Wie fragwürdig die Luftqualität in London bis heute ist, hat Bürgermeister Sadiq Khan dieser Tage demonstriert: Um Gesundheitsschäden von seinen Bürgerinnen und Bürgern abzuwenden, wie der Labour-Politiker beteuert, wird 2023 eine bisher auf die inneren Stadtbezirke begrenzte Umweltabgabe für Altwagen mit schlechten Abgaswerten auf die gesamte Stadt ausgedehnt. "Das sei undemokratisch und kaum bezahlbar", glauben einige Tory-Abgeordnete, angeführt von Ex-Premier Boris Johnson; allesamt vertreten sie Wahlkreise in den Außenbezirken der Neun-Millionen-Metropole. Die Fahrgebühr habe mehr mit Khans Missmanagement der Stadtkasse zu tun als mit der Bekämpfung der Luftverschmutzung.

Helllichter Tag in London – und dennoch kaum etwas zu sehen.
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Da kommt die Erinnerung an einen düsteren Jahrestag gerade recht als Mahnung dafür, wie tödlich schlechte Luft sein kann: Genau 70 Jahre ist es an diesem Montag her, dass sich am 5. Dezember 1952 eine Giftwolke aus Schwefel, Ruß und Kohlenstaub mit dem damals üblichen Nebel vermischte und über die Stadt senkte.

Draußen betrug die Sicht kaum noch einen Meter, der Straßenverkehr kam praktisch zum Erliegen, Passanten tasteten sich mit vorgestreckten Armen durch die dicke Suppe zur Arbeit, wo sie mit rußgeschwärzten Gesichtern ankamen.

Auch in die Häuser zog das fatale Gebräu. Theateraufführungen mussten abgesagt werden, weil die Schauspieler kaum noch einander sehen konnten, geschweige denn vom Publikum wahrgenommen wurden. Im British Museum, so berichtete es später eine BBC-Dokumentation, zogen die Nebelschwaden durch die Bibliothek.

Spitäler ausgelastet

In den Krankenhäusern der Stadt herrschte Hochbetrieb, bald war jedes Notbett belegt mit hustenden, um Atem ringenden Menschen. "Natürlich wurde jeder Ausgang gestrichen – wo hätten wir auch hingehen sollen?", erzählte viel später Hazel Sear, eine damals knapp 20-jährige Schwesternschülerin am St. Thomas' Hospital.

Viele Londoner litten nach den Entbehrungen des Zweiten Weltkriegs und der noch immer andauernden Lebensmittelrationierung unter Mangelerscheinungen, ihre Widerstandskräfte waren geschwächt. Die Glücklichen starben wenigstens im Krankenhausbett, viele verendeten jedoch in ihren Wohnungen oder auf dem Weg ins Spital, die Leichen wiesen blaue Lippen auf, Anzeichen eines Erstickungstodes.

Schlechte Luft, ja auch gefährliche Giftwolken hatte es in London seit langem gegeben. Nebel kommt schon in der Beschreibung des römischen Historikers Tacitus über "Londinium" vor. Im 13. Jahrhundert beklagte die aus der Provence stammende Eleonore, Gattin von König Heinrich III., die Luftverschmutzung in der Stadt.

"The Big Stink"

Mit der zunehmenden Industrialisierung im Lauf des 18. Jahrhunderts verdiente sich die bei weitem größte Metropole Europas den verächtlichen Beinamen "The Big Stink". Damals produzierten Betriebe wie Brauereien, Gerbereien und Seifensieder stinkende Abgase. Später zogen diese zwar weitgehend vor die Tore der Stadt, hunderttausende Haushalte aber heizten weiter mit rußhaltiger Kohle, auch die Kraftwerke der Stadt wie Battersea Power Station und das heutige Kunstmuseum Tate Modern wurden mit Kohle befeuert.

Die Smog-Katastrophe von 1952 kostete bis zu 12.000 Menschen das Leben.
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Das Gemisch aus Rauch ("smoke") und Nebel im Themse-Tal ("fog") führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Erfindung des Kunstworts "smog". Dieser beschäftigte die Literaten: Die legendären Krimis von Edgar Wallace oder des Sherlock-Holmes-Erfinders Arthur Conan Doyle sind ohne den typischen Londoner Smog – im Volksmund "pea-soupers", also Erbsensuppe genannt – kaum denkbar.

Dramatische Tage im Jahr 1952

Anfang Dezember 1952 war es wieder einmal so weit. Sehr kalten Tagen zu Adventsbeginn folgte ein Hoch und sorgte gemeinsam mit der ungewöhnlichen Windstille für die klassische Inversionslage: eine Art von Deckel aus warmer Luft über der Kaltluft in Bodennähe. Dort reicherte sich das Gemisch aus Schwefeldioxid und Rußpartikeln immer stärker an – mit tödlichen Folgen.

Erst erwischte es die Rinder am Smithfields-Markt: Bei 13 notgeschlachteten Tieren kamen pechschwarze Lungen zum Vorschein. Dann kämpften immer mehr Menschen mit Atemnot und Herz-Kreislauf-Beschwerden. Zunehmend hatten nicht nur Krankenhäuser, sondern auch Beerdigungsunternehmer und Floristen Hochbetrieb. Erst nach fünf Tagen kam der typische Londoner Wind aus Südwesten auf und blies die giftige Erbsensuppe Richtung Nordsee.

In ersten Bilanzen war von 4.000 Toten und rund 100.000 Erkrankten die Rede, jüngere Forschungen beziffern die mindestens mittelbar an den Smog-Folgen Gestorbenen sogar auf bis zu 12.000 Menschen in London. Die Regierung reagierte mit mehreren Gesetzen, die aber erst rund 15 Jahre später greifbare Folgen hatten: Mehr und mehr Bürger stellten ihre Heizung auf Öl und Gas um, die Kraftwerke der Innenstadt wurden nach und nach stillgelegt, die weiterhin verwendete Kohle hatte geringeren Schwefelgehalt.

Smog gibt es in der britischen Hauptstadt noch immer. Seine Ursache aber hat sich verändert, Automobilabgase stehen nun an erster Stelle. Und wie vor 70 Jahren gilt, womit Bürgermeister Khan seine Umweltabgabe begründet: "Schlechte Luft ist der Gesundheit der Londoner abträglich." (Sebastian Borger, 5.12.2022)