Es braucht ein gewisses Maß an Wohlwollen, den von Japans Kaoru Mitoma ins Spiel zurückgebrachten Ball, der Deutschland letztlich aus dem Turnier warf, nicht im Aus zu sehen.

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Al Rihla spielt alle Stückln. Ein moderner Fußball wie das offizielle WM-Spielgerät erinnert optisch längst nicht mehr an ein Fetzenlaberl, wie es in den Anfängen auf holprigen Wiesen getreten wurde. Er wurde auch technisch auffrisiert, um den Ansprüchen der modernen Welt zu genügen. Heißt: Alles braucht Sensoren.

Al Riha verfügt über die sogenannte Connected Ball Technology. Im Inneren der Blase befindet sich ein System aus Sensoren, die dem Videoschiedsrichter VAR präzise Daten über die Bewegungen des Balls liefern. So gesehen könnten damit auch Entscheidungen getroffen werden, ob sich das Spielgerät etwa mit vollem Umfang im Tor oder über der Outlinie befindet. Doch das System hat Grenzen, da sich der Ball durch Berührungen deformiert und so eine exakte Positionsbestimmung erschwert wird.

Sind Situationen zu bewerten wie etwa jene im Spiel Spanien gegen Japan, als Kaoru Mitoma den Ball in der 51. Minute auf den letzten Drücker oder auch kurz danach von der Toroutlinie gekratzt und zum entscheidenden Treffer von Ao Tanaka ins Spiel zurückgebracht hatte, dann muss der VAR weiter mithilfe der Torlinienkamera entscheiden, ob das Tor regulär war oder eben nicht. Der Ball kann viel, aber er kann nicht alles.

Fatales Urteil

Es dauerte rund drei Minuten, bis der mexikanische Videoassistent Fernando Guerrero dem südafrikanischen Schiedsrichter Victor Gomes die folgenschwere Entscheidung präsentierte, dass der Ball noch nicht zur Gänze außerhalb des Feldes gewesen sei und das eigentlich bereits aberkannte Tor sehr wohl zähle. Mit der Millimeterentscheidung wurde letztlich das vorzeitige Scheitern Deutschlands in der Gruppenphase besiegelt.

Ja, Schiedsrichterentscheidungen sind Tatsachenentscheidungen, auch wenn der geneigte Fan das gerne anders sieht und bisweilen vergisst. Wäre der VAR nicht im Einsatz, so hätten der Schiedsrichter und der Assistent an der Seitenoutlinie dem Tor die Anerkennung verwehrt. Weder das Publikum noch die Japaner und erst recht nicht die Deutschen hätten sich beschwert. Doch der VAR hat entschieden und den Treffer gewertet. Und Englands Fußball-Ikone Gary Lineker sah sich durch das vorzeitige deutsche Scheitern bemüßigt, seinen legendären Spruch zu erweitern: "Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten dem Ball hinterher, und am Ende gewinnen immer die Deutschen – falls sie die Gruppenphase überstehen."

Ob der Ball draußen oder drinnen war, ist eine der elementarsten und am häufigsten diskutierten Fragen in ballesterischen Angelegenheiten. Der wohl prominenteste Fall war das Wembley-Tor im Finale der WM 1966, als England im Spiel gegen Deutschland dank zweier irregulärer Treffer zum Weltmeister avancierte. Es sollten die bedeutsamsten Irrtümer der Geschichte werden, einer davon entwickelte sich gar zum Synonym für einen umstrittenen Treffer.

Glasklarer Fall

Dank Al Rihla konnte in Katar eine andere, nicht annähernd so folgenschwere Fehlentscheidung vermieden werden. Ob es Cristiano Ronaldo passt oder nicht. Denn der Treffer Portugals zum 1:0 gegen Uruguay wurde nicht dem 37-jährigen Kapitän der Seleção das Quinas Tugas zugesprochen, sondern seinem Kollegen Bruno Fernandes. Ronaldo hatte den gen Tor gezirkelten Ball um Haaresbreite verpasst und nicht ins Gehäuse gestreichelt, wie er es gern interpretiert hätte.

Ein Sprecher von Adidas – traditionell Entwickler des WM-Balls – bestätigte nach Auswertung der Sensordaten, dass es in der Szene definitiv keinen Ballkontakt von Ronaldo gegeben habe, weil kein Einwirken einer Kraft von außen gemessen werden konnte.

Al Rihla bedeutet Reise und steht gewissermaßen für eine rasante Variante einer Tour, denn das nahtlose, in Weiß gehaltene Laberl mit gerillter Oberfläche und blauen sowie orange-roten Schattierungen ist für Hochgeschwindigkeitsfußball ausgelegt. Es soll sich in der Luft schneller bewegen können als alle bisherigen Fabrikate in der WM-Historie. Die Trefferquote löst das Versprechen noch nicht ganz ein. (Thomas Hirner, 3.12.2022)