Seit 23. Oktober steigt, wegen der Niederschläge im Herbst, der Pegel des Neusiedler Sees wieder. Mit 114,87 müA – der Pegel des Sees wird in Metern über der Adria gemessen – verzeichnete das Wasserportal Burgenland im Oktober den niedrigsten Wasserstand seit 1965. Doch die aktuellen 114,92 müA sind kein Grund zur Gelassenheit. Zum Mittelwert der vergangenen 57 Jahre fehlt immer noch mehr als ein halber Meter.

Reporter Guido Gluschitsch hat sich im Juli 2022 in Rust und Purbach umgeschaut. Bei seinem Besuch im Burgenland entstand diese Video-Reportage: "Neusiedler See: Retten oder austrocknen lassen?"
DER STANDARD

Im Herbst begannen die Arbeiten des Landes Burgenland zur Erhaltung des Sees im großen Stil anzulaufen. So sollen bis Ende Februar alle Hafenausfahrten so ausgebaggert werden, dass die Schifffahrt wieder funktionieren kann. Die ersten Arbeiten wurden bereits abgeschlossen – und so konnte etwa in Mörbisch das Feuerwehr-Boot doch noch vor dem Winter ins Bootshaus gebracht werden. Seit Sommer lag es wegen des niedrigen Wasserstandes im öffentlichen Hafen, um überhaupt einsatzbereit zu sein. Doch noch handelt es sich bei den Baggerarbeiten um Pilotprojekte, wie Christian Sailer, Leiter der Taskforce Neusiedler See erklärt – und diese würden erfolgreich verlaufen.

Schlammschläuche

Die Purbacher Bucht, in der in der Hafenausfahrt bereits ausgebaggert wurde, in der Bucht ansich aber nicht.
Foto: Guido Gluschitsch

Nun wird getestet, welche Geräte die Anforderungen am besten erfüllen und nachfolgend für das weitere Seemanagement angeschafft werden. Infolgedessen liegen vor der Purbacher Bucht und im Hafen von Mörbisch riesige Plastikschläuche. Die beinhalten den abgesaugten Schlamm dieser Hafenausfahrten und ein seetaugliches Flockungsmittel, wie Christian Seiler versichert. Der Schlamm setzt sich in diesen Schläuchen ab, das Wasser kann durch Poren austreten und zurück in den See fließen.

Riesige Platikschläuche liegen in Mörbisch und auch in Purbach. In diesen kann sich der Schlamm absetzen, das Wasser aus Poren abfließen.
Foto: Guido Gluschitsch

Für die Verwendung des Schlammes gibt es mehrere Ideen. In der Vergangenheit wurde kommuniziert, dass man überlege, den nährstoffreichen Schlamm auf Feldern auszubringen, so die Zusammensetzung das erlaubt. Eine neue Variante, die sich mit der Methode der Schlammabsetzung nicht in Becken, sondern in den Schläuchen aufgetan hat, sei, diese Schläuche als Bauelement zu verwenden, erklärt Christian Sailer, etwa zur Dammbefestigung.

Schilfmanagement

Ein weiteres Projekt zur Rettung des Sees dreht sich um das Schilfmanagement, um das Problem zu lösen, dass der Schilfgürtel immer weiter wächst. Das bringt zwei Probleme mit sich: Zum einen meinen Experten, dass das Schilf sehr viel Wasser verdunstet. Gleichzeitig stirbt hinter dem jungen Schilf der alte Bestand ab, und dort entstehen klare Seen.

Rund drei Kilometer ist der Schilfgürtel in Purbach lang.
Foto: Guido Gluschitsch

"Das großflächige Management ist noch nicht angelaufen", erklärt Christian Sailer, bis jetzt habe man nur mit kleinem Gerät entlang der Kanäle gearbeitet. Diese Arbeiten sind im Nationalpark heikel, und noch sei man in Gesprächen mit dem Umweltschutz und prüfe Rechtliches.

Keine Lösung bei der Zuleitung

Noch keine Einigung scheint es bei der Zuleitung von Wasser in den See zu geben. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) erklärte vor einigen Wochen, dass er hierfür eine Lösung bis zum Jahresende finden wolle, weil die Zeit dränge. Das wird sich so schnell nicht ausgehen. Am Montag war Doskozil abermals zu Gesprächen in Ungarn und erklärte danach, dass man an einem gemeinsamen Strang ziehen müsse. "Parallel prüfen wir, wie bereits kommuniziert, aber auch andere Varianten weiter – eine innerösterreichische Lösung und auch ein mögliches gemeinsames Projekt mit der Slowakei. Es ist durchaus möglich, dass wir auch eine Kombination der vorliegenden Optionen umsetzen, um den erhofften Effekt für die Wasserstandsicherung zu erzielen. Das Land ist mit Nachdruck dahinter, den Naturraum Neusiedler See – Seewinkel abzusichern – nicht zuletzt im Hinblick auf seine wirtschaftliche und touristische Bedeutung."

Gegner einer Zuleitung fürchten, dass dies das Ende des Sees in seinem jetzigen Zustand bedeuten würde und er zu einer Badewanne verkommen würde. Dabei habe der Neusiedler See mit seiner ursprünglichen Form ohnedies nur mehr sehr wenig gemeinsam, erklärt Erich Draganits.

Erich Draganits ist Geologe und er beschäftigte sich schon in der Vergangenheit intensiv mit dem Neusiedler See. Teile seiner Arbeit sind im Buch "Landscapes and Landforms of Austria" (Springer Verlag) nachzulesen.
Foto: Erich Draganits

Der gebürtige Burgenländer ist Geologe an der Universität Wien und beschäftigte sich intensiv mit dem See. "Das Alter des Sees wird in der Literatur gerne mit 14.000 bis 15.000 Jahren angegeben", erklärt er. Muschelfunde aus Jois, die er mit der Radiokarbonmethode datieren konnte, würden aber nahelegen, dass der See noch einige Tausend Jahre älter sein dürfte.

Zufluss aus dem Süden

Erich Draganits hält die Theorie, nach welcher der See durch eine tektonische Absenkung entstanden sei, für am plausibelsten. "Über die ursprüngliche Hydrologie des Sees kann man nur Mutmaßungen anstellen", sagt er, nimmt aber an, dass eine Form der Wulka existierte, die in das Becken floss, so wie heute auch. Allerdings wurde der See episodisch auch von Süden gespeist. "Bei Hochwasser lieferten die Ikva, Raab und die Rabnitz Wasser in den See." Episodische Süßwasserzuflüsse gehörten demnach zur Geschichte des Neusiedler Sees. Ein Grund, warum Erich Draganits auch bezweifelt, dass der See bereits an die hundert Male ausgetrocknet sei.

Eine Fähre in Mörbisch.
Foto: Guido Gluschitsch

"Auch der abflusslose See, wie er heute beschrieben und medial transportiert wird, ist ein Resultat eines künstlichen Seedammes, der 1780 fertiggestellt wurde, damals noch mit Durchlässen, damit das Wasser in Richtung Hanság durchfließen konnte. Aber auf jeden Fall war das eine Barriere", ist Draganits überzeugt und beschreibt noch für um 1820 einen See, der bei hohem Wasserstand nach Osten abgeflossen ist, bei Hochwasser von Raab, Rabnitz und Ikva aber von Osten her wieder gespeist wurde. "Der See war also viel dynamischer, als es landläufig angenommen wird."

Rückbau unmöglich

1853 gab es ein Raab-Hochwasser, bei dem der ganze Hanság überschwemmt wurde, und der Neusiedler See erreichte einen Wasserstand von 117,6 müA. "Eine riesige Katastrophe für das Gebiet." 1873 wurde deshalb die Raab-Regulierungsgesellschaft gegründet, die zu den ohnehin schon bestehenden Ableitungskanälen eine Vielzahl weiterer anlegte, um das Wasser in die Donau ableiten zu können. Ein kompletter Rückbau dieser Kanäle wäre heute undenkbar, auch weil das einstige Überschwemmungsgebiet heute besiedelt ist. Das hat aber zur Folge, dass der See nun in niederschlagsarmen Perioden nicht von dem Wasser aus der Überschwemmungszeit profitieren kann.

Ein Bagger steht aktuell in Mörbisch.
Foto: Guido Gluschitsch

Eine Idee zur Rettung des Sees kann er nicht liefern, aber Grundlagen für ein verbessertes Verständnis für die Parameter des Sees in dessen Vergangenheit. (Guido Gluschitsch, 6.12.2022)

Blick vom Kanalkopf in Purbach über die Dalbenstraße. Auch wenn der Wasserstand im See so niedrig ist wie schon lange nicht mehr, hat der Neusiedler See kaum an Schönheit verloren.
Foto: Guido Gluschitsch