Gentechnik lehnt er ab. Debatten über Glyphosat überlässt er Fachleuten. Bei Tierschutz sieht er Österreich als Vorreiter. Polarisieren will VP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig nicht.

STANDARD: Lebensmittel haben sich teilweise deutlich über der Inflationsrate verteuert. Riskieren Landwirte, dass sich viele Österreicher ihre Produkte nicht mehr leisten können?

Totschnig: Die Einkaufsfrequenz ist im September um neun Prozent gesunken. Bei Rindfleisch etwa gibt es Rückgänge von 26 Prozent. Bio sank um zehn Prozent. In Summe stiegen die Lebensmittelpreise um rund 13 Prozent. Der Treiber dafür sind vor allem die hohen Energiekosten. Bei Milch war zeitweise auch das Angebot knapp. Deshalb ist es wichtig, Bauern zu entlasten, damit knappes Angebot die Preise nicht erhöht.

STANDARD: Orten Sie Preistreiberei im Windschatten der Inflation? Nicht zuletzt will die Bundeswettbewerbsbehörde wissen, wohin die starken Preissteigerungen geflossen sind.

Totschnig: Es gibt in der Wertschöpfungskette harte Verhandlungen. Der Handel hat Sorge, dass die Inflation zu hoch wird und gibt diesen Druck weiter. Von Spekulation ist mir nichts bekannt.

STANDARD: Zwischen Produzenten und Handelsketten eskalieren derzeit Preisverhandlungen. Eine Ombudsstelle im Landwirtschaftsministerium will Konflikte entschärfen. Wie viele Lieferanten haben es bisher gewagt, sich über den Handel zu beschweren?

Totschnig: Die Fairnessstelle ist weisungsunabhängig. Sie wird Anfang nächsten Jahres Bericht erstatten.

Es wurde in der Corona-Zeit viel schwarzgemalt, sagt Norbert Totschnig. Er glaubt fest daran, dass die Landwirte auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen.
Heribert Corn

STANDARD: Die Landwirtschaft erhält 120 Millionen Euro Stromkostenzuschuss. Davor flossen 110 Millionen in ein Paket für Versorgungssicherheit. Wäre angesichts guter Einkommen nicht ein guter Zeitpunkt, um vom Fördertopf wegzukommen?

Totschnig: Diese Pakete sollen die höheren Betriebsmittelkosten abfedern, etwa für Energie, Futter und Düngemittel. Die Stromkosten etwa haben sich ja bis zu verfünffacht. Im Agrarumweltprogramm werden Mehrleistungen abgegolten, die im öffentlichen Interesse stehen. Bei den Direktzahlungen werden höhere Standards eingefordert.

STANDARD: Wird die Teuerung den Strukturwandel befeuern? Viele Hilfen wären dann in den Sand gesetzt.

Totschnig: Was mich zuversichtlich stimmt: Es wurde in der Corona-Zeit viel schwarzgemalt. Die Bauern kamen jedoch gestärkt daraus hervor. Sie haben stark in die Modernisierung ihrer Betriebe investiert. Mehr als zwölf Prozent der Betriebsführer sind jünger als 35. Das ist der höchste Anteil in Europa. Unser Bildungsangebot ist hochwertig. Wir werden auch diese Krise überwinden.

STANDARD: Bauern sind von C02-Abgaben beim Diesel befreit, zahlen dafür weniger als Konsumenten. Klimaschutz sieht anders aus.

Totschnig: Ohne Treibstoff kein Traktor, ohne Traktor keine Bewirtschaftung der Felder. Österreichs Landwirtschaft hat die höchste Dieselbesteuerung in Europa. Käme die CO2-Bepreisung noch oben drauf, hätte das Wettbewerbsnachteile.

STANDARD: Anders als Konsumenten dürfen Landwirte das umstrittene Herbizid Glyphosat einsetzen. Haben Sie in Brüssel Mitte November für eine längere Zulassung stimmen lassen?

Totschnig: In Europa läuft ein Wiedergenehmigungsverfahren. Die Schlussfolgerungen werden Mitte 2023 erwartet. Ziel ist Rechtssicherheit. Wir sind der Empfehlung der Experten der Agentur für Lebensmittelsicherheit gefolgt, diese haben für die Friststreckung gestimmt, solange das Verfahren andauert.

STANDARD: Steht die Zustimmung Österreichs zur Verlängerung der Glyphosat-Zulassung nicht in krassem Widerspruch zu einem Nationalratsbeschluss, dagegen zu stimmen?

Totschnig: Dieser Beschluss stammt aus dem Jahr 2017 und betraf die Frage der Genehmigung. Grundsatz im Regierungsprogramm ist, auf Basis wissenschaftlicher Daten und Fakten zu entscheiden. An diesen sehe ich mich gebunden.

Keiner spüre den Klimawandel mehr als die Landwirte, sagt der Minister.
Heribert Corn

STANDARD: Landwirte waren heuer massiv von Dürre betroffen. Sind viele Probleme hausgemacht? Der Anbau bewässerungsintensiver Kulturen etwa hat sich teils bis zu verdreifacht.

Totschnig: Österreich geht den Weg der ökosozialen Agrarpolitik. Über 80 Prozent der Betriebe nehmen am freiwilligen Umweltprogramm teil. Wir haben nie intensive Landwirtschaft propagiert. Keiner spürt den Klimawandel jedoch mehr als Landwirte. Das hat Konsequenzen für den Anbau. Und die Bauern reagieren bereits darauf, indem sie etwa klimafitte Sorten verwenden.

STANDARD: Wie halten Sie es mit grüner Gentechnik, die für hitzeresistentere Sorten sorgen könnte?

Totschnig: Wir sind ein Land ohne gentechnisch modifizierte Pflanzen im Anbau, und diese Linie steht für mich nicht zur Diskussion.

STANDARD: Nägel mit Köpfen wollten Sie bei der Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Lebensmitteln machen. Gelten wird diese aber vorerst offenbar nur für Kantinen?

Totschnig: Wir haben zwei Verordnungen in Begutachtung geschickt. Bei jener für Gemeinschaftsverpflegung bin ich zuversichtlich, sie noch dieses Jahr auf dem Tisch zu haben. Bei verarbeiteten Produkten warten wir auf den Vorschlag der EU.

STANDARD: In Not geraten ist infolge von Tierleidskandalen das AMA-Gütesiegel. Betriebe sollen nun vertieft kontrolliert werden. Wie tief genau?

Totschnig: Es wird öfter nachgesehen, wie der Betrieb läuft. Ab nächstem Jahr müssen die Betriebe auch beim Tiergesundheitsdienst dabei sein, es wird hier jährliche Kontrollen geben.

STANDARD: Kühe dürfen ab 2024 nicht mehr dauerhaft angebunden werden. Reicht das, um Vertrauen der Konsumenten zurückzugewinnen, zumal Rinder nach wie vor auf Vollspaltenböden stehen und diese bei Schweinen erst 2039 ein Ablaufdatum haben?

Totschnig: Österreich gehört zu den Ländern mit den höchsten Tierwohl-Standards. Mit dem Tierwohlpaket bauen wir diese Vorreiterrolle aus. Außerdem ziehen wir das Auslaufen der permanenten Anbindehaltung vor. Aber mehr Tierwohl ist nicht nur Aufgabe der Produzenten. Es kostet mehr, und das muss sich am Markt auch abbilden.

STANDARD: Auf EU-Ebene plädieren Sie für einen einfacheren Abschuss von Wölfen. In Österreich gibt es deren derzeit nur rund 30. Schießen Sie hier nicht weit übers Ziel hinaus?

In Brüssel wurde Totschnig mit der Aufforderung vorstellig, die EU-Kommission möge den Schutzstatus der Wölfe überarbeiten.
Heribert Corn

Totschnig: Wir brauchen Naturschutz mit Hausverstand. Man kann nicht so tun, als ob nichts passiert, wenn Risszahlen steigen und die Bevölkerung in Sorge ist. Die Population der Großraubtiere hat sich in Europa stark erholt. Der Wolf ist nicht mehr vom Aussterben bedroht. Es gibt jährliche Zuwachsraten von 30 Prozent. Daher habe ich die EU-Kommission dazu aufgefordert, den Schutzstatus zu überarbeiten und ein europäisches Monitoring einzuführen. 16 Staaten haben das unterstützt.

STANDARD: Problemwölfe dürfen ja ohnehin geschossen werden.

Totschnig: Die Vollziehung ist derzeit kaum möglich, da immer wieder Einspruch erhoben wird.

STANDARD: Wäre es nicht klug, mehr in Herdenschutz zu investieren?

Totschnig: Das passiert bereits. Wer schon einmal auf einer Alm einen Zaun gebaut hat, der weiß, dass das nicht überall möglich ist oder der Kostenaufwand einfach nicht dafür steht. Der Wolf ist aber nicht nur auf Almen, er dringt auch in Siedlungsgebiete vor. Es gab schon Risse nahe Kindergärten. Wir brauchen daher Regelungen, die es uns ermöglichen, Problemwölfe zu entnehmen.

STANDARD: Sie sind ein halbes Jahr im Amt. Umfragen zufolge ist Ihr Bekanntheitsgrad trotz Touren durch die Regionen sehr niedrig. Unter dem Radar der Öffentlichkeit zu sein – ist das in Zeiten wie diesen gar kein so schlechtes ÖVP-Politikerschicksal?

Totschnig: (lacht) Ich bin kein Showman. Ich arbeite sachorientiert. Ich will keine schnellen Schlagzeilen. Und ich bin keiner, der polarisiert, sondern ich beziehe alle Betroffenen mit ein. Dann hat man am Ende Lösungen und keinen Wirbel.

STANDARD: Sie sollen 2018 als Direktor des Bauernbundes ein Inseratengeschäft zwischen Finanzministerium und "Bauernzeitung" vermittelt haben. Was ergab die interne Revision, die Sie rund um den Verdacht auf ÖVP-Wahlkampffinanzierung einschalteten?

Totschnig: Das ist nicht korrekt. Die interne Revision des Ministeriums prüft eine europaweit ausgeschriebene Auftragsvergabe im Jahr 2017. Es ging um Produktion einer Magazinreihe. Das hatte nichts mit dem Bauernbund oder Inseraten zu tun. (Regina Bruckner und Verena Kainrath, 3.12.2022)