Das Tal der Gefallenen nahe Madrid auf einem Archivfoto aus dem Jahr 2019, als der Leichnam von Diktator Franco exhumiert und auf einen Friedhof umgebettet wurde.

Foto: AP Photo/Manu Fernandez

Zwölf lange Jahre hat Miguel Angel Capapé auf diesen Moment hingearbeitet. Der Mann aus einem Dorf unweit der spanischen Stadt Zaragoza ist der Sprecher einer Gruppe von dutzenden Familien, die die sterblichen Überreste ihrer im Spanischen Bürgerkrieg von den Faschisten ermordeten Angehörigen zurückhaben wollen. Sie ruhen – so veranlasste es Diktator Francisco Franco – in der Felsenkathedrale im "Tal der Gefallenen" in den Bergen außerhalb von Madrid. Am Montag stieg eine Gruppe von Wissenschaftern in die Galerien mit über 33.847 Kisten voller sterblicher Überreste beider Konfliktparteien und begann mit den Vorbereitungen für die Bergung. Unter den Fachleuten befand sich auch ein Forensiker, der in Chile die sterblichen Überreste namhafter Opfer der Diktatur wie des Liedermachers Victor Jara, des Poeten Pablo Neruda und von Präsident Salvador Allende untersuchte.

"Wir wollen die Unsrigen endlich auf einem Friedhof beisetzen", sagt Capapé am Telefon. Die "Unsrigen", das sind der Vater und Onkel seines Schwiegervaters, Manuel und Antonio Lapeña. Die beiden waren Gewerkschafter und wurden 1936 von den aufständischen Faschisten erschossen und verscharrt. Als Diktator Franco in den 1950er-Jahren die Kathedrale und die Stollen von Zwangsarbeitern der unterlegenen Republikanern in die Berge außerhalb Madrids treiben ließ, um dort selbst einmal beigesetzt zu werden, wurden von überall im Land Tote beider Konfliktparteien, der faschistischen Putschisten und der Verteidiger der Demokratie, herbeigebracht, um die Galerien zu füllen. Aussöhnung sollte dies darstellen. Die Familien der unterlegenen Demokraten und Linken wurden allerdings nie gefragt.

Stimmen gegen Exhumierung

"Wir bekamen 2016 vor Gericht recht und haben damit den Anspruch auf Herausgabe der sterblichen Überreste", sagt Capapé. Doch so einfach, wie es sich anhört, ist es nicht. Denn den Familien der Verteidiger der Republik stellen sich die Angehörigen der im Tal der Gefallenen bestatteten Putschisten und Faschisten entgegen. 260 Familien gründeten eine "Vereinigung zum Schutz des Tals der Gefallenen" und legten Widerspruch gegen die Exhumierung ein. Sie würde die Totenruhe der Ihrigen – der Sieger von einst – stören. Die konservative Gemeinde El Escorial, auf deren Gemarkung die Felsenkathedrale liegt, stellte sich ebenfalls gegen die Exhumierung. Es fehle an einer Baugenehmigung, um die Krypta und ihre Galerien zu öffnen.

Dass die Archäologen und Forensiker jetzt dennoch zur Tat schreiten, liegt an der in Spanien regierenden Linkskoalition unter dem Sozialisten Pedro Sánchez. Sie hat ein "Gesetz zum Demokratischen Erinnern" erlassen. Darin ist unter anderem vorgesehen, das "Tal der Gefallenen", das jetzt wieder wie sein geografischer Name "Cuelgamuros" heißt, vom faschistischen Kultort zur Gedenkstätte für die Gräuel des Bürgerkrieges und der Diktatur zu wandeln.

Einstweilige Verfügung befürchtet

Um dies zu erreichen, wurde bereits vor drei Jahren der Leichnam von Diktator Franco exhumiert und auf einen Friedhof umgebettet. Der noch immer in der Kathedrale beerdigte Gründer der faschistischen Partei Falange José Antonio Primo de Rivera soll bald folgen. Und das Wichtigste: Die Familien der über 33.000 Beigesetzten bekommen das Recht auf die Überreste der Ihrigen.

Doch Freude will sich bei Capapé trotz Beginn der Exhumierung nicht so richtig einstellen. "Wer weiß, ob sie dieses Mal tatsächlich unsere Angehörigen bergen", sagt er. Capapé befürchtet, dass die andere Seite abermals versuchen wird, eine einstweilige Verfügung gegen die Exhumierung zu erwirken. "Diejenigen, die im Bürgerkrieg gewonnen haben, wollen weiterhin gewinnen", sagt er. Dann wird er ganz nachdenklich. "Mein Schwiegervater erlebt dies alles nicht mehr. Er verstarb letztes Jahr im Alter von 97, ohne seinen Vater und Onkel ordentlich beisetzen zu können." (Reiner Wandler aus Madrid, 5.12.2022)