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Die Generation Alpha übt sich mit "Gas" in einem freundlicheren Miteinander, das man bei den Social Networks ihrer Eltern oft vergeblich sucht.

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Pickel, Herzschmerz und Hormone – Teenie sein ist nicht leicht. Da hilft es durchaus, inmitten des ganzen Körperhass-Wirrwarrs einmal das eine oder andere Kompliment zugeflüstert zu bekommen, am besten noch vom eigenen Schwarm. Genau an diesem Punkt setzt die App Gas an.

Seit der US-Markteinführung im August dieses Jahres sprengt die Lifestyle-App alle Rekorde. Hinter dem Erfolg der Anwendung steht eine simple Idee: Durch anonyme Komplimente, verschickt in der App, soll das Selbstbewusstsein der vorwiegend jugendlichen Userinnen und User gepusht und sie damit zum Interagieren mit der Anwendung gebracht werden.

So funktioniert die App

Gas basiert zu einem Großteil auf der mittlerweile vom Markt genommenen App tbh (eng. Kurzform für "to be honest") des Mitgründers Nikita Bier, einem früheren Facebook-Mitarbeiter. Nach Einstellen von tbh wegen niedriger Nutzerinnenzahlen und fragwürdiger Targeting-Strategien im Jahr 2018, schlägt sich der Relaunch der App verpackt als Gas nun deutlich erfolgreicher.

In Form von Umfragen werden mittels Multiple-Choice-Verfahren Komplimente verteilt. Auf Fragen und Statements wie beispielsweise "Wer ist dein heimlicher Schwarm?" oder "Das Lächeln dieser Person bringt mein Herz zum Schmelzen" können verschiedene Personen genannt werden, die somit das entsprechende Kompliment enthalten: Fynn ist der heimliche Schwarm, Mias Lächeln bringt jedes Herz zum Schmelzen – das zaubert wiederum ein Lächeln aufs Gesicht der genannten Person. Die Fragestellerinnen und Fragesteller bleiben dabei stets anonym, einzig ihr Geschlecht und die Jahrgangsstufe werden bekanntgegeben.

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Bestätigung statt Selbstdarstellung

Anders als andere Social Apps bietet Gas seinen Userinnen und Usern keine Chatfunktion oder die Möglichkeit, einer Person zu folgen, ohne dass dies auf Gegenseitigkeit beruht. Ohne eine beidseitige Kontaktanfrage kann der jeweilige Name nicht in der Umfrage der anderen Person auftauchen. Wird der eigene Name beispielsweise bei einer Umfrage zu "Wer spielt die beste Musik auf Partys?" ausgewählt, bekommen Nutzerinnen und Nutzer zwar eine Benachrichtigung, sehen aber nicht, wer sie ausgewählt hat. Gegen Geld kann die App jedoch so erweitert werden, dass die Menschen zumindest die Anfangsbuchstaben ihrer Verehrerinnen, bzw. Verehrer sehen.

Tatsächlich ist das Prinzip, das sich Gas zunutze macht kein neues. Ähnlich wie bei Dating-Apps werden auch bei Gas Userinnen und User klassisch konditioniert. Je aktiver und sichtbarer sie sind, desto höher ist die Chance auf Komplimente. Das Ganze funktioniert also ein wenig so wie bei Tinder, wo mehr Swipen die Möglichkeit auf mehr Matches bedeutet.

Gas verdrängt Konkurrenz trotz begrenzter Verfügbarkeit

Obwohl Gas erst seit August 2022 auf dem Markt und wegen mangelnder Serverkapazitäten nur in ausgewählten US-Bundesstaaten verfügbar ist, reiht die App auf Platz drei der beliebtesten Lifestyle-Anwendungen im US-Appstore. Damit platziert sich Gas direkt neben der Konkurrenz Be Real und Tiktok, welche den Markt bisher anführten.

Be Real, Gas und Tiktok haben gemeinsam, dass alle drei kostenfrei erhältlich sind und sich gezielt an junge Erwachsene richten. Während Be Real im Appstore allerdings unter der Kategorie Social Media und TikTok im Bereich Entertainment zu finden ist, reiht sich Gas in den Zweig Lifestyle ein. Dies mag wie ein unwichtiges Detail erscheinen, ist jedoch ein bewusster Trick der Entwickler, um ihre Apps im Ranking höher zu ranken. Hätte Gas sich in der Kategorie Social Media eintragen lassen, wäre es deutlich schwieriger, unter den Top drei Apps zu laden, wie Gas-Mitgründer Nikita Bier in einem Tweet offen zugibt.

Deutsches Äquivalent

In Österreich und Deutschland ist die App bisher nicht erhältlich. Als augenscheinlich sehr ähnliche Alternative ist seit Oktober 2022 jedoch die App Slay verfügbar. Anders als Gas kann diese hierzulande sowohl im Android Playstore, als auch im App Store von Apple heruntergeladen werden. Die US-App ist bisher nur für die iOS-Kundschaft erhältlich.

Slay bezeichnet sich als "positive-only App" und funktioniert mit einer ähnlichen Umfrage-Version wie Gas. Im Play Store wurde Slay über 10.000 Mal heruntergeladen.

Jugend ohne Bots

Und was sagt nun die Tatsache, dass sich Jugendliche digital Komplimente zur Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins zukommen lassen, über eine Gesellschaft aus? Vielleicht weniger Schlimmes, als anzunehmen wäre.

Denn auch wenn Gas nicht die erste App mit Umfragefunktion ist, so ist sie doch die erste, die einen offiziellen Positivitäts-Ansatz erklärt und dies durch vorformulierte Fragen gewährleistet. Vergleichbare Umfrageapps wie Ask.fm oder Yik Yak, auf denen ebenfalls anonym Fragen gestellt werden können, hatten der Community bei der Formulierung freie Hand gelassen. Dies resultierte in Online-Mobbing und sogar Suiziden von Jugendlichen.

Gas ist somit eine der ersten Apps, welche Jugendliche dazu animiert, sich gegenseitig zu bestärken. Ob der positive Nutzen auf die mentale Gesundheit von Jugendlichen das zentrale Gründungsmotiv war, bleibt offen. Die Bewertungen im Appstore zeichnen jedenfalls ein weitgehend positives Bild der App. In einem Review heißt es etwa: "Ich dachte immer, dass niemand in meiner Schule für mich schwärmen würde. Dann öffnete ich eines Tages die App, und ein Mädchen hatte auf eine Umfrage geantwortet, dass sie mit mir auf den Schulball gehen würde. (...) Es gibt einem das Gefühl, gut und wichtig zu sein."

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Von einer Vorverurteilung der App darf also zunächst abgesehen werden. Jene Generationen, welche sich auf Plattformen mit Bots rumtreiben, auf denen Hate-Speech und Cybermobbing groß gemacht wurde, könnten es vielmehr als ein Beispiel dafür ansehen, wie sich die Generation Alpha im digitalen Raum in einem freundlicheren Miteinander übt. (Johanna Pauls, 2.12.2022)