Österreich, Symbolfoto aus dem Lechtal in Tirol.

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Dem Vorfall wäre vermutlich nicht weiter Aufmerksamkeit geschenkt worden, wäre er am Wochenende nicht erneut aufgegriffen worden. Vergangene Woche hatte sich im Zuge der U-Ausschuss-Befragungen zu mutmaßlicher Korruption der ÖVP im Parlament Folgendes ereignet: Am Mittwoch, nachdem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) seine Befragung hinter sich gebracht hatte, war der niederösterreichische ÖVP-Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner als Auskunftsperson an die Reihe gekommen. Ebner hatte seinen Auftritt mit einem "Grüß Gott" begonnen, worauf SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer "forsch repliziert" haben soll: "In Wien heißt das nicht Grüß Gott, sondern Guten Tag."

So gab es am Samstag die steirische ÖVP-Nationalratsabgeordnete Corinna Scharzenberger in einer Aussendung wieder. Darin hielt sie auch fest: "Wer ,Grüß Gott‘ sagt, wird von der SPÖ verbal angegriffen." Sie sehe in dem Kommentar eine "massive Grenzüberschreitung" und ein Zeichen dafür, "wie abgehoben die SPÖ agiert". Man lasse sich "sicher nicht verbieten", "Grüß Gott" zu sagen, richtete Scharzenberger den Sozialdemokraten aus.

Krainer befand auf Twitter, die ÖVP sei "aber sehr empfindlich, wenn sie sich von einem freundlichen ,Guten Tag' schon angegriffen fühlt".

Nun erzählt die Episode zum einen einiges über das momentane Verhältnis zwischen den politisch roten und schwarzen Kräften in diesem Land, zumal über jene in Städten und eher ländlich geprägten Regionen. Der Vorfall unterstreicht zum anderen aber auch, wie ideologisch aufgeladen Grußformeln immer noch sein können.

Von "Grüß Gott" bis "Hi"

Verbreitet ist "Grüß Gott" im katholisch geprägten deutschsprachigen Bereich: in Österreich, in den deutschen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg oder auch in Südtirol. Was wie eine Aufforderung klingt, ist eigentlich umgekehrt gemeint. Genau genommen heißt es nämlich: "Es grüße dich Gott". Ähnlich verhält es sich mit "Pfiat di Gott", was von "Behüt dich Gott" abstammt, oder dem schweizerischen "Grüezi". Ursprünglich meinen die Formulierungen also einen Segenswunsch. Die diversen "Heil"-Grüße dienen als Segens- wie auch Glückswunschformel.

Der geistliche Hintergrund führt dazu, dass "Grüß Gott" bis heute allen voran von religiös geprägteren, konservativeren Menschen verwendet wird. Säkularere, links orientierte Personen greifen eher vermehrt zu anderen Formulierungen wie zum "Begrüße Sie" oder dem von Krainer ins Spiel gebrachten "Guten Tag". Die Grußformel "Freundschaft" hingegen ist traditionell eine unter Arbeitern, Sozialdemokratinnen und Kommunisten häufige.

Inzwischen gibt die Art der Begrüßung weniger eindeutig Aufschluss über Weltanschauung und politische Zugehörigkeit. "Grüß Gott" hat oftmals mit Religion ebenso wenig zu tun wie "Gott sei Dank". Diese Entwicklung hängt auch damit zusammen, dass weniger förmliche Anreden wie das freundschaftlichere "Hallo" oder sein englisches Pendant "Hi" stetig Einzug finden in den Sprachgebrauch. Amikale Grußidiome wie "Griaß di/eich" oder "Servus" bleiben Umfragen zufolge beliebt – mit all ihren bundesländerspezifischen Abwandlungen. Je jünger das Publikum, desto häufiger fallen internationale Wörter wie das norddeutsche "Tschüss" oder das italienische "Ciao" (oder genauer: "Tschau") bei der Verabschiedung. (Anna Giulia Fink, 5.12.2022)