Das Thema Achtsamkeit hält immer öfter Einzug in die Unternehmenskultur und wird durch Angebote wie Meditationsräume gefördert. Wozu machen Firmen das?

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Vor ein paar Jahren huldigten Führungskräfte einem schier unmenschlichen Arbeitsethos: CEOs prahlten, mit wie wenig Schlaf sie auskommen, Berater und Banker zelebrierten sogenannte All-Nighters als sozialdarwinistische Bestenauslese, und im Silicon Valley, wo die arbeitswütigen Programmierer in nächtelangen Hackathons nach Lösungen rangen, galt die Devise: "Nine to five is for the weak." Ein Nive-to-five-Job ist für Schwache. Stärke zeigt dagegen, wer morgens um vier Uhr bereits die ersten E-Mails beantwortet und beim Afterwork Trinkfestigkeit beweist. Work hard, play hard.

Nun brennt in den Büros von Beratungen und Banken noch immer am Wochenende das Licht, führt die zerstörerische Selbstausbeutung immer noch zu Burn-outs und zum Teil sogar zum Tod (Stichwort "karoshi", wie man in Japan den Tod durch Überarbeitung nennt). Doch spätestens, seitdem das Thema Achtsamkeit Einzug in die Unternehmenskultur gehalten hat und die jüngere Generation eine bessere Work-Life-Balance einfordert, hat sich das Bewusstsein für Gesundheit am Arbeitsplatz verändert.

Prominente Bio-Hacker wie Ex-Twitter-Chef Jack Dorsey plaudern über Wellnessprogramme (meditieren, fasten, zu Fuß zur Arbeit gehen), Change-Coaches bieten matten Managerinnen Yoga- und Meditationskurse an, und im Silicon Valley sprechen sie alle über smarte Kissen und die süßen Träume auf intelligenten Matratzen. Galt Schlafmangel einst ein Statussymbol, ist es heute die Optimierung des Schlafes durch Tracking-Apps.

Spiritualität im Office

Dieser Sinneswandel kam freilich nicht über Nacht. Die Tech-Gurus, die ihren solutionistischen Fortschrittsgospel in jeden Raum hineinrufen und mit missionarischem Eifer in die Welt tragen, sind seit jeher rezeptiv für Spiritualität. Schon Steve Jobs pilgerte 1974 nach Indien und besuchte mit seinem Freund und späteren ersten Apple-Mitarbeiter Dan Kottke einen Ashram. Fortan hing Jobs dem Zen-Buddhismus an, was ihn nicht nur zum Veganer machte, sondern auch seine minimalistische Ästhetik inspirierte. Die kalifornische Hippie- und Gegenkultur, die bis heute das Denken im Silicon Valley prägt, war damals auch stark vom Zen-Buddhismus beeinflusst.

Jobs ist rückblickend betrachtet vielleicht der unbekannteste bekannte Buddhismus-Missionar im Westen: Er schaffte es, mit dem ikonischen iPhone eine globale Glaubensgemeinschaft mit eigenen Ritualen zu begründen. Die ikonischen Apple-Stores, wo die Gadgets wie Reliquien aufgebahrt werden, erinnern an Sakralbauten. "Touching is believing", warb Apple für das erste iPhone in einer Anzeige. Berühren heißt Glauben. Und Glaube kann bekanntlich Berge versetzen, und so ist zu verstehen, dass auch andere Tech-Konzerne bei ihrer Weltverbesserungsmission Anleihen beim Buddhismus nehmen. So heuerte Google den Zen-Lehrmeister Chade-Meng Tan an, der die Mitarbeiter in internen Seminaren in Achtsamkeit schulte. In seinem Buch Search Inside Yourself predigt Meng Ruhe und Klarheit, die die Grundlage von "emotionaler Intelligenz" bilden.

Religion als Teil der Arbeit

Die Zen-Lehre hat längst Eingang in die Unternehmensphilosophie gefunden. Tech-Konzerne wie Apple, Google und Linkedin haben heute alle Meditationsräume in ihren Gebäuden. Mark Zuckerbergs Frau Priscilla ist praktizierende Buddhistin, was den Facebook-Gründer offenbar dazu bewog, den Status "Atheist" auf seinem Profil zu entfernen. Und Salesforce-Chef Marc Benioff ließ sich beim Bau des neuen Firmenhauptquartiers, dem 61-stöckigen Salesforce Tower in San Francisco, sogar von buddhistischen Mönchen inspirieren und auf jeder Etage eine Achtsamkeitszone errichten, wo Angestellte ihre Smartphones in einen Korb werfen und die Ruhe genießen können. Das höchste Gebäude San Franciscos, ein buddhistischer Tempel?

In ihrem Buch Work Pray Code beschreibt die amerikanische Soziologin Carolyn Chen, wie die Lehren des Buddhismus zu einer neuen kapitalistischen Arbeitsethik umcodiert werden. "Der Buddhismus hat eine neue institutionelle Heimat im Westen gefunden: das Unternehmen", schreibt sie. In einer säkularisierten Welt, so Chen, würde Arbeit die Religion ersetzen, mehr noch: "Religion ist nun Teil der Arbeit." Statt sonntags in der Kirche zu beten, sucht man nun die Erleuchtung in Yoga- oder Achtsamkeitskursen. Unternehmen geben "Missionen" aus oder schreiben sich heilsgeschichtlich aufgeladene Werte auf die Fahnen. Die Erfolgsstrategie, die Management-Gurus predigen, lautet: "Glaube an dich selbst!"

Apps sollen helfen

Das eigentliche Interessante ist, dass über das Vehikel von Apps ein Kulturimport des Zen-Buddhismus, das Konzept der Achtsamkeit, auf der ganzen Welt exportiert wird. Es wimmelt von Meditations-Apps und dazugehöriger Literatur, die Nutzern Tipps für Atemübungen und Schlafgeschichten bieten. Dass man ein Smartphone aber schlecht im Lotussitz halten kann und die Apps genau das erzeugen, was Achtsamkeit zuwiderläuft, nämlich Ablenkung, ist den Handlungsanleitungen nicht zu entnehmen. Insofern ist die buddhistisch beglaubigte Achtsamkeitsrhetorik auch nur ein aufmerksamkeitsökonomisches Bio-Label für fragwürdige Produkte, die allein ihre Entwickler ruhig schlafen lassen. (Adrian Lobe, 15.12.2022)