In unserer amerikanisch geprägten Welt scheinen zwei Archetypen der Führung vorzuherrschen: Barack Obama stammt aus bescheidenen Verhältnissen, wurde von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen, schaffte es mit Talent, Charisma und Ehrgeiz nach Harvard und ins Weiße Haus. Das alles mit einem Temperament, das ihm den Spitznamen "No drama Obama" einbrachte.

Donald Trump war mit acht Jahren bereits Erbmillionär, besuchte Privatschulen und übernahm sukzessive Firmen seines Vaters. Er umgab sich mit Fotomodellen, heiratete drei von ihnen, entwickelte Immobilien, verkaufte Trump-Steaks und Trump-Wodka. Er ging dabei mehrmals in Konkurs. Er machte schließlich Karriere als TV-Persönlichkeit und Politiker. Bis heute hat er ein unersättliches Verlangen nach Aufmerksamkeit und Anerkennung, findet jeden noch so blutrünstigen Diktator gut, solange dieser ihm schmeichelt.

Diese beiden Archetypen gibt es auch in der Wirtschaft. Warren Buffett und Bill Gates zum Beispiel haben Firmenimperien aufgebaut, leben zurückgezogen und unaufgeregt und haben angekündigt, beinahe ihr gesamtes Vermögen wohltätigen Zwecken zuzuführen. Elon Musk gehört zum zweiten Archetyp. Obwohl er zum reichsten Mann der Welt aufgestiegen ist, hat er einen unersättlichen Darstellungsdrang, mit der Raffinesse eines 14-Jährigen. Das bekommen wir, seit er Twitter gekauft hat, live mit. Er geriert sich als Beschützer der freien Meinungsäußerung, verkündet eine "Generalamnestie" für alle, denen der Twitter-Account wegen strafbarer Äußerungen oder Verstößen gegen die Plattformregeln entzogen worden ist, die aber nicht für diejenigen gilt, die Kritik an Musk üben – wofür man als sein Mitarbeiter auch entlassen werden kann. Letzte Woche legte er sich mit Apple an, weil es nicht mehr auf Twitter werben will, so wie bereits die Hälfte seiner Top-100-Werbekunden (Carlsberg, Pfizer, Audi, GM etc.), die im Umfeld des neuen Wilden Twitter-Westens Reputationsschäden fürchten.

Elon Musk zeigt seit seinem Twitter-Kauf einen ähnlich starken Darstellungsdrang wie Donald Trump.
Foto: REUTERS/ DADO RUVIC

Musk managt die Plattform per Tweet mit Eigentoren wie der abrupten Entlassung von mehr als der Hälfte der Belegschaft unter Verletzung zahlreicher Gesetze, was die Gerichte mutmaßlich noch Monate oder gar Jahre beschäftigen wird – mit all den damit verbundenen Kosten. Twitter ist – derzeit noch – nützlich, viele interessante Menschen aus der ganzen Welt tauschen sich darauf aus. Auch ich habe darüber Freundschaften geschlossen.

Ob Musk ein dauerhaftes Geschäftsmodell findet, ist unklar. Seine chaotische Führung mit reihenweisen Ankündigungen und Rückziehern verunsichert jedenfalls Werbekunden, Mitarbeiter und Nutzer; er könnte Twitter auch in den Ruin treiben. Auf jeden Fall sehen wir eine neue Manifestation des Trumpismus: den Muskprotz. Das Motto ist Aufmerksamkeit um jeden Preis – brutal, kindisch, peinlich, aggressiv, Hauptsache, andere schauen zu.

Je länger die Ausbrüche solcher Menschen andauern, je mehr sie die Grenzen des Geschmacks und der Gesetze überschreiten, desto ermüdender werden sie. Egal wie erfolgreich sie sind, man wendet sich von den Kapriolen dieser fragilen Egos ab. "No drama" klingt in Zeiten echter Dramen zunehmend attraktiv. (Veit Dengler, 4.12.2022)