Nur 1,6 Prozent von 140.000 Usern, die sich ein Mastodon-Konto anlegten, drehten ihren Twitter-Account ab.

Foto: Reuters/Dado Ruvic

Das Jahr 2022 war turbulent für Twitter. Im Frühjahr meldete sich Tech-Zampano Elon Musk mit heftiger Kritik zu Wort und bekundete schließlich, das Social Network kaufen zu wollen. Dies mündete in einen 44 Milliarden Dollar schweren Kaufvertrag, dessen Summe Musk bald darauf runterverhandeln wollte und aus dem Deal auszusteigen versuchte. Letztlich erfüllte er die Vereinbarung kurz vor einem Gerichtstermin dann doch und ist nun seit einigen Wochen offiziell Chef.

Ruhe kehrte damit allerdings nicht ein. Es folgten Entlassungswellen, Entsperrungen zahlreicher gebannter Konten, darunter einige Rechtsextreme und auch Ex-US-Präsident Donald Trump. In Europa steht ein Arbeitskampf ins Haus. Und über interne Enthüllungen, #TwitterFiles, hofft Musk – bislang vergeblich – auf Unterfütterung eines Narrativs, dass Twitter bisher einseitig Meinungen unterdrückt habe.

#ByeByeTwitter – oder doch nicht?

Bei einigen Twitter-Usern kamen der anstehende und nunmehr vollzogene Führungswechsel wie auch Musks bisheriges Wirken nicht gut an. Sie kokettierten öffentlich mit einem Abschied von Twitter bzw. Wechsel zu einer anderen Plattform. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder Mastodon genannt, ein quelloffen entwickeltes, dezentralisiertes Netzwerk, das wie Twitter ebenfalls auf Kurznachrichten ausgerichtet ist. Auch DER STANDARD ist dort mittlerweile aktiv.

Gareth Tyson von der Hong Kong University of Science and Technology sowie Bin Zia und Ignacio Castro von der Queen Mary University of London haben die Nutzerbewegungen untersucht. Und wie es aussieht, hat nur ein Bruchteil sein Twitter-Konto zugunsten von Mastodon komplett stillgelegt, berichtet "New Scientist".

Um das herauszufinden, sammelte man rund 1,9 Millionen Tweets, in denen Nutzer einschlägige Hashtags wie #RIPTwitter oder #ByeByeTwitter postulierten. Anschließend untersuchte man die Profile der Verfasser darauf, ob sie einen Mastodon-Account erwähnten, der ihrem Twitter-Usernamen entspricht.

Demnach hatten sich etwa 140.000 User tatsächlich unter gleicher Bezeichnung bei Mastodon angemeldet und sich mit diesen über circa 3.000 Instanzen verteilt. Im Gegensatz zu Twitter läuft Mastodon nicht über einen zentralen Server, sondern über einzelne Instanzen, die in der Regel untereinander verbunden sind.

Musk sorgte für Zustrom zu Mastodon

In dieser Entwicklung gab es am 28. Oktober, dem Tag nachdem Musk Twitter übernommen hatte, einen kleinen Ausschlag nach oben. 30.000 Twitter-User veröffentlichten da einen Verweis auf ihr Mastodon-Konto. Ein deutlich größerer Ausschlag in Höhe von 120.000 Konto-Erwähnungen folgte am 18. November, als bekannt wurde, dass Musk seinen Entwicklern ein Ultimatum gestellt hatte, entweder künftig "hardcore" zu arbeiten oder das Unternehmen zu verlassen.

Gerade in den ersten Tagen nach dem Führungswechsel bei Twitter war eine Bewegung hin zu Mastodon insofern zu spüren, als die Server mancher größerer Mastodon-Instanzen durch den Zustrom auf einmal mit Performance- und Verbindungsproblemen zu kämpfen hatten.

Nur wenige wechselten vollständig

Von den 140.000 Nutzern, die auf ihren Mastodon-Account verlinkt hatten, haben allerdings nur 1,6 Prozent Twitter komplett Lebewohl gesagt und ihr Konto dort stillgelegt oder gelöscht. Die Forscher haben Thesen aufgestellt, warum diese Quote so niedrig ist. Tyson vermutet, dass ein großer Teil der Nutzer erst darauf wartet, dass viele ihrer Follows oder Follower umsteigen, ehe sie selbst nachziehen. Castro ergänzt, dass wohl auch Angst, den Twitter-Usernamen an einen Identitätsdieb zu verlieren, eine Rolle spielt.

Unklar ist, wie viele neue Mastodon-Nutzer ihr Konto nachhaltig aktiv betreiben oder es nach etwas Herumprobieren wieder sein lassen. Die Wissenschafter sammeln aktuell Daten, um im nächsten Schritt genau das herauszufinden.

Musks radikale Einschnitte bei Twitter sorgten kurzfristig für technische Probleme, aber keine generelle Destabilisierung des Dienstes. Die Anzahl der auf Twitter geposteten Nachrichten blieb seit der Übernahme relativ stabil. (gpi, 6.12.2022)