Lketinga Leparmorijo lebt heute mit seinen beiden Frauen und acht Kindern in Lulu.

Foto: Bianca Blei

Eine Familie vor einer Manyatta, einer traditionellen Hütte, wie sie auch von Corinne Hofmann gemeinsam mit Leparmorijo und seiner Familie bewohnt wurde.

Foto: Bianca Blei

Sie waren wie "Romeo und Julia": Sie – die 26-jährige Frau aus der Schweiz, die mit ihrem damaligen Freund in der kenianischen Küstenmetropole Mombasa urlaubt. Er – der etwa 20-jährige Samburu-Krieger, der sich mit Tänzen vor den Urlauberinnen und Urlaubern Geld dazuverdient. Corinne Hofmann verliebte sich laut eigener Beschreibung auf den ersten Blick in Lketinga Leparmorijo und ließ schlussendlich ihr Leben in der Schweiz hinter sich, um mit dem Mann aus der afrikanischen Savanne ein neues, abenteuerliches zu starten.

Hofmann trennte sich von ihrem Freund, verkaufte ihr Second-Hand-Modegeschäft und reiste Leparmorijo bis in den Norden Kenias hinterher. Noch heute ist das eine anstrengende Reise von acht bis neun Stunden mit dem Jeep aus der Hauptstadt Nairobi. Damals – Ende der 1980er-Jahre – war es quasi eine Weltreise.

Risse in Beziehung

Hofmann zog zu ihrer großen Liebe, seiner Mutter und seiner Nichte im kleinen Dorf Barsaloi im Stammesgebiet der Samburu in eine Manyatta, eine traditionelle Hütte. Diese niedrigen Behausungen sind weitverbreitet im Norden des Landes und bestehen oft aus zwei Schlafnischen – einer für Männer und einer für Frauen – und einer Kochstelle mit offenem Feuer dazwischen. Hofmann ließ sich auf das Leben im Busch ein, heiratete den Samburu-Mann, eröffnete einen Shop im Dorf und wurde schließlich schwanger.

Nach der Geburt ihrer Tochter Napirai begann die Idylle aber stetig zu bröckeln. Leparmorijo war regelmäßig eifersüchtig, hinterfragte sogar die Vaterschaft Napirais. Und Hofmann zog die Notbremse. Nach dreieinhalb Jahren bei "ihrem" Krieger flog sie mit ihrer Tochter in die Schweiz – und blieb.

Millionenerfolg und Kritik

So weit die Erzählung aus ihrer Sicht, die sich im deutschsprachigen Raum auch durchsetzte. Hofmann schrieb nämlich einen Beststeller über ihre Zeit in Kenia – "Die weiße Massai" verkaufte sich millionenfach, ein Spielfilm kam 2005 in die Kinos.

Doch auch Kritik begleitete das biografische Projekt. Als kolonialistisch wurde die Sprache im Buch beschrieben, wurde Leparmorijo oft auf seinen Körper reduziert, die Lebensweise der Samburu als zurückgeblieben porträtiert. Allein der Titel war für Beobachterinnen und Beobachter problematisch, wurde doch aus dem "Samburu" kurzerhand ein "Massai", weil dieser Stamm in Europa bekannter ist.

Der Ort heute

Und auch in Barsaloi waren nicht alle begeistert von der Darstellung ihrer Kultur in dem Buch. Alle Älteren erinnern sich an die weiße Frau, die "Mzungu", wie sie in Kisuaheli genannt wird. Zwar ist der Ort seit der Abreise von Hofmann gewachsen und besitzt mittlerweile eine befestigte Toilette, kleine Geschäfte und dank des lokalen Priesters auch eine Wasserversorgung, doch finden sich noch Spuren von "Corinne".

Gleich neben der katholischen Mission war das Haus des Paares, erzählt ein Mann. Ein anderer zeigt auf eine viereckige Betonruine an der Sandstraße, die durch den Ort führt: "Dort war ihr Shop." Und am jetzigen Fußballplatz sei der Flieger der "Flying Doctors" gelandet, die die an Hepatitis erkrankte Hofmann abholten.

Der Krieger

Doch wo lebt Leparmorijo heute? Und wie erinnert er sich an die Zeit?

Mit den Motorrad sind es aus dem sandbeigen Barsaloi noch etwa 45 Minuten über eine Sandpiste, durch staubige Flussbette bis hinauf in die Hügel, wo die Landschaft wieder grün wird. Lketinga Leparmorijo ist in den Ort Lulu gezogen, und alle hier kennen ihn als "den weißen Massai". Hier ist er der Superstar. Als der heute 56-Jährige den grünen Hügel zum Bachufer hinuntersteigt, in der Hand einen langen Wanderstab, erkennt man den im Buch beschriebenen Krieger. Doch Leparmorijo trägt keine traditionelle Kleidung– er ist auch kein junger Moran, kein Kämpfer mehr –, sondern um die Hüfte gewickelt ein kariertes Stück Stoff, eine rote Weste über einem gemusterten Shirt und auf dem Kopf einen Strohhut.

Leparmorijo stellt klar, dass die Begebenheiten in Hofmanns Buch der Wahrheit entsprechen: "Sie hat mir damals von ihren Plänen erzählt, unsere Geschichte aufzuschreiben. Ich war einverstanden, weil ich nichts Falsches getan habe", erzählt er heute. Nur die Liebe auf den ersten Blick will er von seiner Seite nicht bestätigen. Er habe etwas Angst gehabt, als Corinne ihn gefunden habe. Er sei sich nicht sicher gewesen, was die weiße Frau von ihm wollte, ob sie ein gutes Zeichen war. "Es hat etwas Zeit gebraucht, dass wir uns kennenlernen", sagt Leparmorijo. Und erst als sie schwanger geworden war, sei er sich sicher gewesen, dass er sie als Frau haben wollte.

Kontakt zur Tochter

Dass er eine weiße Freundin – und schließlich Frau – hatte, hob ihn von den anderen Moran ab, sagt Leparmorijo. In der Samburu-Tradition werden Burschen mit ihrer Beschneidung zu solchen Kriegern, verlassen die Familien und leben eine Zeit gemeinsam mit den anderen Moran zusammen und verteidigen Dorf und Vieh. Dass Hofmann schlussendlich mit der Tochter das Land und somit ihn verlassen hat, nimmt ihr Leparmorijo– zumindest offiziell – nicht übel.

In stolzer Samburu-Manier gibt er an, dass er "nicht traurig" gewesen sei. Mit Napirai, die er erst wieder gesehen hatte, als sie volljährig war, habe er weiterhin Kontakt. "Wir whatsappen", sagt er. Vor sieben Jahren sei sie das letzte Mal hier gewesen und habe seine zweite und dritte Frau sowie ihre acht Halbgeschwister kennengelernt.

Seinen Lebensunterhalt bestreitet Leparmorijo noch immer mit der Viehhaltung. Ziegen und Kühe habe er zu Hause. Und er erhalte Anteile am Buch und am Film. Wie hoch der Betrag ist, will er nicht sagen: "Aber nicht viel, wenig", sagt der Massai, der keiner ist. (Bianca Blei aus Barsaloi und Lulu, 9.12.2022)