Eine möglichst intakte Natur ist essenziell für die Menschheit. Sie liefert etwa sauberes Wasser und Lebensmittel, reinigt Luft und schützt vor Naturgefahren.

Es gibt nur eine kurze Verschnaufpause für die umweltpolitischen Verhandlerinnen und Verhandler der Staaten. Weniger als drei Wochen nach dem Ende der Weltklimakonferenz in Sharm el-Sheikh beginnt am Mittwoch in Montreal die nächste Conference of the Parties, kurz COP. Dieses Mal wird nicht über das Weltklima, sondern über den Erhalt der Biodiversität, der Artenvielfalt, verhandelt.

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DER STANDARD

Derzeit verschwinden die Arten in atemberaubendem Tempo. Der internationale Expertenrat IPBES schätzt, dass in den nächsten Jahrzehnten rund eine Million Arten dem Massensterben zum Opfer fallen könnten. Eine intakte Natur tut dabei mehr für die Menschen, als nur schön auszusehen: Rund die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts ist auf die sogenannten Ökosystemleistungen angewiesen – so nennen Ökonomen nüchtern die Dienste, die uns die Natur kostenlos zur Verfügung stellt, von sauberem Wasser über Bestäubung von Pflanzen bis hin zum Schutz vor Umweltkatastrophen.

Ein "Pariser Abkommen" für den Artenschutz

Es geht also um viel in Montreal. Bisher liefen die Konferenzen der UN-Biodiversitätskonvention, ganz im Gegensatz zu den Klimakonferenzen, unter dem Radar der Öffentlichkeit – und auch der Politik. Während bei den Klimagipfeln traditionell Staats- und Regierungschefs große Reden schwingen, halten sich diese beim Weltnaturgipfel fern. Von den wichtigsten Staatenlenkern hat sich bisher nur der kanadische Premier Justin Trudeau angekündigt. Kanada hatte sich bereiterklärt, den Gipfel auszurichten, nachdem das Gastgeberland China die Konferenz aufgrund seiner Zero-Covid-Politik mehrmals verschoben hatte.

Ziel der zweiwöchigen Verhandlungen ist ein neuer globaler Vertrag zum Schutz der Natur, vergleichbar mit dem Pariser Klimaschutzabkommen. Das wäre ein Durchbruch, doch bis zum fertigen Text ist es noch ein weiter Weg: Der Entwurf hat derzeit noch rund 900 eckige Klammern, also Meinungsverschiedenheiten, in denen sich die Verhandelnden noch einig werden müssen. Wie bei den Klimakonferenzen gilt: Erst bei Einstimmigkeit der knapp 200 Staaten kann der Hammer fallen.

30 Prozent der Landflächen und 30 Prozent der Meere sollen unter Schutz gestellt werden.
Foto: APA/AFP/DANIEL BELOUMOU OLOMO

30 Prozent der Erde unter Schutz

Im Zentrum steht das Vorhaben, 30 Prozent der Landoberfläche und der Meere bis 2030 unter Schutz zu stellen. Bereits 2010 haben sich die Staaten mit den Aichi-Zielen zum Naturschutz verpflichtet, die allerdings allesamt verfehlt wurden. Immerhin wurde das Vorhaben, bis 2020 17 Prozent der Landfläche und zehn Prozent der Küsten- und Meeresregionen zu schützen, nur knapp verfehlt. Laut dem UN-Umweltprogramm (Unep) sind derzeit rund 16 Prozent der Landfläche und acht Prozent der Meere geschützt.

Wobei Schutzgebiet ein dehnbarer Begriff ist. Er umfasst alles von sogenannten "paper parks", die nur gesetzlich existieren, über touristisch genutzte Nationalparks bis hin zu strengen Schutzzonen mit Betretungsverbot. Gerade Letztere sehen Fachleute und Umweltorganisationen auch kritisch – nämlich wenn sie nicht im Einvernehmen mit der örtlichen Bevölkerung umgesetzt werden.

Indigene Bevölkerung mitdenken

"Eine einfache Festlegung der 30 Prozent, ohne die Rechte der indigenen und lokalen Bevölkerungen mitzudenken, wird das Ziel, die Artenvielfalt zu schützen, weit verfehlen", sagt etwa Ursula Bittner, Artenschutzexpertin bei Greenpeace Österreich. So einen "Festungsnaturschutz" lehne man ab.

Kritisch sieht Bittner auch Offsets als mögliche Finanzierungsquelle zum Schutz der Artenvielfalt, die in Montreal im Gespräch sind. Damit könnten Unternehmen ihre verursachte Umweltzerstörung durch Zahlungen ausgleichen. "Das ist ein moderner Ablasshandel zulasten unserer Umwelt und der Menschen im globalen Süden", sagt Bittner.

Nicht nur Unternehmen, sondern auch Industrieländer sollen den Naturschutz im globalen Süden, der besonders artenreich ist, finanzieren. Die wirtschaftlich starken Länder des Globalen Nordens treffe eine historische Verantwortung für ihre Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, lautet die Argumentation der Entwicklungsländer.

Immerhin acht Prozent der Meeresoberfläche sind derzeit geschützt.
Foto: AP/Jumbo Aerial Photography

Alte Konfliktlinien

Besonders Brasilien pocht etwa auf einen globalen, mit 100 Milliarden US-Dollar jährlich dotierten "Biodiversitätsfonds", der Entwicklungsländer mit Geld für den Ausbau und die Kontrolle von Schutzgebieten versorgen soll. Solch ein Fonds wird aber von Ländern wie der Schweiz, Norwegen oder dem Vereinigten Königreich abgelehnt. Derzeit gibt es erst Zusagen von rund sieben Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Auch ein Fonds für Loss and Damage, also unwiederbringliche Schäden durch das Artensterben, steht im Raum. Ein Klimaschäden-Fonds hatte bereits die Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh dominiert.

Reform der Agrarförderungen

Eine andere Bruchlinie des Klimagipfels zieht sich auf der Biodiversitätskonferenz fort: staatliche Subventionen für umweltschädliche Praktiken. Das Unep beziffert diese weltweit auf rund 500 bis 1000 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Dazu zählen etwa Förderungen für Fischerei, Landwirtschaft oder auch fossile Brennstoffe, welche das Artensterben beschleunigen.

So wird etwa ein Großteil der EU-Agrarförderung weiterhin nach Fläche verteilt. "Das fördert intensive Landwirtschaft, was wiederum dramatische Folgen für die Artenvielfalt hat", sagt Florian Zerzawy vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in Berlin.

Streit um Dünger und Pestizide

Die Nahrungsmittelproduktion ist laut einem aktuellen UN-Bericht als die größte Ursache für den Verlust der biologischen Vielfalt an Land – und sie ist ein besonders großer Streitpunkt bei den Verhandlungen in Montreal. Norwegen, Mexiko oder Bolivien, wollen etwa einen Ausstieg aus dem Kunstdünger im Abkommen sehen, was Staaten wie China und Japan ablehnen. Die EU wiederum pocht auf fixe Reduktionsziele für chemische Pestizide, was Indien, Neuseeland oder die Türkei verweigern.

Die Verhandlungen dürften also zäh werden. Gabriele Obermayr vom Klimaschutzministerium, die in Montreal für Österreich und teilweise auch für die EU verhandelt, geht trotzdem mit "positiver Stimmung" in die Konferenz, wie sie im aktuellen Podcast Edition Zukunft erzählt. "Ich erwarte mir, dass wir mit einem globalen Abkommen im Rucksack nach Hause kommen." (Philip Pramer, 5.12.2022)