstellen können. Für Österreich gilt, dass es die Größe im Fußball verlor, als es sich als endlich zu sich gekommenes Land etabliert hatte. Da stand einer wie Ernst Ocwirk dann auf verlorenem Posten. Dieser Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Er konnte gehen.

Kranker Mann

Mit dem WM-Titel 1954 wurde Westdeutschland, die BRD, erst so richtig gegründet. Die Heim-WM 2006 und die damit einsetzende Wandlung der einstigen Rumpelkicker zu einem feinen, spielerischen Team repräsentierte das gemeinsame, friedliche, zukunftsfrohe, weltoffen-herzliche Deutschland. Das vorzeitige Ausscheiden bei zwei Weltmeisterschaften spiegelt – ballesterisch verzerrt, klar – auch eine Realität: Deutschland, der kranke Mann an Rhein und Elbe. Kein Zug fährt pünktlich. Die Autobahnen bröckeln. Keiner Brücke sollte man mehr trauen. Höchstens den blauen Augen in ihrer Blauäugigkeit.

Deutschland ist mit hohem Moralanspruch nach Katar gefahren. Und hat erlebt, was Karl Valentin – kein Österreicher, aber – so wunderbar zusammengefasst hat: "Mögen hätte ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut." Manchmal kann man auch mit hoher Moral den Moralischen kriegen. (Wolfgang Weisgram, 3.12.2022)