Suchte man nach einem Ort, an dem sich all die Brüche und Paradoxien österreichischer Geschichte festmachen ließen, wäre das neben dem Heldenplatz vor allem einer: das Schloss Belvedere. Und das beginnt vielleicht schon damit, dass man sich nicht einmal darüber einig sein kann, ob die schmucke Anlage am Wiener Rennweg nun italienisch oder französisch ausgesprochen wird. Ersteres gilt als sprachhistorisch korrekt, Letzteres als mentalitätsgeschichtlich verbrieft, denn den pseudofranzösischen Namen gab der Prunkanlage erst die Wiener Bevölkerung.

Johann August Corvinus (Stecher) nach Salomon Kleiner (Zeichner), Prospekt des Gartens des Prinzen Eugen ("Vogelschauplan"), 1731.
Foto: Bibliothek des Belvedere

Zu Lebzeiten des Erbauers, Prinz Eugen von Savoyen, existierte der Name noch gar nicht. Dass auch Eugen, der Franzose in Habsburgs Diensten, mit Betonung auf der letzten Silbe "französisch" ausgesprochen, aber deutsch geschrieben wird, muss man beispielsweise einem Hamburger auch erst einmal schlüssig erklären. Wir sehen also: Es gibt selbst 300 Jahre nach Erbauung des Belvedere Gesprächsstoff.

Erstes offenes Museum

Das heutige Bundesmuseum feiert 2023 also Jubiläum. Als Entrée serviert man im Unteren Belvedere bereits jetzt eine Ausstellung zur Geschichte des Hauses, die als Ankerpunkt zu allen weiteren Festlichkeiten bis 2024 zu bestaunen ist.

Mit Prinz Eugen, der das 1723 fertiggestellte Schloss in zehnjähriger Bauzeit vom Barockarchitekten Lucas von Hildebrandt außerhalb der Stadtmauern als Sommerresidenz nach Versailler Vorbild errichten ließ, hält sich die Ausstellung nicht lange auf: Im Fokus steht das Belvedere als Ort der Kunst, und diese Geschichte allein ist verwickelt genug.

Feld- und Bauherr Prinz Eugen von Savoyen in Herrscherpose auf einem Gemälde von Johann Gottfried Auerbach (1725) ...
Johannes Stoll, Belvedere Wien

Prinz Eugen, nicht nur Heerführer, sondern auch kunstfördernder Schöngeist, starb 1736. Seine Nichte verkaufte zwar seine Kunstsammlung nach Turin, doch Ersatz war bald gefunden. Kaiserin Maria Theresia erwarb das Schlossensemble und fasste gemeinsam mit ihrem Sohn und Nachregenten Joseph II. einen Entschluss: Man überführte die habsburgische Gemäldesammlung, für die in der Stallburg, wo heute die Lipizzaner springen, der Platz zu eng wurde, ins Belvedere und machte sie 1777 bei freiem Eintritt erstmals öffentlich zugänglich.

Der revolutionäre Akt im Geiste des aufgeklärten Absolutismus sollte der Volksbildung förderlich sein, freilich aber auch Habsburgs Glorie nach den Gesetzen damaliger Bildpolitik in den Köpfen verankern.

... und als Karikatur zu Pferde von Oswald Oberhuber aus dem Jahr 2009.
Johannes Stoll, Belvedere Wien

Als 1889 das Kunsthistorische Museum eröffnet wurde, wanderte die Gemäldesammlung dorthin, das Belvedere diente als Residenz für Thronfolger Franz Ferdinand. Um 1900 regten die Künstler der Secession die Gründung einer "Modernen Galerie" für Gegenwartskunst an. Weil aus Entwürfen Otto Wagners für ein eigenständiges Museum nichts wurde, diente das Untere Belvedere als Provisorium: Es sollte der Grundstein dafür werden, weswegen heute Millionen ins Belvedere pilgern – Gustav Klimts Kuss (1908) beispielsweise hing damals aber noch ohne Panzerglas recht unauffällig herum.

Nach 1918 versuchte das konservative Österreich die Identitätskrise unter anderem am Belvedere zu kurieren. Eine Barockausstellung zum "typisch österreichischen Stil" wurde eingerichtet, Prinz Eugen huldigte man als edlem Ritter und "Türkenbezwinger". Die Nazis schlossen 1938 im Rassenwahn die Moderne Galerie und machten das Belvedere zum Umschlagplatz ihrer Einverleibung jüdischen Kunstbesitzes. Dass das Belvedere später zum Dauerkandidaten für NS-Kunstrückgabefälle werden sollte, ist also kein Zufall.

Doppelt hält besser

Im Zweiten Weltkrieg schwer zerbombt, musste das Belvedere im Wiederaufbau noch einmal Identitätsstiftung leisten: Zum Barock gesellte man nun eine Mittelaltersammlung, 1955 wurde im Oberen Belvedere der Staatsvertrag unterzeichnet und anschließend am Balkon der Bevölkerung vorgezeigt.

Typisch österreichisch: Das Gemälde der Vertragsunterzeichnung gibt es in zweifacher Ausführung. Der beauftragte Maler Sergius Pauser scherte sich wenig um die Kenntlichmachung der beteiligten Staatsmänner, böse gesagt: der eitlen Politgockel, und malte in groben Strichen impressionistisch. Bundeskanzler Julius Raab lehnte entsetzt ab und gab ein realistischeres Werk bei Robert Fuchs in Auftrag.

Das offizielle Gemälde der Staatsvertragsunterzeichnung im Oberen Belvedere von Sergius Pauser. Die Politelite stieß sich an der Unkenntlichkeit der Gesichter und ließ ein zweites Werk im realistischen Stil anfertigen.
Johannes Stoll, Belvedere Wien

In der Ausstellung ist zwar Pausers Gemälde ausgestellt, die Anekdote dazu spart man aber leider aus. Viel Mühe geben sich die sieben Kuratierenden jedoch, die für das Belvedere bis heute sinnstiftende Klammer zwischen Tradition und Gegenwart darzustellen: Einem herrschaftlichen Porträt des Prinzen Eugen von 1725 steht Oswald Oberhubers Karikatur desselben von 2009 gegenüber. Werke von Waldmüller, Klimt und Schiele bis Valie Export und Maja Vukoje sorgen dafür, dass es neben allen Fakten auch sinnlich bleibt. (Stefan Weiss, 6.12.2022)