Den Berliner Rapstar Sido hat es während der letzten Jahre arg mitgenommen. Jetzt versucht er sich neu zusammenzubauen.

Foto: Universal/Vitali Gelwich

Es dürfte sich schon herumgesprochen haben: Der Berliner Rapper Sido ist während der Pandemie schwer abgestürzt. Er hat sich freiwillig in die Psychiatrie begeben, um Entzug und Therapie zu machen. Schluss mit Koks, nur noch Kiffen. Ende gut, alles gut? Immerhin heult er mit dieser Geschichte gerade recht eindrucksvoll die deutschen Medien voll.

Die Story vom verlorenen und wiedergefundenen Sohn ist schon ein paar tausend Jahre lang Gold wert. Sido hat mit seinen 42 Lebensjahren ein ganzes Album darüber geschrieben. Entsprechend seinem bürgerlichen Namen Paul Würdig trägt es den schlichten Titel Paul. Vergeben sei dem neuen Paulus des Deutschrap damit seine Vorgeschichte als böser Saulus.

Normalerweise wird im deutschen Gangsterrap ja darüber gereimt, wie schlecht es um das soziale Umfeld bestellt ist, was man dagegen tun kann, wer eins in die Fresse kriegt, wie man sich selbst danach runterbringt – und dass die Welt in den Arsch gehen soll. Um die desolate Familie zu ernähren, bietet sich, neben dem Rappen für die Leute mit der größten Klappe, für die stilleren Problembären zum Beispiel eine Ausbildung zum Drogenhändler, Geldeintreiber oder irgendein anderes sinnvolles Handwerk als Streetworker an.

Der Junge von der Straße

Sie werden für Einrichtungen tätig, die jungen Burschen aus kaputten Verhältnissen und ohne Perspektive zur zweiten Familie werden. Bei Fehlverhalten oder Versagen legt die neue Verwandtschaft allerdings eine wesentlich niedrigere Toleranzschwelle als die beste Mama von allen an den Tag, wenn der Bub gerade wieder Mist gebaut hat.

2004 wäre das Bekenntnisalbum Paul über die wunderbaren Jahre als Tunichtgut, und warum das High in die Depression führte, für den kommerziellen Durchbruch nicht gut gewesen. Parallel zu einem Mann namens Bushido, der eben erst aus Angst vor seiner Ersatzfamilie mit Frau und Kindern nach Dubai geflüchtet ist, war Sido mit seinem Label Aggro Berlin in den Nullerjahren entscheidend an der kommerziellen Durchsetzung des deutschen Gangsterrap beteiligt. Damals trug Sido eine versilberte Totenkopfmaske vor dem Gesicht und reimte Großtaten wie den dokumentarischen Track Mein Block. Dazu stellte er auf seinem das ganze Genre frühzeitig durchdeklinierenden Debüt Maske Stücke wie den Arschficksong oder Sido und die Drogen neben das zu Herzen gehende Lied Mama ist stolz.

Sido

Der süße Fratz veröffentlicht seither traditionell vergoldete Alben. Er sorgte 2011 als Juror bei der ORF-Show Die große Chance für lustige Unterhaltung, weil er Streit mit dem Adabei von der Kronen Zeitung bekam. Schließlich tauchte er auch noch Dominic Heinzl eine an. Wie beim Wrestling ist oft das Drumherum interessanter als die eigentliche Bühnenkunst. Auch sonst werden seine Wiener Tage bei allen Leuten, die hier mit ihm zu tun hatten, für immer unvergesslich bleiben.

In den letzten Jahren veröffentlichte Sido für sein treues Publikum regelmäßig musikalische Milieustudien wie Junge von der Straße. Er heiratete, bekam Kinder. Inzwischen ist die Ehe geschieden. Zuletzt vor dem großen Zusammenbruch fiel Sido durch antisemitische Anspielungen und sein Geheimwissen bezüglich kinderfressender Echsenwesen auf. Irgendwann kippte das Ganze. Kokain, eine Droge, die man nicht nehmen sollte, um damit Sympathiewerte zu gewinnen, und dazu flaschenweise Schnaps haben schon viele abstürzen lassen. Sido 2022: "Ich hab’ so vieles schon probiert / Übertrieben konsumiert / Ich hab’ das niemals kontrolliert / Nur die Gefühle konserviert / Sieh dir den Scherbenhaufen an / Doch wie jedes Mal sterb’ ich nicht daran."

Sido

Medizin ist so ein Stück vom neuen Sido. Zu weichgespülten House-Sounds erzählt Sido das alte Lied vom Durchhalten. Die altbekannten Texte werden jetzt allerdings nicht mehr zur Veranschaulichung der eigenen Straßenhärte eingesetzt. Sido rückt seine Verletzlichkeit als neues Persönlichkeits-Tool in den Vordergrund. Andere Titel wie die soft-soulige Psychiatrieballade Sterne wühlen ebenfalls tief im Selbstbezichtigungsgenre. Versager arbeitet sich, eine weitere Konstante in Sidos Schaffen, am abwesenden Vater ab: "Nenn mich nicht Versager, so nennt mich nur mein Vater."

Der Rest der Stücke basiert auf konsenshiphoppiger Allerweltsmusik. Ein mutiger Schritt. Eigentlich setzt man im Genre auf Drohgebärde statt auf Jammern. Aber der Mann fängt sich schon wieder, ist versprochen. (Christian Schachinger, 6.12.2022)