Der Heilige Gral der Krebsdiagnostik: Tumore bereits im Blut oder im Urin zu erkennen, ehe sie noch Symptome zeigen.

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Das Um und Auf bei den meisten Krebserkrankungen besteht darin, sie möglichst früh zu erkennen. Denn das erhöht in vielen Fällen die Therapiechancen enorm. Entsprechend groß sind die Anstrengungen, Tests zu entwickeln, die etwa Teile von Tumorzellen (konkret: DNA-Schnipsel des Tumors, Circulating Free DNA) bereits im Blut statt Tumore im Gewebe aufspüren. Denn mithilfe eines solchen Tests wäre es möglich, noch vor Auftreten der Symptome eine Krebserkrankung zu detektieren.

Einen ähnlichen Weg hat ein schwedisches Forscherteam um Francesco Gatto (Karolinska Institut) eingeschlagen, das über seine bisherigen Erfolge am Montag in der Fachzeitschrift "PNAS" berichtete. Dieser Krebstest beruht freilich nicht auf dem Aufspüren der DNA-Schnipsel, sondern auf der Analyse sogenannter Glykosaminoglykane (GAGs). Das sind Zuckerverbindungen, deren Struktur sich durch Tumore verändert, was in Blut und Urin nachgewiesen werden kann. An der Untersuchung nahmen 1.260 Gesunde sowie an Krebs Erkrankte teil.

Trefferquote über 60 Prozent

Die Forschenden legten die "Spezifität" des Tests auf 95 Prozent fest, was bedeutet, dass höchstens fünf Prozent der gesunden Menschen falsch positive Testergebnisse erhalten. Bei einer solchen Spezifität ergab sich für die Blutproben eine "Sensitivität" von 41,6 Prozent für Krebs im Stadium 1 (95-Prozent-Konfidenzintervall: 34,2 bis 49,2 Prozent). Mit anderen Worten: 41,6 Prozent aller Personen, die auch tatsächlich Krebs hatten, wurden als solche erkannt, fast 60 Prozent allerdings nicht. Doch nach einer zusätzlichen Urinprobe stieg die Sensitivität auf 62,3 Prozent (47,9 bis 75,2 Prozent). Gut sechs von zehn Krebskranke wurden also nach einem Urintest korrekt erkannt. Ihre Ergebnisse glichen die Forschenden später mit Proben aus einer niederländischen Blutbank sowie in einem Mausmodell ab.

Der Test, für dessen Weiterentwicklung die Firma Elypta gegründet wurde, ist eine sogenannte Flüssigbiopsie, bei der im Unterschied zur herkömmlichen Biopsie nicht Gewebeproben entnommen und analysiert, sondern Körperflüssigkeiten wie Blut und Urin auf bestimmte Biomarker untersucht werden. Derlei Tests sind sehr einfach durchzuführen und kommen deshalb auch für Krebsarten infrage, bei denen eine Nadelbiopsie riskant ist, etwa bei Lungen- oder Hirntumoren. Gewebetests sind in ihrer Aussagekraft allerdings deutlich überlegen, weshalb Flüssigbiopsien meist nur ergänzend empfohlen werden.

Einfach und kostengrünstig

Die Studienautoren heben aber hervor, dass bei der Untersuchung von GAGs bereits wenige Merkmale aussagekräftige Informationen über den räumlichen und zeitlichen Status von Krebs in einem frühen Stadium liefern könnten. Aus praktischer Sicht könne dies einen einfachen, kostengünstigen Test bieten, der sich gut für den Einsatz in Massenuntersuchungen eigne. (Die Studienautoren gehen von rund 50 Euro pro Test aus.) Zudem wiesen die meisten der mit dem Test entdeckten Krebsarten eine schlechte Prognose für die Patienten auf. Dies könne die klinische Bedeutung des Tests erhöhen, heißt es in der Studie.

Fachleute, die nicht an der Studie beteiligt waren, würdigen in einer ersten Einschätzung die Größe der Kohorte. "Zunächst erfolgte die Untersuchung an rund 1.200 Probanden", sagt Almut Schulze vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg: "Anschließend untersuchte man aber Blutproben, die aus einer Gruppe von 150.000 Menschen ausgesucht wurden." Schulze weist jedoch auch auf ein Problem hin, die sogenannten Cofounding-Factors. Bestimmte Erkrankungen dürften die Aussagekraft des Tests verfälschen, weil sich durch derlei Erkrankungen auch die GAGs verändern und dann womöglich zu einem falsch positiven Test führen.

Immer noch viele falsch Positive

Ähnliche Probleme sieht auch Edgar Dahl, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Onkologie an der Uniklinik der RWTH Aachen: Er hält die Analyse von Glykosaminoglykanen bei der Krebsfrüherkennung grundsätzlich für interessant. "Aber dieser neue Test ist damit natürlich noch weit von einer regelhaften Anwendung entfernt." Bevor es dazu kommt, sei eine umfangreiche Validierung nötig. Der Grund: Auch wenn die Spezifität von 95 Prozent zwar erstmal gut klinge, würde das aber für einen diagnostischen Screening-Test heißen, dass jeder 20. Patient falsch positiv bewertet würde. "Bei einer Million Getesteten wären dies 50.000 Personen." (red, tasch, 5.12.2022)